Ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt, ein Sturz, eine onkologische Erkrankung oder eine angeborene ‚Fehlfunktion‘: Mit dem Eintritt von Pflegebedürftigkeit müssen nicht nur zahlreiche Fragen innerhalb kürzester Zeit geklärt, sondern auch die Pflege organisiert werden.
In den meisten Fällen wird diese Pflege zu Hause von den Angehörigen, Freunden oder Nachbarn übernommen. Nicht selten geraten sie dabei an ihre persönlichen Grenzen.
„Mit dem zunehmenden Pflegebedarf wird sich auch die Anzahl der pflegenden Angehörigen in den nächsten zehn Jahren nahezu verdoppeln. Aus der Generation der ‚Babyboomer‘ wird bald die der ‚Pflegeboomer‘. Dieser Aufgabe müssen wir uns als Gesellschaft stellen und brauchen entsprechende Unterstützungsangebote für Betroffene und deren Familien“, forderte Lutz Schäffer, alternierender AOK-Verwaltungsratsvorsitzender und Versichertenvertreter bei der AOK Nord-West.
Welche konkreten Angebote pflegenden Angehörigen helfen können und wie eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gelingen könnte, darüber diskutierten Expertinnen und Experten beim ‚AOK-Tag 2022‘ der Selbstverwaltung in Dortmund.
Häusliche Pflege als Herausforderung
Rund 800.000 Pflegebedürftige in Nordrhein-Westfalen werden aktuell zu Hause gepflegt: Zwei Drittel von ihnen ausschließlich durch private Pflegepersonen wie Angehörige, Freunde oder Nachbarn.
„Der Pflegebedarf wird in Zukunft noch zunehmen. Das stellt Familien und Gesellschaft vor große Herausforderungen“, sagte Johannes Heß, alternierender AOK-Verwaltungsratsvorsitzender und Arbeitgebervertreter. Das Bedürfnis, in den eigenen vier Wänden von vertrauten Personen gepflegt zu werden, sei groß.
„Daher müssen wir die Rahmenbedingungen für die häusliche Pflege in den Blick nehmen und private Pflegepersonen noch besser unterstützen. Hemmschwellen beim Zugang zu Informationen und Hilfen müssen überwunden werden. Nicht nur die Vereinbarkeit von Pflege und Familie, sondern auch die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf spielen zunehmend eine Rolle“, so Heß.
PflegeGuides sichern kollegiale Erstberatung im Betrieb
So wurde in NRW in diesem Jahr das neue Landesprogramm zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gestartet. Es zielt auf die Verzahnung von Arbeits- und Pflegewelt ab und richtet sich sowohl an Arbeitgeber als auch an Beschäftigte.
Als ein erstes Produkt wurde der PflegeGuide eingeführt, der von der AOK NordWest und der AOK Rheinland/Hamburg getragen wird. Ziel ist es, etwa 140 PflegeGuides pro Jahr zu qualifizieren und damit kleine und mittelständische Unternehmen in NRW im Kontext von Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu unterstützen.
„PflegeGuides übernehmen die kollegiale Erstberatung bei Fragen zum Thema Pflege und Pflegebedürftigkeit und vermitteln an Leistungserbringer und zuständige Kostenträger“, erklärte Maik Vonau, Fachbereichsleiter Pflege bei der AOK Nord-West.
Familiale Pflege für einfachen Übergang vom Krankenhaus in häusliche Pflege
Mit dem Programm ‚Familiale Pflege‘ werden in NRW bereits seit über 15 Jahren pflegende Angehörige in speziellen Trainings und Kursen für die häusliche Pflege qualifiziert. „Damit ist es uns gelungen, mit praktischen Hilfen, den Übergang der Patienten vom Krankenhaus in die häusliche Pflege deutlich zu erleichtern“, so Vonau.
Darüber hinaus helfen die AOK-Pflegeberaterinnen auf Wunsch der Betroffenen auch gern in deren häuslicher Umgebung, die Pflege zu organisieren, koordinieren die notwendigen Leistungen wie Hilfsmittel oder Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen und unterstützen bei der Suche nach individuellen und wohnortnahen Lösungen.
Erfolgreich in die Praxis umgesetzt hat das Projekt der Familialen Pflege auch das Hüttenhospital Dortmund, das als geriatrisches Zentrum seit 2014 an dem Projekt teilnimmt.
Dazu sagte Pflegetrainer Mark Hensel: „Die Pflege eines Angehörigen ist eine besondere Herausforderung, die Familien an ihre Grenze bringen kann. Als Pflegetrainer bieten meine Kolleginnen und Kollegen gemeinsam mit mir umfassende Pflegetrainings bei uns im Hüttenhospital aber auch in der Häuslichkeit als Einzel- oder Gruppenpflegekurse an. Dazu gehört auch unser „Cafe der Sinne“, ein Projekt, welches sich primär an Menschen mit Demenz und deren Bezugspersonen richtet.“
Spezielle Angebote für pflegende Angehörige
Worauf es bei der Entwicklung spezieller Angebote für pflegende Angehörige und andere betreuende Personen in Zukunft noch stärker ankommen müsse, machte Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko von der Universität Witten-Herdecke deutlich.
„Was pflegende Angehörige wirklich brauchen, geht über die Unterstützung zur Bewältigung der eigentlichen Pflegesituation hinaus. Zielgruppenspezifische Angebote sollten auch eigene Bedürfnisse pflegender Angehöriger berücksichtigen. Spürbare Verbesserungen gelingen, wenn die Erfahrungen und Perspektiven der Angehörigen und der Pflegeberatenden berücksichtig werden. Denn aufgrund regionaler Unterschiede, individueller Hintergründe und persönlicher Wünsche werden Lösungen stets individuell angepasst werden müssen.“
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