Vanessa Justin (33) aus Selm startet als Bodybuilderin durch „Kein Schwein hat an mich geglaubt“

Bodybuilderin Vanessa (33) aus Selm ist „Mrs. Universe“: „Kein Schwein hat an mich geglaubt“
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Wenn Vanessa Justin aus Selm von den Anfängen ihrer sportlichen Laufbahn erzählt, fällt ein Satz, den Außenstehende leicht als Allgemeinplatz abtun könnten. „Gesundheit ist das höchste Gut, was man hat“, sagt die 33-Jährige. Doch die Selmerin spricht in mehrerlei Hinsicht aus Erfahrung.

Zum einen ist sie gelernte Krankenschwester. „Beruflich habe ich also immer schon mit Gesundheit zu tun gehabt“, erklärt Justin, die im Hospiz in Bork arbeitet. Zum anderen hat sie am eigenen Leib erfahren, dass Gesundheit keine Selbstverständlichkeit ist.

Vanessa Justin bekam die Diagnose Lipödem

„2016 habe ich die Diagnose Lipödem erhalten“, erzählt Justin. Dabei handelt es sich um eine chronische Störung der Fettgewebsverteilung im Körper. Fast ausschließlich Frauen sind betroffen, bei Vanessa Justin zeigten sich die Fetteinlagerungen vor allem in den Beinen, besonders an den Oberschenkeln.

Die Ärzte hätten ihr damals sogar vom Sport abgeraten und eine Operation empfohlen. Für Vanessa war das zu jenem Zeitpunkt keine Option. „Das hätte auch bedeutet, dass ich länger bei der Arbeit ausgefallen wäre, und das wollte ich einfach nicht.“ Stattdessen wollte sie allen beweisen, dass es auch anders geht, nämlich mit eisernem Willen und Disziplin. „Damals hat kein Schwein an mich geglaubt“, erinnert sie sich. „Ich habe dann aber gesagt: ‚Ich mache es einfach!‘“

Dass sie gut acht Jahre später bei großen Bodybuilding-Events antreten und in diesem Herbst sogar den Titel bei einer Weltmeisterschaft – der „Universe 2024“ – gewinnen würde, hätte sie damals dennoch nie im Leben gedacht. „Mir ging es erst mal nur darum, einfach fitter zu werden. Ich habe anfangs eigentlich ohne Plan trainiert, aber war immer brav dabei“, sagt die 33-Jährige mit einem Lachen.

Vanessa Justin posiert in einem Bikini
Im November wurde Vanessa Justin Zweite bei der Deutschen Meisterschaft des Bodybuilding-Verbands NAC Germany. © Marek Neppl

Ihre Krankheit sei dabei immer mehr Motivation als Hindernis gewesen. Von starken Schmerzen, die manche Betroffene erleben, sei sie zum Glück weitestgehend verschont geblieben. „Trotzdem hast du im Training natürlich schon einen höheren Leidensdruck“, sagt Justin.

Nach einer Zeit fand sie Gefallen am regelmäßigen Training. Zunächst ging sie allein ins Fitnesstudio, arbeitete dann mit einem Personal Trainer aus Lüdinghausen zusammen. „Das hat mir viel Selbstbewusstsein gegeben und ich bin mir immer klarer geworden, was meine eigenen Ziele sind“, sagt die Selmerin.

Wettkampfdiät verlangt Bodybuildern viel ab

Schnell habe sie gemerkt, dass sie mit speziellen Übungen sehr gut Muskeln aufbauen kann. „Der Personal Trainer ist mir aber irgendwann zu teuer geworden, dann habe ich alleine weitergemacht“, erinnert sie sich. In der Corona-Zeit habe sie zunächst im Rahmen der Möglichkeiten weitertrainiert, in die Bodybuilding-Szene sei sie dann aber erst 2022 „reingerutscht“.

