Highlander aus Stadtlohn Tobias Schmeer (34): „Ich war der Sonderling in unserer Familie“

Tobias Schmeer: „Der Dudelsack ist für mich ein echter Halt“
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Tobias Schmeer ist gelernter Koch. Er ist Aldi-Filialleiter. Familienvater. Und er ist Dudelsackspieler. Das ist mehr als ein Hobby. „Der Dudelsack ist für mich ein echter Halt“, sagt der 34-Jährige. Die Highland-Pipe ist für ihn zu einem täglichen Begleiter geworden. Und sie hilft ihm auch über dunkle Stunden hinweg.

Sonntags irgendwo in Almsick. Der Stadtlohner Tobias Schmeer (34) ist allein auf weiter Flur. Eichenbäume und Maisfelder säuseln leise, begleitet vom tiefen Rauschen der nahen Windkrafträder. Tobias Schmeer atmet tief ein. Dann ist es mit der Ruhe vorbei.

Bordunpfeifen eines Dudelsacks
Die drei Bordunpfeifen sorgen für das sonore durchgängige Brummen des Dudelsacks. © Stefan Grothues

Tobias Schmeer hat mit wenigen kräftigen Atemstößen den Luftsack aufgeblasen, presst ihn mit dem linken Ellenbogen. Drei Dudelsackpfeifen geben laut die Grundtöne von sich. „Das ist die Schulterbordun. Die ist für den gleichmäßigen Sound da“, erklärt Tobias Schmeer. Er nennt es das „dunkle schöne Brummen.“

Dann lässt er seine Finger über die Spielflöte fliegen. Ihr Klang trägt hunderte Meter weit. Amazing Grace. Das ist keine leichte Dudelei. Diese Musik verlangt den ganzen Körpereinsatz. Almsick fühlt sich nun an wie die schottischen Highlands. Und Tobias Schmeer schaut ernst und glücklich zugleich.

Hände an der Spielpfeife des Dudelsacks
Die Spielpfeife des Dudelsacks kann neun Noten spielen. © Stefan Grothues

Hier kann er befreit aufspielen. Das ist sein freier Sonntag. Beim Üben zuhause im geschlossenen Raum muss Tobias Schmeer einen Gehörschutz tragen. „Sonst klingeln mir die Ohren“, sagt er. Kein Wunder. Sein Dudelsack schafft bis zu 125 Dezibel. In dieser Liga spielen sonst Kettensägen, Motorräder oder Presslufthämmer.

Einmal hat Tobias Schmeer zuhause im Garten an der Bergstraße gespielt. Es gab Applaus aus der Ferne, aber auch eine Kopfschmerzklage aus der Nachbarschaft. Der majestätische und unverwechselbare Klang des Holzblasinstruments ist nicht jedermanns Sache. Tobias Schmeer liebt ihn seit seiner Kindheit.

Tobias Schmeer spielt Dudelsack in der freien Natur.
Sonntags spielt Tobias Schmeer oft in der freien Natur in Almsick. Den Kilt trägt er dabei nicht, hier hat er ihn aber für den Fotografen angezogen. © Stefan Grothues

„Ich stand schon immer auf Ritterfilme und Burgen. Später habe ich mich für Mittelaltermärkte interessiert. Da gehörten Dudelsäcke irgendwie dazu.“ Als Jugendlicher faszinierte ihn die Gothic-Szene. Er hörte die Mittelalterband „In Extremo“, die zu Dudelsackklängen rockten. „Ich war der Sonderling in unserer Familie“, sagt Tobias Schweer und lacht.

Mit zwölf wollte er erstmals selbst Dudelsack spielen. „Meine Mutter hat aber gesagt: ,Das kann man im Saarland nicht lernen.‘“ Dort war Tobias Schmeer auf dem Dorf in einer Bergmannsfamilie aufgewachsen. Der Dudelsack-Traum war auf Jahre ausgeträumt.

Dudelsack als Therapie

Andere Träume aber gingen in Erfüllung. Nach seiner Kochausbildung lernte Tobias Schmeer im Internet Sonja Jansen-Beckmann aus Stadtlohn kennen. Heute sind die beiden verheiratet und leben mit ihren beiden Söhnen Philip (8) und Marlon (5) in Stadtlohn.

Tobias Schmeer arbeitete als Koch im Gasthaus Schlüter und im Hundewicker Bahnhof. Doch dann kam der Burnout, die Luft war raus. Nach langen Gesprächen riet ihm sein Therapeut: „Du solltest Dudelsack spielen.“ Das war 2010. Der Samen war gelegt, aber er brauchte noch etwas Keimzeit.

Video: So klingt und so funktioniert der Dudelsack

„Ich will es lernen“

Erst einmal legte Tobias Schmeer einen erfolgreichen beruflichen Neustart hin. Heute ist er Leiter der Aldi-Filiale in Osterwick. 2017 aber las er endlich einen Aufruf des Coesfelder Vereins Brukteria Pipes and Drums, der neue Dudelsackspieler suchte.

Jetzt zögerte der Stadtlohner nicht mehr: „Ich habe gesagt: ,Hier bin ich. Ich kann zwar keinen Dudelsack spielen und keine Noten lesen. Aber ich will es lernen.“ Die Aufnahme war herzlich. Zu seiner Überraschung spielten schon drei andere Stadtlohner bei den Brukteria Pipes and Drums.

Pokale gesammelt

Dann musste Tobias Schmeer lernen: Dudelsackspielen ist äußerst komplex und braucht mehr als nur einen langen Atem. „Die Spielpfeife, die Chanter, hat zwar nur neun Töne, aber was drumherum passiert, ist viel umfangreicher und vielsagender“, erklärt er.

Tobias Schmeers Ehrgeiz war geweckt. Neben den Brukteria-Proben und den Übungsstunden daheim fand er im Internet noch einen Tutor. Mit ihm begann er, sich auf Wettkämpfe vorzubereiten.

„Den ersten habe ich sang- und klanglos verloren“, sagt der Stadtlohner. „Aber es war fantastisch, vor den Richtern aus Schottland zu spielen und von ihnen Hinweise zu bekommen.“ Inzwischen hat der Stadtlohner schon etliche Pokale gesammelt, zuletzt im August bei den „Scottish Days“ in Wuppertal.

Einmal zur WM nach Schottland

Inzwischen ist das ganze Jahr durch einen Ablauf von schottischen Festivals und Wettbewerben quer durch Deutschland gegliedert. Was verbindet die Freunde der schottischen Musik? „Das Guinness“, sagt Tobias Schmeer und lacht. „Nein“, fügt er schnell hinzu. „Es ist natürlich die Liebe zur schottischen Musik und Tradition. Und die Herzlichkeit.“

All das trage ihn auch, wenn mal wieder die Depression Schatten wirft. „Meine Familie und mein Dudelsack sind für mich ein echter Halt“, sagt der 34-Jährige. Seine Söhne finden das Hobby ihres Vaters cool.

Zusammen haben sich die Drei im Livestream die letzte Weltmeisterschaft der Dudelsackspieler in Glasgow angeschaut. Jetzt träumen die Schmeers einen gemeinsamen Traum: Einmal mit der ganzen Familie in die schottische Metropole zu reisen, um 8000 Musiker aus 15 Ländern live zu erleben.

Dieser Text erschien zuerst am 29. September 2023.