Frauke ist eineinhalb Jahre alt: ein neugieriges Ouessant-Schaf. Warum es im Winter nicht friert, hat vor allem zwei Gründe. © Sylvia vom Hofe

Landleben

Wolle allein reicht nicht: Warum Schafe im Winter nicht frieren

Kaltluft polaren Ursprungs sorgt für eisige Nächte. Was der Deutsche Wetterdienst meldet, lässt frösteln - Menschen zumindest. Denn Schafe sind geschützt - nicht nur wegen des Fells.

Selm/Lünen

, 17.12.2022 / Lesedauer: 5 min

Angesichts der knackigen Kälte vorm vierten Advent 2022 wiederholen wir an dieser Stelle noch einmal einen Beitrag, den wir erstmals am 29. November 2021 veröffentlicht hatten.

Schafe frieren nicht. Das hat nicht nur mit der dicken Wolle zu tun, sondern auch Mit einem Besonderen Organ.

Ouessant ist eine französische Insel im Atlantik: der westlichste Punkt der Bretagne. Sie ist nicht nur schutzlos den Unbillen des Meeres ausgesetzt, sondern auch des Wetters. Und das verwöhnt die Insel und ihre Bewohner nicht gerade. Rau fegen Stürme über sie hinweg. Und selbst wenn es Hochsommer ist, klettert das Thermometer nicht über die 18-Grad-Marke. Diese Ile d´ Ouessant, das Filmliebhaber auch „Die Frau des Leuchtturmwärters“ nennen, ist die Heimat der Ouessant-Schafe. Goliath, Jane, Leonore und die 13 anderen Tiere der kleinen Herde zwischen Cappenberg und Wethmar haben freilich noch nie eine Klaue auf dieses ferne Eiland gesetzt.

Vom Atlantik zum Rande des Ruhrgebiets

Die schwarzen, braunen und die beiden weißen Schafe sind Ouessant-Schafe. ein anderer Name der Rasse lautet Bretonisches Zwergschaf: die kleinste Schafrasse Europas. Das verrät bereits einiges über die Tiere: Sie gelten als widerstandsfähig. Und sie sind klein. Böcke wiegen zwischen 15 und 20 Kilogramm und messen nicht mehr als 50 Zentimeter von Boden bis zum Hals. Auen, also die Mutterschafe, sind meistens sogar noch etwas gedrungener. Hilft geringe Größe, um Kälte besser auszuhalten? Die nach dem deutschen Biologen Carl Bergmann (1814-1865) benannte Klimaregel besagt eigentlich das Gegenteil.

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Wenn Tiere in kalten Gebieten leben, sind sie laut dieser Bergmannschen Regel oft größer als ihre Verwandten in wärmeren Gegenden. Schon im Biologieunterricht war von Amseln die Rede, die in Schweden Flügellängen von 136 Millimetern haben, in Deutschland von 132 Millimetern und im Norden Marokkos von nur 125 Millimetern. Noch augenfälliger wird die Sache bei größeren Tieren: Der Kaiserpinguin aus dem südlichen Polarmeer etwa übertrifft mit seiner Größe deutlich seine afrikanischen Verwandten. Und der Eisbär am Nordpol deutlich den Grizzly in Kanada.

Bergmannsche Regel: Zusammenhang zwischen Größe und Kälte

Wofür das gut ist? Gleichwarme Tiere wie Säugetiere und Vögel geben über ihre Oberfläche ständig Wärme ab. Diesen Wärmeverlust müssen sie ausgleichen, oder sie erfrieren. Laut Bergmann verlieren Tiere, deren Oberfläche klein bleibt im Verhältnis zum Volumen, weniger Wärme als Tiere mit einer relativ großen Oberfläche. Und größere Körper haben im Verhältnis zu ihrem Ausmaß eine kleinere Oberfläche. Sie verlieren im Verhältnis weniger Wärme als kleinere Tiere.

Das kleine Ouessant-Schaf scheint die wollige Ausnahme von dieser Regel zu sein: ein Beleg dafür, dass nicht nur Temperaturen entscheidend sind für die Entwicklung einer Art, sondern auch das Nahrungsangebot. Und das ist auf der kleinen Atlantikinsel spärlich. Leonore, Goliath und die anderen auf der Weide am Rande des Ruhrgebiets haben es da deutlich besser. Gras, Heu und ab und zu hartes Brot: Davon konnten ihre bretonisches Stammeltern nur träumen. Dass weder an der Atlantikküste noch in Westfalen selbst kleine Schafe nicht frieren, hat zwei Gründe.

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Erstens: die dicke Wolle. Sie und das in ihr enthaltene Lanolin, ein besonderes Fett, schützen selbst bei zweistelligen Minusgraden vor Kälte. Seit der Schur Mitte Juni - nach der sogenannten Schafskälte, wenn die Temperaturen noch einmal empfindlich abfallen - ist der natürliche, wasserabweisende und wärmende Outdoormantel wieder zu seiner aktuellen Größe herangewachsen.

