Hinter der Grenze sehen wir auf den Friedhöfen, die an der Straße liegen, die frischen Gräber, über denen die blau-gelben Fahnen wehen. Wir sind mit einem Hilfskonvoi auf dem Weg nach Lviv, von wo aus die zivile Infrastruktur im ganzen Land wieder instand gesetzt werden soll. Auf den Friedhöfen wurden ukrainische Soldaten beerdigt, die im Kampf um ihr Land getötet wurden.
Seit einem Jahr tobt der fürchterliche Krieg in der Ukraine. Ausgelöst durch den unberechtigten und völkerrechtswidrigen Überfall durch das russische Militär. In dieser Zeit gibt es tausende Gefallene, Ermordete, Verwundete, Vertriebene, Geflüchtete, Verschleppte, Vergewaltigte, Gefolterte, dazu verwüstete Landstriche und Ortschaften. Und ein Ende dieser Katastrophe mitten in Europa ist nicht abzusehen.
Schon sehr bald nach Ausbruch der Kampfhandlungen gab es eine Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft mit der Ukraine. Weil das russische Militär gezielt die ukrainische Infrastruktur zerstört, ist neben militärischer Hilfe auch zivile Hilfe wichtig.
Ich bin mit der Initiative „water4ukraine“ von Civitas Connect e.V. aus Münster unterwegs, die heute von über 40 kommunalen Partnern, Städten, Kreisen sowie kommunalen Energiedienstleistern unterstützt wird. Die gespendeten Materialien und Fahrzeuge wurden zuvor in Wuppertal bei den dortigen Stadtwerken zu Konvois gebündelt und von Freiwilligen in die Ukraine gefahren.
Zum 1. Jahrestag des russischen Einmarsches stand der sechste Konvoi in die Ukraine an: Zwei große Gelenkbusse von den Stadtwerken Krefeld, dazu fünf Kleintransporter unter 7,5 Tonnen Gesamtgewicht und zwei Begleitfahrzeuge für die Rückreise. Alle beladen mit dem, was die Wasserwerke in Lviv (Lemberg) dieses Mal auf ihre Wunschliste geschrieben hatten. Dazu noch etliche medizinische Hilfsgeräte.
Bei den ersten beiden Transporten im Sommer letzten Jahres war ich schon mit an Bord eines Fahrzeugs. Und deshalb wollte ich diesen besonderen sechsten Transport zum Jahrestag auch miterleben. Am Donnerstag, 23. Februar, versammelten sich die freiwilligen Besatzungen für die Fahrzeuge, um die weite Reise gen Osten erneut anzutreten.
Jedes Fahrzeug hatte eine doppelte Besatzung, um die Strecke von gut 1400 Kilometern an einem Stück zu bewältigen. Ich hatte das Steuer eines Mercedes Pritschenwagens in die Hand bekommen, der bis dahin in einer Kommune eingesetzt war, um mit seinem kleinen Ladekran die Eimer aus den Gullys zu entleeren. An den Bussen ausgerichtet bewegte sich der Konvoi mit etwa 80 Stundenkilometern, und so brauchten wir exakt 24 Stunden, bis das erste Ziel, der Ort Hrebenne direkt vor der ukrainischen Grenze in Polen, erreicht war. Die Übernachtung dort in einem Hotel füllte den eigenen Akku so einigermaßen wieder auf.
Am nächsten Morgen stand nun der Grenzübertritt auf dem Plan. Eine zeitliche Wundertüte, die nur mit Gelassenheit und guten Nerven zu schaffen war. Die zehn Kilometer lange Strecke war über die Hälfte an einer Seite mit wartenden Lkw belegt. Die armen Fahrer verbringen dort Tage, bevor sie den Schlagbaum hinter sich lassen können.

Wir waren zumindest relativ schnell in dem dann ablaufenden Prozedere der Kontrollen von Pässen, Papieren, Fahrzeugen und Ladung. Die Zeit rann so dahin und am Ende waren fünf Stunden vergangen, bis wir ukrainischen Boden betraten. Dort das gleiche Bild: über Kilometer wartende Lkw.
Auf der Fahrt durch Polen rollte unser Konvoi über die gut ausgebaute Autobahn 4. Das änderte sich in der Ukraine schlagartig. Man erkennt schnell, wo das Land jetzt steht. Zwischen einer bescheidenen Vergangenheit unter russischem Einfluss und einem Aufbruch in eine westlich orientierte Gesellschaft. In den drei Jahren unter der jetzigen Regierung hat sich viel getan. Aber es ist noch viel mehr zu tun. Durch den Krieg ist das alles zum Erliegen gekommen. Auf keiner Baustelle wird gearbeitet, denn die Männer werden im Militär gebraucht. Dafür rauchen aber die Schlote der Industrieanlagen, die Wirtschaft findet sichtbar statt.
Wenn es auch nur 70 Kilometer sind, die man bis Lviv über Land fährt, so vermitteln sie so viele Eindrücke zumindest über das Leben der Ukrainer in dieser Region, die mit Ausnahme von Luftangriffen vom großen Krieg, wie er im Osten herrscht, bisher verschont geblieben ist. Man sieht bewaffnete Soldaten im Straßenbild an den Kontrollstellen, die es dazu auch noch von der Polizei gibt. Man will genau wissen, wer hier in der Grenzregion unterwegs ist. Gesucht werden besonders Deserteure und Saboteure.
Am Abend erreichen wir dann den Betriebshof der Wasserwerke Lviv. Bei der herzlichen Begrüßung setzt Schneetreiben ein. Die Fahrzeuge, die wieder zurückfahren, werden entladen, dann geht es auf die andere Seite der Stadt ins Hotel. Die Stadt zeigt sich von der Beleuchtung her im Sparmodus, aber dennoch deutlich belebt. Die Menschen sind unterwegs, jeder versucht so viel Normalität zu bekommen wie möglich.
Unsere Konvoi-Empfänger sind längst zu guten Freunden geworden. Sie zeigen große Dankbarkeit für die insgesamt betrachtet bescheidene Hilfe durch uns. Aber mit allem, was so bei ihnen ankommt, sind sie in der Lage, wieder etliche Probleme zu lösen. Und sie wollen auf keinen Fall aufgeben, ihr Land vor dem Zugriff durch Putin zu bewahren.

Die Opfer, die das Land bei dem Kampf um seine Souveränität bringen muss, sind überall allgegenwärtig. Aber sie bringen die Menschen nicht zur Aufgabe, im Gegenteil.
Uns machen diese Eindrücke nachdenklich. Und sie lassen auch die Stunden bei der Ausreise vergessen, denn auch hier wird auf der einen Seite die Ukraine verteidigt und auf der anderen Seite der EU-Außengrenze Rechnung getragen.
Die Rückfahrt geht dann zwar schneller über die Bühne, verschlingt aber dennoch so viel Zeit, dass wieder eine Nacht am Lenkrad ansteht. Aber diesmal teilen es sich fünf Fahrer.