Eine Woche ohne Handy. Eigentlich kaum möglich, dachte sich unsere Autorin und wagte das Experiment trotzdem. Hier sind Erkenntnisse nach sieben unmobilen Tagen.

Selm, Dortmund

, 31.01.2019, 16:30 Uhr / Lesedauer: 6 min

Piiiep pieeep pieeep. Ich erschrecke mich zutiefst. Dabei bin ich schon wach. Ich hatte ganz vergessen, wie furchtbar laut so ein Wecker sein kann. Ich habe nämlich seit etwa fünf Jahren keinen mehr. Irgendwann hatte er seinen Geist aufgegeben, und da so ein Handy prima wecken kann und ich es sowieso immer bei mir habe, blieb ich einfach dabei.

Warum ich das hier mache

Die Weckfunktion ist nur eine von vielen Funktionen, die ich an meinem Handy nutze. Doch sie macht mir deutlich, wie sehr dieses Gerät aus meinem Leben inzwischen nicht mehr wegzudenken ist. Ich mache dieses Experiment aus Neugier. Aber auch aus schlechtem Gewissen.

Das hatte ich schon mehrfach als eine Freundin mir erzählte, dass sie ihr Handy nachts immer ausstellt, wegen der Strahlung. Oder als ich gelesen habe, dass Kindergartenkinder in Hamburg dafür demonstriert haben, dass Erwachsene weniger auf ihr Handy starren. Oder als ich mit Christian Montag darüber gesprochen habe, wann Kinder eigentlich ein Handy bekommen sollten. Montag ist Psychologe an der Universität Ulm und hat das Buch „Homo Digitalis - Smartphones, soziale Netzwerke und das Gehirn“ geschrieben. Wir haben uns lange unterhalten und er fand, dass nicht nur Kinder lernen müssen, mit so einem Gerät umzugehen, sondern auch wir Erwachsenen.

In einer seiner Studien gaben erwachsene Teilnehmer an, dass sie durchschnittlich 2,5 Stunden am Tag am Handy verbringen. Das sind zwei Arbeitstage pro Woche. Eine erschreckende Zahl - und realistisch. „Silicon Valley hat uns diese Zeit gestohlen“, sagte mir Christian Montag. „Benutzen Sie zum Beispiel eine Armbanduhr und einen Wecker“, waren zwei der Tipps, die der Psychologe gab. Man solle sich nicht abhängig von den Geräten machen. Sie einsetzen ja. Aber eben bewusst.


Den Text dazu gibt es übrigens hier:

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Ich habe lange darüber nachgedacht, unmittelbare Konsequenzen hatte das Gespräch aber trotzdem nicht. Bis ein Kollege plötzlich dieses Selbstexperiment vorschlug: eine Woche ohne Handy. „Ach nö, das mache ich nicht“, dachte ich mir. Doch dann ist da wieder dieser Gedanke von dem Wecker und der Armbanduhr. „Könnte ich nicht doch? Sollte ich vielleicht sogar?“Ich sagte schließlich zu.

Die Spielregeln

Ich verzichte sieben Tage lang sowohl auf mein privates, als auch auf mein Diensthandy. Von Mittwoch bis Mittwoch. Ich habe beide Handys zwar in meinem Rucksack - falls ein absoluter Notfall eintreten sollte - doch die Handys sind ausgeschaltet und ich habe vor, sie nicht zu benutzen. Das heißt: Nicht mit dem Handy auf die Uhr oder auf den Wetterbericht gucken, unterwegs keine Artikel im Internet lesen, keine Fotos mit der Handykamera machen und mal eben bei Whatsapp verschicken. Kein Wecker, kein Telefon, keine Mails, keine Apps und - für mich besonders schmerzlich: auch kein Navigationsgerät.

Die Vorbereitung

Ich plane meinen kurzzeitigen Abschied aus der mobilen Welt mit großer Akribie. Ich sage den Kollegen, dass ich eine Woche lang schwieriger zu erreichen sein werde. Und schicke eine Whatsapp-Nachricht an meine Freunde. „Nur zur Info: Ich werde ab morgen eine Woche mein Handy nicht benutzen. Falls irgendetwas sein sollte, schreib mir einfach bei Facebook. Ich antworte dann, sobald ich kann.“ Es fühlt sich ein bisschen so an, wie Abschied nehmen. „Viel Erfolg“, wünschen mir manche, „viel Glück“, andere. „Du bist ganz schön mutig“, findet meine Schwester (29). Aber sie steckt auch noch tiefer drin als ich. Sie hat eine iWatch. Das heißt: Direkt an ihrem Handgelenk blinkt es, wenn sie eine Nachricht erhält.

