Therapieerfolg gibt Seyyid (8) und seiner Familie Hoffnung „Noch gehe ich mit Angst arbeiten“

„Erfolgserlebnis“ gibt Arzu Ciftci und krankem Sohn Seyyid (8) Kraft
Lesezeit

Die Redaktion erreicht Arzu Ciftci kurz vor der Abreise nach London. Dort wird ihr an Epilepsie erkrankter Sohn Seyyid in diesen Tagen wieder untersucht und behandelt.

Sie spricht darüber, wie es Seyyid aktuell geht, und es ist herauszuhören, dass sie mit ihm schon einige Höhen und Tiefen erlebt hat. Arzu Ciftci ist nicht euphorisch, spricht aber von „unserem kleinen Erfolgserlebnis“, wenn sie an die vergangenen Monate mit dem Achtjährigen denkt.

Was sie meint: „Von Mai bis jetzt hat Seyyid kein einziges Mal gekrampft, das war vorher ganz anders.“ Vorher hätten schon alltägliche Erkrankungen wie eine Erkältung oder ein Magen-Darm-Infekt regelmäßig Anfälle ausgelöst. „Alle drei Wochen wurde er krank, alle drei Wochen mussten wir ins Krankenhaus, weil er dann einen Krampfanfall hatte.“

In den vergangenen Monaten sei Seyyid zwar auch mal leicht erkältet gewesen – die Krampfanfälle blieben aber komplett aus. „Wir sind erfolgreich“, sagt Arzu Ciftci nochmal und blickt dabei vor allem auf die besondere Therapie, die ihr Sohn seit Mai erhält.

Krankenkasse zahlt nicht

Damals waren die Ciftcis bereits für mehrere Wochen in der Londoner Privatklinik. Erst dort hatte Seyyid die Diagnose Epilepsie bekommen. Für seine Familie zum einen das Ende der quälenden Ungewissheit darüber, warum er die Krampfanfälle bekam und bislang weder sprechen noch laufen gelernt hat.

Seyyid sitzt neben seinem Vater und seiner Mutter auf der Coach. Alle lächeln in die Kamera
Familie Ciftci im Sommer dieses Jahres. Seit der Therapie in London hatte der Achtjährige keinen Krampfanfall mehr. © Alexandra Schlobohm

Zum anderen aber auch der Beginn der aufwendigen Therapie mittels eines Magnetstimulationsverfahrens, das bislang vor allem bei Autismuspatienten angewendet wird. Zur Behandlung von Epilepsie laufen noch Studien – und Seyyid ist ein Teil davon. Für die Kosten müssen die Ciftcis selbst aufkommen.

„Alleine nur dorthin zu gehen, ist finanziell eigentlich nicht zu tragen“, weiß Arzu Ciftci, die deshalb bereits im Vorfeld der ersten Therapiephase eine Online-Spendenkampagne startete, die sich 50.000 Euro als Ziel gesetzt hat. Über diese und den 24-Stunden-Spendenlauf von Feuerwehrmann Stephan Lendring im Juni kamen bereits mehr als 20.000 Euro zusammen.

Die Aktion läuft weiter, denn Seyyid wird in jedem Fall weiter eine Form der Therapie benötigen. Welche, entscheidet sich je nachdem, wie erfolgreich die bisherigen Behandlungen letztlich sind. „Mir ist wichtig, nochmal darauf hinzuweisen“, betont Ciftci. „Denn ich werde immer wieder auch auf die Spendenaktionen angesprochen. Und wir sind da ja noch nicht am Ziel angekommen. Das macht uns schon Bauchschmerzen.“

Mit Angst auf der Arbeit

Seyyids Entwicklung zeige ihr, dass die bisherige Therapie der richtige Schritt war, sagt seine Mutter. „Seyyid musste vorher viele Medikamente nehmen, die konnten wir um die Hälfte reduzieren. Sie ganz abzusetzen, geht leider noch nicht“, berichtet sie.