Warm und auch gesund: Lammfell für den Kinderwagen

Die guten Seiten der Schafswolle machen sich seit jeher auch Menschen zu Nutze - nicht nur durch Wollpullover und Mützen, sondern auch durch die Nutzung von Lammfellen. Für viele junge Mütter und Väter gehört ein Lammfell als Unterlage zur Standardausstattung im Kinderwagen. Laut der Fachzeitschrift „Eltern“ wirkt es „wie eine natürliche Klimaanlage für den Kinderwagen, die mit ihren atmungsaktiven Eigenschaften für ein angenehmes Körpergefühl beim Baby sorgt“. Allerdings sei darauf zu achten, dass die gegerbten Fälle keine gesundheitsgefährdenden chemischen Substanzen enthalten. Naturprodukte könnten dagegen „sogar Asthma und Allergien bei Kindern vorbeugen“. Das hatte eine 2014 vom Bundesverband der Pneumologen vorgestellte Studie ergeben.

Die kleine Fine, das mit fast fünf Monaten jüngste Tier der Herde, hat ihr eigens Fell: atmungsaktiv und temperaturregulierend. Als es noch nicht zur aktuellen wuchtigen Größe herangewachsen war, hat sie sich immer ganz nah an ihre Mutter, aber auch an die Onkel und Tanten gekuschelt. Längst weiß Fine aber, dass die Wolle nicht das einzige Geheimnis ist, um schön warm zu werden. Dafür haben Schafe noch eine zweite Methode: ein inneres Kraftwerk.

Vier Mägen bilden ein inneres Kraftwerk - mit Abwärme

Das Geheimnis ist der Pansen: ein Organ, das nur Wiederkäuer haben, und das einen besonderen Zweck hat. Beim Grasfressen auf der Weide schluckt nicht nur der ungeduldige Goliath erst und kaut später. Das machen alle Schafe so - Dank ihrer vier Mägen. Das verschluckte Gras gelangt in den Pansen. Dort machen sich zahlreiche Bakterien und Wimperntierchen darüber her. Sie zersetzen die Pflanzennahrung in einem ersten Schritt - und produzieren dabei ganz nebenbei Wärme.

Wenn Goliath und die anderen meinen, sie hätten genug gefressen, legen sie sich hin. Die inzwischen leicht zersetzte Nahrung leitet der Pansen in den sogenannten Netzmagen weiter: eine Art Sortieranlage. Bereits ausreichend zerkleinerte Futterteile schickt er gleich weiter in den Blättermagen. Grobe Futterteile machen sich auf den umgekehrten Weg - zurück ins Maul. Dort werden sie jetzt sorgfältig zerkleinert - beim Wiederkäuen. Erst im Magen Nummer vier, dem Labmagen, und im Darm findet bei den Schafen die Aufspaltung in die einzelnen Nährstoffe und damit der Beginn der Verdauung statt, wie es auch im menschlichen Magen passiert. So lange Schafe etwas zu fressen haben, können sie sich wärmen. Auf der fernen Ile d` Ouessant genauso wie auf der heimischen Weide.

Der Unterschied: Auf der Insel, die ihnen einst den Rasse-Namen gab, gibt es inzwischen kaum noch Ouessant-Schafe. Und die, die dort grasen, sind in der Regel erst nachträglich wieder eingeführt worden. Denn das in Sachen Futter und Unterkunft so anspruchslose kleine Schaf war zwischenzeitlich ausgestorben.

Über Ausrottung und Rettung der Ouessant-Schafe

Anfang des 20. Jahrhunderts hat es den Menschen auf der Ile d`Quessant nicht mehr gereicht, zähe kleine Minischafe zu halten, die verglichen mit ihrer geringen Körpergröße viel Wolle liefern. Sie wollten eben nicht nur spinnen, stricken und sich daran wärmen, sondern auch essen. Daher kreuzten sie große weiße Festlandschafe ein, die bessere Fleischproduzenten waren: fast das Ende der ursprünglichen Ouessantschafe.

„Überlebt hat das Ouessantschaf als Jagdobjekt in Schlossparks auf dem französischen Festland und in der Haltung weniger reicher Privatleute, die Freude an dieser Rasse hatten“, ist beim Allwetterzoo Münster nachzulesen. Einigen Hobbyzüchtern in Europa sei es zu verdanken, dass diese Rasse heute noch existiert. Der Bestand in Frankreich erholte sich von 486 Tieren (1977) auf 2631 Tiere (2000) und ist seitdem weiter Gestiegen. Im Allwetterzoo bewohnen die Ouessant-Schafe seit 2005 die Streichelwiese im Kinder- und Pferdepark. Und die Tierpflegerinnen und -pfleger müssen regelmäßig die Frage beantworten, warum die Tiere im Winter nicht frieren.

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