Eine Freundin findet das Experiment gut und schreibt: „Im Urlaub klappt das bei mir immer ganz gut, aber im Arbeitsalltag...“ Ja, so geht es mir ehrlich gesagt auch. Niemand ist es mehr gewohnt, dass jemand anderes nicht erreichbar ist und nicht innerhalb kürzester Zeit reagiert. Und wer will da schon die nervige Person sein, die da nicht mitspielt? Das ist auch der Grund, warum ich meine Freunde überhaupt über dieses Experiment informiere. Ich möchte nicht, dass jemand ernsthaft wütend oder auch besorgt ist, weil er mich eine Woche lang nicht erreicht.

Eine andere Freundin ruft mich übrigens fünf Minuten, nachdem ich die Nachricht abgeschickt habe, an. „Ich habe eigentlich gar nichts zu erzählen“, sagt sie, „aber ich dachte, ich rufe mal an.“ Wir plaudern nett. Sollten wir viel öfter machen, statt irgendwelche Kurznachrichten hin und herzuschicken, finde ich.

Dann muss ich sie aber doch abwürgen: Ich muss nämlich noch einen Wecker kaufen. Dringend. So stehe also wenig später im Elektronik-Markt und frage mich, ob es dort, zwischen all den Smartphones und Waschmaschinen überhaupt noch so etwas Lächerliches wie einen Wecker gibt. Ich suche und suche und bingo: direkt neben den Wetterstationen stehen sie. Für 12 Euro wechselt der Wecker seinen Besitzer. Zu Hause angekommen bin ich fast wie unter Adrenalin. Ich schreibe die wichtigsten Handynummern in meinen - zum Glück analogen - Taschenkalender und repariere außerdem mein Festnetztelefon, das schon seit zwei Monaten nicht mehr funktioniert. War eigentlich gar nicht so schwer.

Bevor das Experiment losgeht, brauche ich einen Wecker und Batterien.

Bevor das Experiment losgeht, brauche ich einen Wecker und Batterien. © Sabine Geschwinder

Tag 1: Mittwoch

Als ich am Bahnsteig stehe und auf den Zug warte, werde ich nervös. Das sind genau die Minuten, die ich immer nutze, um Dinge mit meinem Handy zu erledigen. Nachrichten schreiben, lesen, was gerade so in der Welt ansteht. Alles, bloß nicht blöd an einem Bahngleis rumstehen und in der Gegend rumgucken. Heute muss ich das aushalten. Immerhin: Für die Fahrt von Dortmund nach Selm habe ich ein Buch dabei. Vielleicht schaffe ich es jetzt endlich mal, es fertig zu lesen.

Tag 2: Donnerstag

Seit ich kein Handy mehr benutzen kann, bin ich gewissermaßen zeitlos unterwegs. Ich habe nämlich keine Armbanduhr, weil ich das kratzige Gefühl an meinem Handgelenk nicht ausstehen kann. Zunächst habe ich darüber nachgedacht, mir eine Uhr zu leihen. Aber schnell musste ich feststellen: ist nicht nötig. Es gibt überall Uhren. Am Bahnhof, an und in Geschäften, am Bankautomaten, an der Kirchenuhr, am PC bei der Arbeit. Und selbst, wenn man mal wirklich keine findet, kann man fragen. Habe ich auch einmal gemacht. Der einzige Nachteil: mal eben schnell noch in ein Geschäft rein, bevor man los muss, das habe ich ohne Uhr lieber nicht riskiert. Wenn man eigentlich keine Zeit hat, artet das dann nicht sowieso immer in Stress aus? Es ist wirklich nicht schlimm auch mal zehn Minuten unnütz rumzustehen. Das hilft sogar beim Runterkommen.

Tag 3: Freitag

Ich habe einen Arzttermin und kann deshalb erst später zur Arbeit kommen. Weil mein Zug aber nur einmal die Stunde fährt, kann ich noch nicht genau abschätzen, wann ich in der Redaktion sein werde. Deshalb habe ich versprochen, mich telefonisch zu melden. Ich hab mich vorbereitet und einen Tag vorher im Internet geschaut, ob es in der Nähe meines Arztes eine Telefonzelle gibt. Ich habe sogar Glück: Keine 100 Meter entfernt steht eine. Es kommt aber gar nicht dazu, dass ich sie benutze. Ich laufe schnell zur U-Bahn, weil ich sonst möglicherweise den Zug verpasst hätte. Aber waren nicht auch am Hauptbahnhof Telefonzellen? Ich laufe jeden Tag dort lang und meine aus dem Augenwinkel mal‘ eine gesehen zu haben. Ich merke: Bei den Treppen zu den U-Bahnen sind sogar drtei. Ich schmeiße ein 50 Cent Stück in einen der Automaten und wähle die Nummer, die ich zum Glück auswendig kenne. Meine Kollegin geht dran, wir reden kurz über die Arbeit. Nur etwa eine Minute, dann wird es hektisch: mein Guthaben ist gleich aufgebraucht. Das Gerät macht tutende Geräusche und fordert mich auf, neues Geld einzuwerfen. „Ihr Gespräch wird beendet in 5,4,3 Sekunden“ steht auf dem Bildschirm. Es ist ein bisschen wie eine Reise in die Vergangenheit. Und ganz schön teuer.

