Das Kernkraftwerk Saporischschja in der Ukraine steht seit Kriegsbeginn unter russischem Beschuss. Das Risiko eines Zwischenfalls ist stark erhöht, der Austritt von radioaktiver Strahlung die größte Befürchtung.
Die Entfernung nach Deutschland ist aber wohl zu groß, als dass Menschen hierzulande gesundheitlich gefährdet sein könnten, erklärt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.
Dennoch empfiehlt die deutsche Strahlenschutzkommission den Landkreisen, Vorkehrungen zu treffen für den Fall, dass es in Atommeilern zu Störfällen und in der Folge zu nuklearen Katastrophen kommen könnte.
Der Märkische Kreis ist Ende September der „Rahmenempfehlung für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen“ gefolgt und hat 399.000 Jodtabletten an seine kreisangehörigen Kommunen verteilt.
Wo kann Radioaktivität freigesetzt und riskant für den Kreis Unna werden?
Das belgische Kernkraftwerk Tianges in der Provinz Lüttich, das rund 60 Kilometer vom Aachener Stadtgebiet entfernt liegt, gilt nach zahlreichen Störfällen in der Vergangenheit als Risikoherd.
Laut Empfehlung der Strahlenkommission sollen je nach Entfernung von einem Kernkraftwerk bestimmte Maßnahmen ergriffen werden. Der Kreis Unna liegt in einer „Fernzone“; denn nach der Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke liegt Tianges als nächstgelegener Reaktor mehr als 100 Kilometer entfernt.
Welche konkrete Gefahr besteht bei einem Störfall?
Bei einem Atomunfall in einem Kraftwerk im Ausland könne eine radioaktive Wolke nach Deutschland ziehen, erläutert der Kreis Unna auf Anfrage. Bei der Reaktorkatstrophe von Tschernobyl 1986 sei Radioaktivität auch hier noch messbar gewesen, obwohl der Unfallort über 1.500 Kilometer Luftlinie weit weg war. Zudem könne es auch andere Strahlenunfälle geben, nicht nur durch Störfälle in Atomkraftwerken.
Ein besonders hohes Risiko besteht durch den Austritt von radioaktivem Jod bei der Havarie eines Atomkraftwerks, das Nebenprodukt der Kernreaktion ist. Radioaktives Jod wird bei Aufnahme in den Körper in der Schilddrüse gespeichert und erhöht dort langfristig das Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken.

Was kann gegen radioaktives Jod helfen?
Das passende Stichwort lautet „Jodblockade“. Dazu führt die Strahlenschutzkommission aus: Eine Jodblockade werde durch die Einnahme von hohen Dosen stabilen Jods in der Größenordnung des 100- bis 1000fachen der täglichen Nahrungszufuhr erreicht. Die Schilddrüse könne dann das radioaktive Jod nicht mehr aufnehmen. Wichtig sei daher, dass die Jodtabletten vor dem Kontakt mit radioaktivem Jod erfolgt.
Die Einnahme von hochdosierten Jodtabletten schütze allerdings ausschließlich vor der Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse, nicht vor Strahlung, die von außerhalb den Körper trifft, oder vor der Wirkung anderer radioaktiver Stoffe außer Jod, die in den Körper aufgenommen worden sind.
Der Bergkamener Apotheker Johannes Hermes warnt dringend vor einer Selbstmedikation. Für Menschen über 45 Jahren seien hochdosierte Jodtabletten ohnehin tabu, betont Hermes: „Sie erhöhen das Risiko für schwerwiegende Schilddrüsenerkrankungen.“
Wie erfolgt die Ausgabe der Jodtabletten im Kreis Unna?
„Im Kreis Unna findet im Ereignisfall eine zentrale Verteilung statt, sprich, wir reagieren, wenn es notwendig ist“, heißt es seitens des Kreises in seiner Funktion als untere Katastrophenschutzbehörde.
Es gebe noch weit über 300.000 Tabletten, die an einem sicheren Ort gelagert werden. Sie reichten für rund 75.000 Menschen. Die Tabletten werden weiter gelagert.
Dagegen hatte der Märkische Kreis die ihm vom Land NRW zur Verfügung gestellten 399.000 Tabletten bereits an die Städte und Gemeinden ausgegeben, u.a. 90.000 Stück an Iserlohn, 72.000 an Lüdenscheid und 51.000 an Menden. „Hintergrund ist, dass der MK wesentlich größer ist als der Kreis Unna und im Ereignisfall eine zentrale Verteilung dort nicht möglich wäre“, erklärt dazu die Kreisverwaltung in Unna. Die Verteilung könne hier im Ereignisfall innerhalb von zwölf Stunden erfolgen.
Werden Jodtabletten im Märkischen Kreis schon an Personen verteilt?
Nein, gemäß einem Erlass des NRW-Innenministeriums werden die Jodtabletten in der Fernzone, in der auch der Märkischen Kreis liegt, nicht präventiv verteilt, sondern erst im Ereignisfall und nur an berechtigte Personen.
Die besonders schutzbedürftigen Gruppen sind Ungeborene, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, Schwangere und Stillende.
Für Kinder bis ein Jahr wird eine Viertel-Tablette ausgegeben, für Kinder bis drei Jahren eine halbe, bis zwölf Jahre eine Tablette und alle anderen erhalten zwei Tabletten. Die einmalige Einnahme ist grundsätzlich ausreichend. Eine weitere Einnahme wird bei Bedarf durch die zuständige Behörde angewiesen und an die berechtigten Personen weitergegeben.
Besteht im Märkischen Kreis Grund zur Sorge?
Ein klares Nein, heißt es von der dortigen Pressestelle. Es handele sich bei der Verteilung an die Kommunen um eine reine Vorsichtsmaßnahme, um für einen Ernstfall vorbereitet zu sein. Zum aktuellen Zeitpunkt bestehe keine akute Gefährdung der Bevölkerung.
Die vom Land NRW angeschafften Jodtabletten entsprechen im Übrigen nicht den sonst verfügbaren Jodtabletten zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen. Diese üblichen Jodtabletten bieten somit keinen adäquaten Schutz.