
© Stefan Grothues
Arbeitsgericht entscheidet: Halco-Kündigungen sind unwirksam
Betriebsschließung
Die im Januar erfolgten über 100 Kündigungen von Halco-Mitarbeitern könnten unwirksam sein. Arbeitsrichter haben erste Urteile gefällt. Jetzt keimt die Hoffnung auf einen Vergleich.
Das Firmenschild „Halco“ hängt noch an der Front der schlichten Industriehalle. Doch die Rollläden sind heruntergelassen, die Tore bleiben verschlossen. Hier an der Boschstraße in Stadtlohn werden schon seit Monaten keine Möbelteile mehr produziert. Weit über 100 Halco-Mitarbeiter haben durch die Betriebsschließungen in Stadtlohn und Coesfeld im ersten Halbjahr 2019 ihren Arbeitsplatz verloren.
Freddy Tausendfreund und Wolfgang Bergerbusch schmerzt der Anblick des verlassenen Gebäudes immer noch. „Die Enttäuschung über das Verhalten der Halco-Geschäftsführung und des Hüls-Konzerns sitzt tief“, sagt Freddy Tausendfreund. Er war Betriebsratsvorsitzender in Stadtlohn. Wolfgang Bergerbusch nickt. Die beiden Halco-Betriebsvorsitzenden sind auch Monate nach der Werksschließung immer noch im Amt – irgendwie. Denn die juristische Aufarbeitung der Kündigungen geht jetzt in die heiße Phase.
Erste Urteile in Bocholt gefällt
Das Arbeitsgericht in Bocholt hat in der vergangenen Woche entschieden, dass die im Januar 2019 ausgesprochene Kündigung von acht Mitarbeitern am Halco-Standort Stadtlohn nicht wirksam sind. Beim Arbeitsgericht in Coesfeld sind weitere, über 100 Verfahren anhängig. „Wir gehen davon aus, dass in Coesfeld so wie in Bocholt entschieden wird“, sagt Judith Dirksmeyer. Die Juristin der DGB-Rechtsschutz GmbH steht den klagenden Halco-Mitarbeiter zur Seite.
Die Hüls-Unternehmensgruppe hatte im Oktober 2018 auf einer Belegschaftsversammlung angekündigt, ihr Tochterunternehmen Halco an den Standorten Coesfeld und Stadtlohn schließen zu wollen.
Die Entscheidung sei „nach Abwägung sämtlicher Handlungsoptionen“ getroffen worden, erklärte damals Paul Jähn als Chief Executive Officer (CEO) der Hüls AG & Co. KG. Der Schritt führe die Hülsta-Werke zu „besserer Wertschöpfung, besserer Auslastung und besserer Produktivität“.
Formale Fehler bei den Fristen
Das Arbeitsgericht in Bocholt kam in der vergangenen Woche zu der Überzeugung, dass bei der dann erfolgten Massentlassung formale Fehler passiert seien. Die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen zur Konsultation des Betriebsrats seien nicht eingehalten worden. Judith Dirksmeyer: „Der Betriebsrat hatte nicht ausreichend Zeit, sich mit dem Thema zu befassen.“
Die Entscheidung der Arbeitsrichter führt zu einer vertrackten Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Betriebsrat Wolfgang Bergerbusch stellt sich viele Fragen: „Haben die Kollegen zu Unrecht Arbeitslosengeld bezogen? Haben die Kollegen, die in ihrem neuen Arbeitsplatz weniger verdienen, nun Anspruch auf eine Entschädigung?“
Massenentlassung ohne Sozialplan
Freddy Tausendfreund (42) hat seit der Firmengründung 2002 bei Halco in Stadtlohn gearbeitet, zuvor war er schon zwei Jahre bei Hülsta beschäftigt. Ihn hat die Kündigung im Januar tief getroffen. Inzwischen hat er einen neuen Arbeitsplatz. Doch die Verbitterung über die Art und Weise der Entlassung ist noch da. „Es gab keinen Sozialplan, keine Entschädigung. Es wurde einfach gesagt: ,Die Taschen sind leer.‘ Das hätte ich vorher nicht für möglich gehalten.“
Dass die Kündigung von Januar jetzt vor dem Bocholter Arbeitsgericht für unwirksam erklärt wurde, erfüllt Freddy Tausendfreund mit Genugtuung. „Das ist doch ein kleines Stück Gerechtigkeit“, sagt er – auch wenn noch in den Sternen stehe, wie es weiter geht. Die Arbeitgeberseite wolle in Berufung gehen, sagt er. Und inzwischen läuft das neue Kündigungsverfahren, das formal richtig und fristgerecht die Kündigungen von Januar wiederholen sollen.
