Für einen Stadtlohner stand es buchstäblich auf des Messers Schneide: Wegen 98 vermutlicher Drogenvergehen musste sich der einschlägig vorbestrafte 40-Jährige im Amtsgericht verantworten. Er zeigte sich dabei auch überwiegend kooperativ.
Nach über zwei Stunden Beweisaufnahme griff die Anklagevertreterin in ihrem Strafantrag durchaus „hoch ins Regal“: 33 Monate Freiheitsstrafe forderte sie.
Über 30 Minuten gaben sich Richter und Schöffen darauf Zeit, um eine sorgfältige Abwägung vorzunehmen. Am Ende stand sprichwörtlich die „letzte Chance“.
Über mehrere Monate betrieb der Stadtlohner in den Jahren 2021 und 2022 einen „florierenden Handel“ überwiegend mit Marihuana. Mit eindeutiger Gewinnerzielungsabsicht, daran gab es für das Gericht keine Zweifel.
Es standen allerdings auch weitere schwerwiegende Vorwürfe im Raum: so der unerlaubte Handel mit Ecstasy. Oder gar in einem Fall mit Kokain. Zudem wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung ein Luftgewehr und eine Schreckschusspistole mit Munition gefunden.
Schwerwiegende Tatvorwürfe unbewiesen
Vorweg: Der Tatvorwurf des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht-geringer Menge konnte letztlich nicht nachgewiesen werden. Ebenso wenig der Vorwurf des Handels mit Kokain.
Eine Observation durch die Polizei hatte ergeben, dass bei einem Kontakt des Angeklagten mit einem möglichen Abnehmer zwar Kokain auf dem Boden gefunden werden konnte, eine Übergabe konnte hingegen nicht belegt werden. Auch wenn einiges dafür spreche, wie der zuständige Polizeibeamte im Zeugenstand berichtete.
Weitgehend unstrittig war in insgesamt 91 Fällen der unerlaubte gewerbsmäßige Handel mit Marihuana. Insgesamt neun Abnehmer waren geladen und konnten nahezu in Gänze ohne Aussage wieder abreisen.
„Ich brauchte Geld“, gab der 40-Jährige umgehend zu. Auch, um seinen eigenen Konsum zu finanzieren. Einer dieser 91 Fälle erfolgte dabei in Tateinheit mit dem Besitz einer nicht-geringen Menge an Cannabis. Fast 67 Gramm waren eben bei besagter Wohnungsdurchsuchung gefunden worden. „Rund die Hälfte für den Eigenkonsum“, merkte der Stadtlohner an.
Zu klären war noch, ob der Stadtlohner in drei Fällen auch noch mit Ecstasy Handel betrieben hatte. „Damit habe ich nichts zu tun“, erklärte der Angeklagte zunächst. Diese Überzeugung schwand allerdings mit jedem Chatverlauf, den der Richter in diesen Fällen verlas. Insgesamt fünf Mobiltelefone und eine vierstellige Summe waren bei der Durchsuchung sichergestellt worden.
So fragte eine – seinerzeit gar noch minderjährige – Kundin nach gewissen anderen „Dingen“. Diese könne sie „jederzeit“ bekommen, so die Antwort. In einem anderen Fall erkundigte sich ein weiterer Kunde nach „Teilen“, die synonym für eben auch Ecstasy-Tabletten stehen. „Ich konnte an diese Dinge kommen“, gab der 40-Jährige letztlich zu. „Und Sie haben sie auch verkauft“, ergänzte der Richter. Und zwar ebenso gewinnbringend.
Satte 14 Eintragungen wies der Auszug des Bundeszentralregisters aus, dies seit dem Jahr 2000. Unter anderem gab es Einträge wegen Diebstahls und Sachbeschädigung, aber auch wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Drogendelikten. Aus gutem Grund fragte der Richter noch, wie es mit dem aktuellen Drogenkonsum beim Angeklagten aussehe. „Nichts außer Cannabis“, so die Antwort. Von anderen Dingen habe er seit der letzten Wohnungsdurchsuchung abgeschworen.
Für die Staatsanwältin war die Sachlage eindeutig – sowohl bei den Marihuana-Delikten als auch beim Ecstasy. „Sie haben bei allen Geschäften Gewinn gemacht“, betonte sie. Natürlich lägen die Taten schon länger zurück, diese hätten aber auch über einen längeren Zeitraum stattgefunden.
In Sachen Ecstasy-Handel sehe sie weder Einsicht noch Reue. Und somit seien zwei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe angemessen.
Verteidiger fordert Bewährungsstrafe
Im letzteren Punkt erkenne er bei seinem Mandanten allein eine „Vermittlerrolle“ ohne Gewinnerzielungsabsicht, hielt der Verteidiger dagegen. Die Vorwürfe in Sachen Marihuana habe der Stadtlohner vollumfänglich eingestanden.
Der Anwalt erinnerte an die damals schwierige Situation: „Er musste sich Geld beschaffen.“ 15 Monate Haft seien angemessen, diese zur Bewährung ausgesetzt. Plus der Auflage einer Drogentherapie. „Man sollte ihm die Chance geben, sein Leben auf die Kette zu bekommen.“
Nach diesen höchst unterschiedlichen Plädoyers zogen sich Richter und Schöffen zurück. Um dem Angeklagten bei Rückkehr die buchstäblich „letzte Chance“ zu gewähren. Zwei Jahre Freiheitsstrafe könnten noch einmal zur Bewährung ausgesetzt werden. „Wir haben allein Tatvorwürfe in besonders schwerem Fall, da sie gewerbsmäßig handelten“, so der Richter. In einem Fall gar auch wegen des Besitzes einer nicht-geringen Menge Cannabis.
Eine Bewährung sei vor allem noch zu rechtfertigen, da der Stadtlohner weitgehend mit geringen Mengen handelte. Allerdings handele es sich beim 40-Jährigen um kein unbeschriebenes Blatt, die letzte Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe liege hingegen bereits 17 Jahre zurück.
„Für uns spricht mehr für eine Bewährung“, erklärte der Richter. Nehme man die Drogenkarriere einmal heraus, lebe der Stadtlohner eigentlich in einer geordneten Lebenssituation. Er ermahnte diesen aber noch einmal eindringlich, ehrlich zu sich und zum Drogenberater zu sein. Zehn Gespräche mit diesem wurden dem 40-Jährigen auferlegt, zudem 180 Sozialstunden.