Heinz und Mia Röttger Mit Leib und Seele für den Blauen Täuber in Stadtlohn

Heinz und Mia Röttger: Mit Leib und Seele für den Blauen Täuber
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In unserer Serie „Unvergessen“ erinnern wir an das Stadtlohner Wirtspaar Heinz (1925 – 2018) und Maria (1932 – 2023) Röttger.

Ein gepflegtes Pils am Grabesrand? Oder wahlweise ein Tango? Lässt das die Stadtlohner Friedhofsordnung überhaupt zu? „Das darf man ja eigentlich gar nicht erzählen“, sagt Anne Mauritz augenzwinkernd. Aber so war es in diesem Frühjahr: Zum Sechswochenseelenamt ihrer Mutter haben sich ihre vier Kinder und weitere Verwandte im Gedenken an die Verstorbenen zwischen den Grabsteinen zugeprostet.

„Darüber hätten sich unsere Eltern gefreut“, sagt Christiane Bremmer. Und viele Stadtlohner werden dafür Verständnis haben. Schließlich waren Heinz und Maria („Mia“) Röttger stadtbekannt als Wirtsehepaar der Traditionsgaststätte „Zum blauen Täuber“.

Vor 30 Jahren wurde im Blauen Täuber der Zapfhahn hochgedreht. Das ist für die vier „Gaststättenkinder“ Elisabeth Röttger (57), Anne Mauritz (55), Heiner Röttger (56) und Christiane Bremmer (51) Anlass genug, an ihre Eltern zu erinnern.

Die Schwestern Anne Mauritz und Christiane Bremmer zeigen ein Foto ihrer Eltern.
Die Schwestern Anne Mauritz und Christiane Bremmer denken gerne an ihre Eltern und an ihre Kindheit im Blauen Täuber zurück. © Stefan Grothues

Die vier „Gaststättenkinder“? „Ja das kann man wohl so sagen“, sagt Anne Mauritz. „Mama und Papa haben ja sieben Tage die Woche von früh bis spät gearbeitet. Mittwochs war zwar Ruhetag, aber da ging es ja zum Einkauf in den Großmarkt Stroetmann.“

So wuchsen die vier Röttger-Kinder in der Gaststätte auf: „Die Schularbeiten haben wir in der Gaststube gemacht. Papa saß dann auch dort und hat sich um die Buchhaltung gekümmert“, erinnert sich Christiane Bremmer.

Heinz und Mia Röttger an der Theke im Blauen Täuber
Für viele ist es der schönste Platz, für Heinz und Mia Röttger bedeutete die Theke vor allem Arbeit. © privat

Aber auch an der Theke lernt man fürs Leben. Zum Beispiel, dass die Eltern mit unterschiedlichen Charakteren gut als Team funktionieren. Auch wenn es manchmal knallte. Schließlich arbeiteten Heinz und Mia Röttger ja sieben Tage die Woche fast rund um die Uhr zusammen.

„Die beiden konnten nicht ohneeinander, aber manchmal eben auch nicht miteinander“, sagt Anne Mauritz und lächelt. „Mama hatte ja manchmal Haare auf den Zähnen. Wenn sie das letzte Bier zapfte, dann gab es keinen Widerspruch.“ Stets habe sie einen weißen Kittel getragen. „Sie war eine echte Malocherin“, sagen ihre Töchter.

Mia Röttger stammte von einem großen Bauernhof in Münster-Mauritz. Die Küche hat sie im Schwerter Gutshof „Wellenbad“ gelernt.

Außenansicht des Blauen Täubers in den 1970er Jahren
So sah der Blaue Täuber in den 1970er-Jahren aus. © privat

Heinz Röttger hieß bei vielen Stadtlohnern nur „der Blaue“. Und im Blauen Täuber fanden die Gäste die Kneipenkultur, die es heute nur noch selten gibt. Wenn an sechs Tagen die Woche morgens um Punkt zehn die Tür zum Gastraum geöffnet wurde, warteten draußen schon die ersten Stammgäste auf ihren Frühschoppen.