Betriebsräte und Gewerkschaft hoffen auf gütliche Einigung
Eine weitere juristische Auseinandersetzung berge eine „großes wirtschaftliches Risiko für den Arbeitgeber“, sagt die DGB-Juristin Judith Dirksmeyer. Schließlich seien erhebliche Entschädigungen an die Mitarbeiter oder auch an die Arbeitsagentur denkbar. Gewerkschaft und Betriebsräte hofften nun auf eine gütliche Einigung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Dirksmeyer: „Wir sind zu einem Vergleich bereit. Es muss eine Lösung her. Die Hüls-Gruppe muss als Mutter ihres Tochterunternehmens Halco mit in die Gespräche einsteigen.“ Die Hüls-Unternehmensgruppe wollte sich auf Anfrage unserer Redaktion vom Donnerstag „zum aktuellen Zeitpunkt nicht äußern.“
Freddy Tausendfreund gibt sich kämpferisch: „Ein Vergleich wäre gut, aber ich werde das notfalls auch juristisch weiter durchkämpfen.“ Der Betrtiebsrat treffe sich jetzt auch schon mal sonntags, „weil wir unter der Woche ja zum Teil in einem neuen Job arbeiten“, so Freddy Tausendfreund. Auch Wolfgang Bergerbusch will sich weiter „für die Kollegen und für die Gerechtigkeit“ einsetzten. Der 56-Jährige gehört zu den Halco-Kollegen, die noch keinen neuen Arbeitsplatz gefunden haben. „Ich war 37 Jahre bei Hülsta und Halco beschäftigt. Jetzt bin ich noch auf der Suche. In meinem Alter mache ich mir aber keine großen Hoffnungen.“
Ein letztes Sommerfest gefeiert
Wolfgang Bergerbusch ist damit nicht alleine. Das erfuhr er auf dem Sommerfest, dass die ehemaligen Halco-Mitarbeiter im August auf dem Betriebsparkplatz in Coesfeld feierten. „Wir wollten auf keinen Fall einfach so auseinanderlaufen, sondern uns voneinander verabschieden, wie es sich nach den vielen Jahren der guten Zusammenarbeit gehört“, waren sich die beiden Betriebsräte einig und hatten eingeladen zu Bratwurst und Bier.
Fast alle Belegschaftsmitglieder kamen, manche hatten bereits neue Jobs gefunden, aber längst nicht alle. „Trotz der insgesamt recht guten allgemeinen Arbeitsmarktlage ist das Jobangebot in der Möbelbranche offenbar ziemlich mau“, sagt Freddy Tausendfreund. Das gelte leider keineswegs nur für ältere Kollegen, wie sich in vielen Gesprächen gezeigt habe.
Halco-Mitarbeiter spenden 1000 Euro fürs Hospiz
In der vergangenen Woche zeigte das Sommerfest noch eine Nachwirkung. Die beiden Betriebsräte überreichten an die Leiterin des Stadtlohner Elisabeth-Hospizes, Rieke Liesmann, eine Spende.

Hospiz-Leiterin Rieke Liesmann freut sich über die die Spende der ehemaligen Halco-Mitarbeiter, die von Wolfgang Bergerbusch (ehemaliger Betriebsrat Halco Coesfeld; links) und Freddy Tausendfreund (ehemaliger Betriebsrat Halco Stadtlohn; rechts). © privat
Es handelt sich um den Restbestand der jetzt überflüssig gewordenen Sommerfestkasse der Halco-Mitarbeiter. Tausendfreund: „Die Kollegen fanden diese Idee sehr gut und haben auf dem Sommerfest noch spontan eine Sammelaktion gestartet.“ Insgesamt kamen so 1006,56 Euro für den guten Zweck zusammen.
Halco war 17 Jahre Tochter der Hüls-Unternehmensgruppe
- Die 2002 als Tochter der Hüls-Unternehmensgruppe gegründete Halco GmbH produzierte auf über 13.000 Quadratmetern in Produktionsstätten in Coesfeld und Stadtlohn Lack-, Möbel- und Aluminiumbauteile in Auftragsfertigung.
- Im Oktober 2018 kündigte die Hüls-Unternehmensgruppe die Schließung der Firma Halco für das Jahr 2019 an. Im Januar 2019 erhielten die Mitarbeiter ihre schriftlichen Kündigungen.
- In Coesfeld beschäftigte Halco vor einem Jahr noch rund 180, und in Stadtlohn an der Boschstraße rund 25 Mitarbeiter.