Auch im Physik-Olymp gibt es ganz irdische Probleme. „Ich habe gerade keinen Strom und weiß nicht, wo der Sicherungskasten ist“, sagt Dr. Michael te Vrugt am Freitagmorgen im Telefongespräch. Aber er selbst kann darüber lachen. Der 27-jährige Physiker aus Stadtlohn ist trotz des Malheurs bestens gelaunt.
Vor wenigen Wochen ist er nach Cambridge umgezogen. Und wissenschaftlich läuft es gerade blendend für den Nachwuchsphysiker. Die Universität Cambridge gehört schließlich weltweit zu den renommiertesten Forschungseinrichtungen.
„Besondere Auszeichnung“
Hier hat der berühmte Astrophysiker und Bestsellerautor Stephen Hawking (1942 - 2018) gelehrt. Sein Nachfolger ist Prof. Michael Cates. Michael te Vrugt nennt ihn beim Vornamen. Die beiden sind jetzt schließlich Forscherkollegen. Die aktuelle Arbeit ihres fünfköpfigen Forscherteams, dem auch Wissenschaftler aus Münster angehören, wird in der Fachwelt mit großem Interesse beobachtet.
„Die Freude war groß, als unsere Arbeit jetzt in den Physical Review Letters veröffentlicht wurde“, sagt Michael te Vrugt. „Eine Veröffentlichung in dieser Fachzeitschrift ist schon eine besondere Auszeichnung.“ Es geht um programmierbare Materie. Dazu später mehr.
Zunächst aber eine andere Frage: Wie fühlt es sich eigentlich an, auf den Spuren von Stephen Hawking zu wandeln? Der zählt schließlich neben Newton und Einstein zu den populärsten Physikern. Die Antwort von Michael te Vrugt ist eher analytisch als euphorisch. Schließlich ist er Naturwissenschaftler.
„Ich habe in meiner Jugend Stephen Hawkings ,Eine kurze Geschichte der Zeit gelesen‘, erzählt der Stadtlohner. „Das hat mich schon fasziniert.“ Heute ist sein Blick auf den berühmten, 2018 verstorbenen Kosmologen differenzierter. „Er war ein brillanter Physiker. Aber ich würde ihm heute nicht mehr in allem zustimmen.“

Damit meint er vor allem die philosophischen Schlussfolgerungen Hawkings. Zum Beispiel Hawkings These, dass für die Entstehung des Universums kein Gott notwendig gewesen ist. „Da bin ich mit ihm nicht auf einer Linie“, sagt Michael te Vrugt. Aber Hawking habe die Philosophie ja auch nicht professionell betrieben.
Anders als Michael te Vrugt. Der ist nicht nur mehrfach ausgezeichneter Physiker, sondern auch Philosoph. Seinen Weihnachtsurlaub in Stadtlohn wird er am 19. Dezember mit der Verteidigung seiner zweiten Doktorarbeit in Philosophie verbinden. Auch darin gehe es wie in der Physik um Fragen der Vergangenheit und Zukunft. Um die Umkehrbarkeit von Zeit.

Michael te Vrugt mag es, die Dinge von verschiedenen Seiten zu betrachten. Jura, Psychologie, Biologie – als Jugendlicher konnte er sich viele Studienfächer vorstellen, bevor er in der Physik seine Erfüllung fand.
Und nun sitzt er im Physik-Olymp in Cambridge. „Die Universität ist sehr schön mit vielen schlossähnlichen Gebäuden“, sagt er. Eben so, wie man sich eine ehrwürdige englische Universität vorstellt. „Mein Arbeitsplatz ist aber im mathematischen Institut, in einem eher modernen Gebäude.“ Hier forschte auch Stephen Hawking.
Aber es gibt nicht nur Wissenschaft in Cambridge. Michael te Vrugt hat schon die erste Probe in einer Brassband hinter sich. Bei den Stadtlohner Husaren hat er das Trompetenspiel erlernt. Ein weiteres Hobby kann er ausgerechnet im Mutterland von Harry Potter nicht ausüben: Quidditch, das er in Münster in einem Team spielte. In Cambridge hat sich Michael te Vrugt wieder aufs Handballspielen verlegt. Schon beim SuS Stadtlohn stand er im Tor.
Mikroroboter im Körper
An der Universität Cambridge stellt nun Michael te Vrugt Grundlagenforschung zur programmierbaren Materie an. Es geht um Zusammenhänge von Geschwindigkeit und Richtung von sich bewegenden Teilchen. Das können schwimmende Bakterien, Vogelschwärme oder Moleküle sein.
Das ist alles sehr theoretisch, kann aber praktische Bedeutung erlangen. „Mit unserem Ansatz ist es möglich, programmierbare Materie zu realisieren“, sagt Michael te Vrugt und nennt ein konkretes Beispiel: „Mikroskopisch kleine Nano- oder Mikroroboter könnten gesteuert per Ultraschall für den gezielten Medikamententransport im menschlichen Körper eingesetzt werden.“
„Gutes Sprungbrett“
Der Stadtlohner ist in der Spitzenforschung angekommen. Ist er damit auch am Ziel? „Leider noch nicht“, sagt Michael te Vrugt. „Ich habe ja nur einen Zweijahresvertrag.“ Wie viele andere Wissenschaftler müsse er sich fragen: „Wo stehe ich, wenn ich mal 40 bin?“ Befristete Verträge seien für viele, auch exzellente Wissenschaftler ein Problem.
Michael te Vrugt strebt nun eine Dauerstelle als Professor an. Und er sagt: „Eigentlich bin ich auch optimistisch. Die Universität Cambridge ist ja ein sehr gutes Sprungbrett.“