Diese Fotomontage zeigt Michael te Vrügt und eine Darstellung der Nasa (rechts) zur Entwicklung des Universums über 13,77 Milliarden Jahre vom Urknall und der Expansion des Universums.

© Privat/NASA's Goddard Space Flight Center

Auf Einsteins Spuren: Michael te Vrugt sucht Rechenfehler nach dem Urknall

rnPhysiker aus Stadtlohn

Wie schnell dehnt sich das Weltall aus? Welche Rolle spielen Rechenfehler dabei? Und warum kennt die Zeit nur eine Richtung? Michael te Vrugt (25) will es wissen – als Physiker und Philosoph.

Stadtlohn

, 01.01.2022, 06:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2021. Dies sind die Abenteuer des jungen Physikers Michael te Vrugt ... – So könnte man in Anlehnung an das „Raumschiff Enterprise“ die Mission des 25-jährigen Stadtlohners umschreiben.

Er reist von mikroskopisch kleinen Molekülen hin zu fernen Galaxien. Michael te Vrugt braucht dafür kein Raumschiff. Sein Vehikel ist die statistische Physik. Damit begibt er sich auf die Spuren Albert Einsteins.

Weltweit renommierte Fachzeitschrift veröffentlicht Forschungsergebnisse

Und das mit großem wissenschaftlichen Erfolg: Ein Aufsatz, den der Doktorand zusammen mit Professor Dr. Raphael Wittkowski (Münster) und der Astrophysikerin Dr. Sabine Hossenfelder (Frankfurt) federführend verfasst hat, ist jetzt in den „Physical Review Letters“ erschienen.

Das ist in der Welt der Physik eine ganz besondere Auszeichnung. Die Fachzeitschrift gilt als eine der renommiertesten weltweit. „Jetzt glaube ich auch an den Weihnachtsmann!“ Mit diesem Ausruf habe die Astrophysikerin die Nachricht gefeiert, erzählt Michael te Vrugt lachend im Gespräch mit unserer Redaktion.

Seit 14 Milliarden Jahren dehnt sich das Universum aus

Worum geht es in dem Aufsatz? Michael te Vrugt versucht eine Erklärung für den Laien: Es geht um die von Albert Einstein entwickelte Allgemeine Relativitätstheorie, mit deren Hilfe die Ausdehnung des Universums seit dem Urknall vor knapp 14 Milliarden Jahren beschrieben werden kann.

In kosmologischen Rechnungen wird fast immer angenommen, dass die Materie im Universum gleichmäßig verteilt ist. Das liegt daran, dass die Berechnungen zu kompliziert würden, würde man jeden einzelnen Stern berücksichtigen. In Wirklichkeit ist das Universum aber nicht gleichmäßig. An manchen Stellen befinden sich Sterne und Planeten, an anderen herrscht Leere.

Ungleichmäßiges Weltall Grund für „Rechenfehler“

„Streng genommen ergeben sich Rechenfehler, wenn der Mittelwert der Energiedichte des Universums in die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie eingesetzt wird“, sagt Michael te Vrugt. Die Frage sei nun, wie „schlimm“ dieser Fehler ist.

Die Astrophysikerin Sabine Hossenfelder hatte die Idee, dieser Frage mit statistischen Methoden nachzugehen, und zwar mit dem Mori-Zwanzig-Formalismus. Das ist eine Methode zur Beschreibung von Systemen aus sehr vielen Teilchen mit einer kleinen Anzahl von Messgrößen.

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Auf diesem Fachgebiet ist Michael te Vrugt ein Experte. Die Forschungsergebnisse seiner preisgekrönten Masterarbeit stellte er schon vor zwei Jahren auf einem Wissenschaftskongress in Argentinien vor.

Damals ging es allerdings um mikroskopisch kleine Teilchen in Flüssigkristallen. Wie reagierte der junge Wissenschaftler aus Stadtlohn, als die Astrophysikerin die Idee hatte, die Methode auf kosmische Fragestellungen anzuwenden?

Mathematik hilft über die Grenzen der Vorstellungskraft hinaus

„Ich fand es sofort spannend“, sagt Michael te Vrugt. „Ich habe mich gefragt: Funktioniert das überhaupt? Dann habe ich mir gesagt: Wenn ich es nicht versuche, funktioniert es auf jeden Fall nicht.“

Freimütig gesteht er ein Gefühl ein, das jeder Physik-Laie kennt: „Die Allgemeine Relativitätstheorie führt auch mich an die Grenzen meiner Vorstellungskraft. Dann aber helfen Theorien und die Mathematik, auch über diese Grenzen hinauszugehen“, sagt der Wissenschaftler aus Stadtlohn.

Und wenn es mit der Mathematik mal zu viel wird, dann wendet sich Michael te Vrugt der Philosophie zu. Parallel zu seiner Doktorarbeit in Physik (Thema: „Von Molekülen zu Galaxien“) schreibt er eine Doktorarbeit in Philosophie (Thema: „Das Problem des thermodynamischen Zeitpfeils“).

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„Darin beschäftige ich mich mit der Frage, warum Vergangenheit und Zukunft unterschiedlich sind. Mikroskopisch betrachtet ist eine Zeitumkehr ja denkbar.

Aber es passiert nie. Eine Tasse zerschellt zwar in 1000 Stücke. Aber die Scherben fügen sich nicht wieder zusammen. Das ist das Naturgesetz der Entropie, der zunehmenden Unordnung“, erklärt Michael te Vrugt.

Michael te Vrugt (25) sammelt wissenschaftliche Lorbeeren als Physiker.

Michael te Vrugt (25) sammelt wissenschaftliche Lorbeeren als Physiker. © privat

Zurück zur kosmischen Physik. Was haben die drei Wissenschaftler herausgefunden? Michael te Vrugt sagt: „Abschließende Ergebnisse gibt es noch nicht. Aber wir haben einen Schritt in Richtung Lösung des Problems gemacht.“

Das von ihm maßgeblich mitentwickelte Modell macht eine konkrete Vorhersage für die Auswirkung des ungleichmäßigen Weltalls auf die Geschwindigkeit der Ausdehnung des Universums.

Online-Vortrag für jedermann im Januar

Die Physik ist an den Festtagen auch Thema bei den te Vrugts in Wendfeld. „Meine Eltern interessieren sich dafür. Und auch mit meinem jüngeren Bruder spreche ich darüber.“

Der freilich forscht für seine Masterarbeit gerade auf einem ganz anderen Feld: der westfälischen Landesgeschichte und dem Leben in Stadtlohn in vergangenen Jahrhunderten.

Physik-Vermittlung in allgemeinverständlicher Form ist für Michael te Vrugt auch außerhalb der Familie ein besonderes Anliegen. Am Donnerstag, 27. Januar, um 19 Uhr ist der Physiker aus Stadtlohn Gastredner in der Online-Vortragsreihe „Faszination Astronomie Online“ (https://www.haus-der-astronomie.de/faszi-astro-online).