Dennoch habe sich Seyyids Alltag deutlich zum Besseren verändert: „Als er die vielen Medikamente genommen hat, war er immer wie benebelt, hatte nicht mehr richtig Kraft. Jetzt sehen wir, dass er viel wacher wird. Er versteht mehr und reagiert auf alles. Wir hoffen sehr, dass die Epilepsie vielleicht schon komplett weg ist.“

Seyyid könnte dann mit einer weiterführenden Therapie beginnen, um laufen und sprechen zu lernen. Doch alleine schon die Gewissheit, dass nicht jederzeit ein neuer epileptischer Anfall droht, wäre eine riesige Erleichterung für die Familie.

„Wir wollen nicht mehr in Angst leben“, sagt Mutter Arzu, selbst medizinische Fachangestellte. „Ich konnte ja lange Zeit auch gar nicht arbeiten gehen. Jetzt gehe ich arbeiten, aber noch mit Angst.“

Kontakt mit anderen hilft

Und auch, dass es Seyyid inzwischen schon besser geht, bringe neue Herausforderungen mit sich. „Er merkt das ja auch selbst und ist jetzt total motiviert. Er möchte immer aufstehen und versucht, zu laufen“, erzählt Ciftci. „Aber wir müssen natürlich dann aufpassen. Wenn er dann hinfallen sollte, ist es nicht wie bei einem Baby, was immer auf den Po fällt. Er würde ja einfach umfallen.“ Wenn sie zu Hause sei, verlange Seyyid ihre volle Aufmerksamkeit.

Seyyid sitzt im Rollstuhl
Ein älteres Foto von Seyyid im Rollstuhl. Seine Eltern hoffen, dass er bald laufen lernen kann. © privat

Arzu Ciftcis größte Hoffnung? „Dass wir uns irgendwann keine Sorgen mehr machen müssen und glücklich sind. Ich weiß, dass es ein langer Weg ist, aber unser bisheriger Erfolg motiviert mich.“

Außerdem möchte sie ihre Erlebnisse mit anderen teilen. „Viele Leute sind neugierig. Und dann habe ich andere Eltern kennengelernt, die Kinder mit schwerer Epilepsie haben. Die fühlen ja das Gleiche wie ich!“

Vier Jahre Recherche

Ihnen will Ciftci zeigen, „dass es eine Hoffnung gibt, dass es besser werden kann. Ich erzähle natürlich von meinem Erfolg. Ich würde es aber auch tun, wenn ich ihn nicht hätte.“ Auch der Austausch mit Familien, die in ihrer Familie mit Autismus zu tun haben, bestärke sie: „Die haben durch die Therapie zwei, drei Sprünge nach vorne gemacht. Wir sehen dadurch, dass es funktioniert.“

Sie stehe voll hinter der Entscheidung, für die Diagnostik und die Therapie nach London zu gehen. „Vorher habe ich vier Jahre recherchiert“, erinnert sie sich. „Da kam dann bei mir und meinem Mann irgendwann der Gedanke „Schluss, aus und vorbei – jetzt probieren wir es!“

Arzu Ciftci weiß, dass Geld weiter ein Thema bleiben wird: „Wir wollen das finanzieren, es soll nicht am Geld scheitern.“ Dass viele Leute sie im Frühjahr und Sommer unterstützt haben, freue sie sehr. Zu den 480 Spendern über „gofundme“ müssten aber wohl noch einige dazukommen, damit Familie Ciftci beruhigt in die Zukunft schauen kann.

Familie Ciftci hat bereits im Frühjahr eine Spendenkampagne auf dem Portal „gofundme“ gestartet. Unter www.gofundme.com/f/seyyid-braucht-deine-hilfe können Interessierte mehr über Seyyids Lebensgeschichte erfahren, direkt spenden und den Aufruf weiter teilen.