Für den Billardclub und etliche Taubenvereine war der Blaue Täuber das Zentrum ihres Vereinslebens. Und weil in der Reisesaison die Brieftauben auch in den Sommerferien in der Kneipe eingesetzt wurden, konnten Heinz und Mia Röttger immer erst im September Urlaub machen. Immer in Tirol. Immer für drei Wochen. Und bis auf einmal immer ohne Kinder. „Dann passte unsere Haushälterin Tante Maria auf uns auf“, erzählt Anne Mauritz.

Die Geschwister Röttger und ihr Vater an der Theke
Der Vater bei der Arbeit, die Kinder schauen zu, v. l. Christiane, Anne, Heiner und Elisabeth. © privat

Heinz Röttger pflegte ein besonderes Vertrauensverhältnis zu seinen Gästen. Christiane Bremmer: „Das war ihm ganz wichtig. Er hat immer gesagt: ,Die Gäste müssen dem Wirt ihr Herz ausschütten können.‘“ Und er war ein großer Witzeerzähler.

Aber er kannte auch die dunklen Seiten des Lebens. Mit 17 musste er Soldat werden. Später geriet er in russische Kriegsgefangenschaft. Darüber habe er zeitlebens mit ihnen nicht sprechen können, sagen seine Töchter.

Nach seiner Heimkehr baute der gelernte Kaufmann gemeinsam mit seinem Vater Albert den durch die Bombardements zerstörten Blauen Täuber wieder auf, den er gemeinsam mit seiner Frau von 1964 bis 1993 führte. Vor 30 Jahren gingen die beiden in den Ruhestand. Damit endete die Geschichte des Blauen Täubers, der sich fast 120 Jahre im Familienbesitz befunden hatte.

Ein Familienfoto aus den 1970er Jahren
Ein Familienfoto aus den 1970er Jahren © Hermann Liemann

Den vier Geschwistern hat die Kindheit in der Gaststätte nicht geschadet. Im Gegenteil, sie blicken gerne auf ihre Kindheit zurück. „Wir hatten ja mehr Freiheiten als unsere Freunde. Und es war immer jemand für uns da. Manchmal haben auch die Gäste mit uns Kopfrechnen geübt“, sagt Anne Mauritz.

Und die Schwestern erinnern sich noch an etwas Besonderes, um das die anderen Kinder sie beneideten. „Abends hat Papa uns auf dem Tablett ein Glas Fanta ans Bett serviert“, sagt Christiane Bremmer. Dabei strahlen ihren Augen heute wie wahrscheinlich damals schon.

Eine historische Aufnahme des Blauen Täubers
In der Bildmitte der ursprüngliche Blaue Täuber, der im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. © privat

Besonders gerne erinnern sich die Schwestern an die rauschenden Karnevalsfeiern, die im Blauen Täuber gefeiert wurden. Die Kneipe war an den tollen Tagen immer ein Zentrum des Frohsinns. Noch heute stimmen die Stadtlohner das Lied vom Bacchus an: „Wenn he (Bacchus) dann bien Täuber bowwen steht üp sienen Thron ...“

Dann freuen sich die Schwestern: „Der Täuber, das sind ja wir! Vor allem natürlich Mama und Papa.“ Und das für immer. Auf ihrem Grabstein ist eine kleine Keramik eingelassen, die bereits das Wohnhaus im Ruhestand schmückte. Darauf steht: „Beim Blauen – Heinz und Mia Röttger“

Der Kolonialwarenladen 1923
Dieses Bild wurde vor genau 100 Jahren aufgenommen. Damals war der Blaue Täuber noch ein Kolonialwarenladen. Er wurde 1874 von Wilhelm Wullers eröffnet, der die Großmutter von Heinz Röttger heiratete. © privat