Seitdem arbeitet sie mit Fitnesstrainern aus Hamm zusammen, die sie bestmöglich auf die Events vorbereiten. Um die reine Fitness geht es dabei längst nicht mehr. „Bei den Bodybuilding-Veranstaltungen bewerten mehrere Wertungsrichter die Ausstrahlung, das Posing und den Look allgemein“, erzählt Justin.

Nach einem ersten Wettkampf in der sogenannten Bikini-Klasse im Oktober 2023 wechselte sie in die Wellness-Klasse, bei der vor allem eine extrem definierte Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur im Fokus stehen. Hier wurde sie im Oktober dieses Jahres Westdeutsche Meisterin, danach Zweite bei der Deutschen Meisterschaft und triumphierte schließlich über sechs Konkurrentinnen aus der ganzen Welt bei der „Universe“-Veranstaltung in Cuxhaven am 30. November. Seitdem darf sie sich offiziell „Ms. Universe“ nennen.

Vanessa Justin und Steffi Hojczyk nebeneinander
Vanessa Justin (r.) mit ihrer Trainerin Steffi Hojczyk aus Hamm. © privat

Dass das Training für diese Wettkämpfe mit einigen Entbehrungen verbunden ist, versteht sich von selbst. „Du machst 36, 37 Wochen lang Wettkampfdiät, versuchst, dich in eine bestimmte Form reinzutrainieren“, erklärt Justin. Neben dem täglichen Trainingsprogramm geht es vor allem um die passende Ernährung.

„Es geht ja darum, wenig Fett und viele Muskeln zu haben. Deshalb streicht man zunächst viele Kohlenhydrate vom Speiseplan“, berichtet die Bodybuilderin. Auf Fette müsse sie natürlich auch achten, entscheiden sei aber die Menge an Kalorien, die sie zu sich nehme.

„In meiner Wettkampfklasse sind das im Laufe der Wettkampfdiät irgendwann nicht mehr als 800 bis 1000 Kalorien pro Tag. Es ist schon ein bisschen ein kontrolliertes Verhungern und nicht unbedingt gesund für den Körper“, sagt Justin. In der Woche vor einem Wettkampf trinke sie manchmal sieben Liter Tee am Tag, um den Körper zu entwässern und somit die Muskeln noch mehr zu definieren.

Körperkult hat Grenzen

Was für den ersten Moment wie ein Widerspruch zu ihren einleitenden Worten zum Thema Gesundheit wirkt, ergibt für die 33-Jährige jedoch Sinn. „Es geht darum, ein Gefühl für seinen Körper zu finden und den Blick auf sich selbst nicht zu verlieren“, sagt Vanessa Justin. „Das ist etwas, worauf mich mein Coach immer wieder hinweist.“ Dauerhaften Schaden möchte sie ihrem Körper nicht zufügen, deshalb achte sie auf die Balance von Wettkampfdiät und der sogenannten „Off-Season“, in der dann auch mal eine „normale“ Ernährung möglich ist. „Die Menge macht das Gift“, sagt sie mit Bestimmtheit.

Vanessa Justin lächelt in die Kamera
Vanessa Justin lebt seit 2016 mit der Diagnose Lipödem und hat durch den Sport ein neues Verhältnis zu sich selbst gefunden. © Marek Neppl

Und wie kommt das Hobby Bodybuilding bei Freunden und Familie an? „Zuerst haben sie mir, glaube ich, eher den Vogel gezeigt und gedacht ‚Jaja, lass die Vanessa mal Bodybuilding machen‘“, erzählt die Selmerin und lacht. Inzwischen seien sie aber auch stolz.

Am wichtigsten sei ohnehin, mit sich selbst im Reinen zu sein. „Es ist mein Leben und mein Glück, um das es geht“, betont Vanessa Justin und erinnert sich an den Moment, als sie zum ersten Mal bei einem Bodybuilding-Wettkampf auf der Bühne stand – „eingeölt, geschminkt und im knappen Bikini. ‚Vanessa, du hast das echt durchgezogen‘, habe ich da zu mir gesagt.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist zum ersten Mal am 4. Dezember 2024 erschienen. Wir haben ihn erneut veröffentlicht.