Alles scheint wie immer am Donnerstagmorgen in der Bücherzeit: Die Tür steht offen, Karin Kleweken und Christina Sambale-Weber empfangen ihre Kundinnen und Kunden freundlich. Sie erfragen die Wünsche dieser und versuchen sie bestmöglich zu erfüllen.
Der zweite Blick aber offenbart: Die Regale haben sich spürbar geleert. Ein untrügliches Zeichen, dass die Zeit der Buchhandlung am Markt abläuft. Ende September schließen sich die Türen, im 20. Jahr des Bestehens. Nach kurzer und schwerer Krankheit war die Inhaberin Christel Hinnemann im Alter von 75 Jahren Ende Juli gestorben.

„Ohne Christel ist die Bücherzeit nicht mehr der gleiche Ort – ohne sie können wir nicht weitermachen.“ Mit diesen emotionalen Worten wandte sich das Team der Buchhandlung Mitte August an seine Kundschaft.
Christel Hinnemann war das Gesicht der Bücherzeit. Mit enormer Expertise und dem fast schon schelmischen Lächeln, das auch den Kunden und vielen Wegbegleitern in Erinnerung bleiben wird.
Der plötzliche Tod habe nicht nur die Kolleginnen, sondern auch die Familie getroffen, berichtet Tochter Katja Hinnemann im Gespräch: „Sie war immer eine Kämpferin.“ In diesem Fall sei ihrer Mutter wohl aber ein längeres Leiden erspart geblieben: „Das hätte sie auch nicht gewollt.“
Großer Einsatz für die Stadt
Gekämpft hat Christel Hinnemann stets auch für die Belange ihrer Stadt, speziell für die Innenstadt. „Sie war nie auf den Mund gefallen, hat ihre Meinung gesagt, Haltung gezeigt, ist dabei auch mal angeeckt“, erklärt Katja Hinnemann. Immer mit dem nötigen Respekt. Rückblickend könne man festhalten, dass „sie häufig recht hatte“, ergänzt die Tochter.
Das große Engagement sei oft auch Thema in den Gesprächen mit den Kunden, die ihr Mitgefühl ausdrückten, erzählt Karin Kleweken. Gemeinsam mit Christina Sambale-Weber sorgt sie in diesen Tagen vormittags dafür, dass der Abschluss in geordneten Bahnen verläuft. Unterstützt durch die Hinnemann-Geschwister.
Eine große Herausforderung. „Wir mussten vor allem die Schulbuchsaison abwickeln“, berichtet Katja Hinnemann. Das sei gelungen, die Bestellungen konnten erfüllt, die Schulen beliefert werden. Niemand sollte hängengelassen werden, es musste irgendwie weiterlaufen.
Die Entscheidung, wie und ob es überhaupt weitergehen könnte, kam unweigerlich. Und die Erkenntnis: „In der Familie gibt es keinen, der übernehmen wollte und konnte. Und: Wir hatten auch gar keine Zeit, nach einem Nachfolger zu suchen“, erklärt Katja Hinnemann. Die laufenden Kosten und das Tagesgeschäft liefen ja weiter.

Dass die Zeit einmal kommen werde, das habe wohl auch ihre Mutter gespürt, mit Mitte 70 sei es auch mal „gut gewesen“. Vor einem Jahr habe sie die Buchhandlung schon einmal anonym ausgeschrieben – ohne Erfolg.
Sie selbst habe auch einmal vor Jahren kurz überlegt, berichtet Katja Hinnemann. Um diese Idee schnell wieder zu verwerfen. Obwohl es ein erfüllender Job sei – dies aber in einem immer schwierigeren Umfeld. Das habe man auch in der Bücherzeit gespürt.
Vielleicht sei Stadtlohn auch zu klein für das aktuelle Angebot an Buchhandlungen. „Viele Menschen müssen auch mehr auf ihr Geld schauen“, meint Katja Hinnemann. Stadtlohn könne zudem mit einer sehr guten Bücherei punkten – mit einem umfassenden Angebot. „Es kommt viel zusammen“, erklärt sie. Der Online-Handel wirke sich natürlich auch aus.

Apropos Bücherei: Dort begann die Zeit in Stadtlohn für Christel Hinnemann vor über 30 Jahren, als die gebürtige Oberhausenerin von Geisenheim bei Mainz herüberzog, um dort nach einigen Umzügen sesshaft zu werden.
Ehrenamtlich noch, bis sie im Kaufhaus Magnus in der Buchabteilung eine Anstellung fand. Weiter führte der Weg zur Buchhandlung an die Rezepterstraße, die sie vor genau 20 Jahren dann übernahm. Über die Stegerstraße zog die Bücherzeit 2017 weiter zum Markt an den heutigen Standort.
Christel Hinnemann war nicht nur eine „echte Fachkraft“, habe selbst viel gelesen, wie ihre Tochter betont. „Sie hatte auch ein Gespür dafür, welche Empfehlung zu welchem Kunden passt.“ Sie sei breit aufgestellt gewesen und konnte sich auf jeden einstellen.
Mehr noch: Sie habe die Menschen gar kontaktiert, wenn sie der Meinung gewesen sei: „Das ist doch was für Dich!“ Auch deshalb sei sie so beliebt gewesen.
Obwohl sie nicht gerne im Vordergrund gestanden hat, strahlte sie eine enorme Präsenz aus. „Eine umtriebige Inhaberin.“ Andreas Schmidt, der mehrfach in der Bücherzeit Lesungen gehalten hat, bringt es in seinem Facebook-Post auf den Punkt. Dafür hatte die Stadtlohnerin unter anderem auch den Deutschen Buchhandlungspreis 2021 erhalten – für besondere Kreativität in Corona-Zeiten.
Viele Unterstützung erfahren
Sehr dankbar sei die Familie nun nicht nur dem Team der Bücherzeit und den Kunden für die Unterstützung aktuell. Auch die Vermieterin habe schnell signalisiert, dass man der Familie entgegenkommen werde. „Und auch unsere Nachbarn helfen, wo sie können“, berichtet Christina Sambale-Weber.
Mit Rabattaktionen hoffen alle nun, dass sich die Regale bis Ende September noch weiter leeren. „Das würde uns die Arbeit erleichtern“, erklärt Katja Hinnemann. Auch zum Stadtlohner Herbst werde man am Samstag von 9 bis 18 Uhr und am verkaufsoffenen Sonntag von 13 bis 18 Uhr für seine Kunden da sein.
Am 30. September wird sich die Tür der Bücherzeit letztmals schließen. Team und Familie hoffen, dass dieses zentrale Haus auch künftig ein „kommunikatives Zentrum“ bleiben wird.
Katja Hinnemann ist sich sicher, dass „eine solche Buchhandlung Stadtlohn fehlen“ wird. Oder wie Andreas Schmidt es in Worte fasst: „Die Bücherzeit, aber ganz besonders Christel fehlen mir schon jetzt.“