Wenn man zu den U-Bahnen geht, stehen am Dortmunder Hauptbahnhof drei Telefonzellen. Das Bild entstand übrigens einen Tag nach dem Experiment.

Wenn man zu den U-Bahnen geht, stehen am Dortmunder Hauptbahnhof drei Telefonzellen. Das Bild entstand übrigens einen Tag nach dem Experiment. © Sabine Geschwinder

Tag 4: Samstag

Der Samstag ist der Tag vor dem ich am meisten Respekt habe. Ich nehme nämlich an einem Kurs teil und kenne den Weg zum Treffpunkt nicht genau. Mein Orientierungssinn ist wirklich nicht der beste. Die Adresse habe ich mir am PC vorher angesehen und weiß grob, wo ich hinmuss. Aber das heißt ja nichts. Ich stelle das Auto viel zu früh ab, weil es zu Fuß immer leichter ist umzukehren, wenn man sich verlaufen hat. Als ich auf den letzten Metern eine Frau mit Hund frage, wo ich hin muss, deutet sie auf das Gebäude nur wenige Meter neben mir. War ja klar, ich hab mir viel zu viele Gedanken gemacht.

Abends treffe ich mich mit Freunden. Den Termin hatte ich schon Dienstagabend nachdem ich meine Abschiedsnachricht geschrieben habe, ausgemacht. Mit dem Hinweis, dass ich nicht flexibel reagieren kann, falls sich kurzfristig etwas an Ort und Zeit ändern sollte. Hat es zum Glück nicht. Kaum bin ich da ist das Handy plötzlich das Gesprächsthema Nummer 1. Ein Freund meint, dass Menschen heutzutage bei Unfällen viel seltener die Polizei rufen, weil sie glauben, dass jemand anderes es schon gemacht hat - und sie wegen des Handys auch viel weniger auf ihre Umgebung achten. Ich glaube, er übertreibt etwas. Aber dass ich mehr auf meine Umwelt achte: ja, das kann ich selbst nach ein paar Tagen bestätigen.

Tag 5: Sonntag

Nach dem Sonntagsdienst bin ich eigentlich noch mit einer Freundin bei ihr zu Hause verabredet. Aber es dauert dann doch noch etwas länger als geplant und mir ist doch eher nach einer heißen Dusche und einem ruhigen Abend. Ich kann ihr leider erst absagen, als ich wieder zu Hause bin. Ich erreiche sie per Telefon nicht, deshalb schicke ich ihr eine Nachricht bei Facebook. „Nicht schlimm“, schreibt sie. Mir ist die späte Absage trotzdem unangenehm. Aber ich gebe zu: Per Messenger eine Verabredung abzusagen ist trotzdem so viel einfacher als eine Telefonabsage.

Tag 6: Montag

Inzwischen freue ich mich richtig auf die Zugfahrt. Ich schaffe es, heute mein zweites Buch fertig zu lesen. Dass es bei beiden Büchern auch um Technologie und die Zukunft geht, ist reiner Zufall. Ich hatte sie schon ausgeliehen, bevor ich wusste, dass ich dieses Experiment mache. Was ich gelesen habe? „Qualityland“ von Marc-Uwe Kling und „1984“ von George Orwell.

Tag 7: Dienstag

Nicht zum ersten Mal, überlege ich, wie es sein wird, wenn ich wieder ganz regulär an mein Handy angeschlossen bin. Ich sehe ein: Ganz verzichten darauf will ich gar nicht. So etwas wie ein Navigationsgerät möchte ich garantiert nicht mehr missen. Es macht mein Leben einfacher. Aber es geht auch ohne Handywecker und ständig auf mein Handy zu starren, um die Uhrzeit nachzusehen das braucht eigentlich niemand. Ich überlege, manche Apps zu deinstallieren. Vielleicht sogar Instagram. Das klaut mir nur Zeit. Und ich nehme mir wirklich vor, mein Handy öfter mal in der Rucksacktasche zu lassen. Denn nichts ist so wichtig, dass es nicht warten könnte. Und falls doch, wird dich die Person auch auf anderem Wege erreichen.

Ob ich das auch alles schaffe? Ich weiß es nicht. Aber andererseits: ich hätte auch nicht gedacht, dass ich es wirklich eine ganze Woche ohne Handy schaffe und nicht ein einziges Mal schummeln muss. Und das musste ich nicht. Ich schwöre bei meinem Navigationsgerät.

Sabine Geschwinder ist Redakteurin bei den Ruhr Nachrichten. Sie ist 31 Jahre alt und hat sich ihr erstes Handy mit 14 Jahren gekauft. Ein Alcatel. Damals kosteten SMS noch 40 Cent pro Stück und durften nicht länger als 160 Zeichen sein.
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