Prügelei in Cappenberg endete 1971 mit dem Tod Annita Oswald sucht nun nach der Wahrheit

Prügelei endete 1971 mit dem Tod: Annita Oswald sucht nun nach der Wahrheit
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Am 3. September sitzen in der Probierstube der Brennerei Kreutzkamp etliche Männer an dem großen Holztisch zusammen und genießen die Schnäpse des Hauses. In Cappenberg ist diese kleine Gastronomie heute noch als „Hackenschussbar“ bekannt, auch wenn es sie schon lange nicht mehr gibt. Die Zecher sind Männer aus Leer in Ostfriesland, sie kommen regelmäßig hier her. Es sind Grasschneider, die mit ihren speziellen Maschinen die Böschungen der Wasserläufe abmähen, etwa an der Seseke. Die anderen vier Männer sind Zimmerleute, darunter Jürgen G. Oswald. Er ist gebürtiger Deutscher, arbeitet aber als Zimmermann für ein Bauunternehmen im niederländischen Almelo und ist auch dort wohnhaft.

Nach einigen hochprozentigen Runden werden schließlich auch Friesen-Witze erzählt, was bei denen nicht gut ankam. Schnell entwickelt sich eine Prügelei zwischen Oswald und einem Ostfriesen. Der 50-jährige Mann aus Leer revanchiert sich für die deftigen Pointen mit kräftigen Faustschlägen. Mit lauten Hilferufen versucht der 30-jährige Niederländer zu flüchten, versteckt sich in einem benachbarten Garten hinter Büschen, wird aber dort von seinem Widersacher aufgestöbert. Es kommt erneut zu einem Kampf. Dabei soll, so die Kriminalpolizei aus Werne damals, der Ostfriese den fast wehrlosen Gegner durch die große Glasscheibe eines Wintergartens geschleudert haben.

Der Anreißer auf der Titelseite der Ruhr Nachrichten.
Der Anreißer auf der Titelseite der Ruhr Nachrichten. © Annita Oswald
So berichteten die Ruhr Nachrichten 1971 über den Fall.
So berichteten die Ruhr Nachrichten 1971 über den Fall. © Annita Oswald

Jürgen Oswald verblutete

Durch die Glassplitter wurde bei Oswald die Schlagader an einem Oberschenkel zerschnitten. Und noch bevor Polizei und Feuerwehr eintrafen, war er verblutet und tot. Die Hausbewohner hatten die Geräusche gehört, glaubten zunächst an Einbrecher und fanden den blutüberströmten Mann mit dem Kopf zur Tür liegend.

Die Kripo konnte den Täter noch vor Ort festnehmen. Für den Familienvater von drei kleinen Kindern kam jede Hilfe zu spät. Sein Leichnam wurde nach Almelo überführt, wo er begraben wurde.

Jürgen Oswald stammte ursprünglich aus dem Saarland. Drei Töchter mussten um den Vater trauern. Die älteste, Annita, ist gerade erst fünf Jahre alt. 54 Jahre nach diesem schrecklichen Ereignis kommt sie vor Ostern nach Cappenberg. Sie ist in Begleitung ihres Partners Albert Eshuis und hatte sich vorab per E-Mail mit Franz-Peter Kreutzkamp verabredet. Die Brennerei Kreutzkamp ist ihr Ansatzpunkt für Nachforschungen, was mit ihrem Vater hier einmal passiert ist.

Der Führerschein von Jürgen G. Oswald.
Der Führerschein von Jürgen G. Oswald. © Familie Oswald

Schweigen bei der Mutter

Bei einem Cappenberger Tröpfchen kommen sie ins Gespräch und versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Der wichtigste Anlass für ihre Reise ist, einmal den Ort zusehen, an dem ihr Vater sein Leben lassen musste. Ihre Mutter, die vor fünf Jahren verstorben ist, hat mit ihren Töchtern nie ein Wort über das Schicksal ihres Mannes geredet. „Ich habe meinen Vater als sehr herzlich in Erinnerung. Meine Mutter hat vor dem Thema Cappenberg eine Wand aufgebaut, die nicht gefallen ist“, berichtet Annita Oswald. Aber damit wollte sie sich nicht abfinden. Erste Reisepläne scheiterten an Corona, aber jetzt hat es geklappt. Für drei Tage haben sie und ihr Partner sich in Werne einquartiert und von dort ihre Recherchen gemacht.

Wer kann sich in Cappenberg noch an dieses Ereignis erinnern? Die Brennerei gibt es schon lange nicht mehr und die berüchtigte Bar auch nicht. Um verschiedene Ecken kam dann Otto Löchter ins Spiel, ein Cappenberger Urgestein, das sich im Ort auskennt, und auch in der besagten Zeit von 1971. Und es zeigte sich, er war der Volltreffer. „Ich war an diesem Abend später auch dort und kam dazu, als nach dem ersten Handgemenge die Stimmung in der Bar auf dem Tiefpunkt war. Die Streithähne stürmten aus dem Lokal und liefen die Dorfstraße hinunter“, erzählt er. „An dem Haus von Ashoff ist dann das tödliche Ende passiert, ich kann mich an die große Blutlache erinnern“.

Der junge Jürgen G. Oswald steht auf einem alten Foto in einem Türrahmen.
Blick ins Familienalbum: Jürgen G. Oswald war ein attraktiver junger Mann. © Familie Oswald

Nichts vom Vater geblieben

Bleibt jetzt nur noch, zu klären, was mit dem Täter passiert ist. Es musste wegen der Schwere der Tat, einen Prozess gegeben haben. Das herauszufinden, ist nun der nächste Schritt. Für Annita Oswald aber war das, was sie bis jetzt gehört hat, schon eine große Erleichterung und ein sehr emotionaler Moment. „Von meinem Vater ist mir nichts geblieben“, sagt sie. „Bei seinem Bruder in der Nähe von Saarbrücken haben wir im Keller eine Kamera entdeckt, die meinem Vater gehörte. Das ist alles.“