Wenn das Thema Tod alltäglich ist: mit Selmer Bestattern unterwegs. Sie geben Einblicke in ihre Gefühlswelt. Der Beruf ist im Wandel, beschäftigt sich aber mit einer der Konstanten im Leben.
Tür auf und eingestiegen. Erstaunlich weiche Sitzfläche. Wie ein weicher Sessel. Der Beifahrerplatz in dem langen schwarzen Auto ist erstaunlich bequem. Fast jeder Mensch muss früher oder später in so einem Gefährt mitfahren – nicht viele allerdings auf dem Vordersitz.
„Manche Leute machen schon mal aus Reflex einen Zwei-Meter-Satz, wenn sie das Auto sehen“, sagt der bärtige Mann am Steuer. Das liege am Aberglauben. Gekonnt führt er den schwarzen Leichenwagen durch teils enge Selmer Straßen. Der Mann heißt Frank Modler und der 49-Jährige ist Bestatter.
So sicher wie Modler den Wagen führt, könnte man meinen, er hätte sein ganzes Leben nichts anderes gemacht. Doch Frank Modler ist „Quereinsteiger“, wie er es selbst nennt – als gelernter Bankkaufmann und mit Medizinstudium kam er erst vor rund 15 Jahren über Umwege in den Beruf. Verständlich, dass es zunächst Berührungsängste mit dem Thema Tod gibt, sagt er. „Sei es die Optik oder auch der Geruch.“ Bereits in seinem Studium hat er seine erste Leiche gesehen. „Das war im Präpariersaal. Das war schon komisch“, erinnert er sich.
Mehr mit den Lebenden, als mit den Toten zu tun
Heutzutage ist er daran gewöhnt. Klingt seltsam, doch eigentlich ist es ein Thema, das jeden angeht, mit dem sich jeder früher oder später beschäftigen muss. „Trotz Gewöhnung darf man nicht die Sensibilität verlieren“, sagt Frank Modler deshalb. Sensibilität und Empathie seien Dinge, die auch, oder vor allem, im Umgang mit den Lebenden, den Angehörigen, gefordert sind. Ein Bestatter hat viel mehr mit diesen zu tun, als wirklich mit den Toten, sagt er. „Der Anteil, den man sich mit den Toten beschäftigt, ist vielleicht 20 bis 30 Prozent“, meint der Bestatter.
Das bestätigt auch seine Partnerin Claudia Meier (47). Partnerin, beruflich und privat. Sie haben sich im Krematorium kennengelernt, wo sie vorher arbeitete. Jetzt betreiben sie ihr Geschäft „Himmel und Erde“ am Sandforter Weg in Selm. Immer wieder beweisen sie auch Humor. „Wir sprechen bei der Aufbahrung auch schon mal mit den Toten“, sagt Claudia Meier schmunzelnd. Ein Mittel, den Abstand zu wahren – vermutlich.

Bestatter Frank Modler (49) hält auch Trauerreden. © Wilco Ruhland
„Die meisten Menschen kommen erst einmal angespannt hier hin und gehen hoffentlich mit einem Lächeln“, sagt Modler. Angespannt sei allerdings nur eine Facette. Wie die Gespräche, die Erstbesprechungen mit den Angehörigen oder Vorsorgegespräche ablaufen, sei vielfältig. „Da erlebt man alles“, sagt Claudia Meier. Ob Wut, Ohnmacht oder Positivität.
Auch skurrile Ergebnisse gebe es viele und der eine oder andere ungewöhnliche Wunsch für die Bestattung – eine Trauerfeier mit Hawaiimusik zum Beispiel. „Was wir mit unserem Gewissen vereinbaren können, versuchen wir auch umzusetzen“, sagt Modler. „Manchmal muss man auch die Rechte der Verstorbenen vertreten“, sagt er zudem. Etwa, wenn der zu Bestattende vor seinem Tod Vorsorge-Vereinbarungen mit dem Bestatter getroffen hat, die die Angehörigen dann nicht einhalten wollen.
Aber: „Es gibt kaum einen Job, bei dem man so viel positives Feedback bekommt“, meint Modler. „Es ist so gesehen ein dankbarer Job“, meint auch Claudia Meier. Etwa wenn die Angehörigen Wochen nach einer Bestattung in den Laden kommen, um sich zu bedanken.

Die Bestatter Frank Modler (49) und Claudia Meier (47) sind Partner: privat und beruflich. © Wilco Ruhland
Am Selmer Friedhof ist es eng für das Auto. Noch enger als in den Selmer Nebenstraßen, in denen das eine oder andere parkende Auto umkurvt werden muss. Besonders eng ist die Stelle, wo das Auto normalerweise die Toten anliefert. Etwas versteckt, etwas verwinkelt. Die Außenspiegel des Leichenwagens sind hier permanent in Gefahr, der Blick durch die Heckscheibe ist naturgemäß schwierig. Die Scheibe zwischen Fahrerkabine und Kofferraum, worin der Sarg transportiert wird, ist verdunkelt. Bei dieser Fahrt ist er aber leer.
„Empathie ist ganz wichtig“, wiederholt Frank Modler auf die Frage, was denn einen guten Bestatter ausmacht. „Man muss kommunikativ sein, ein Talent für Organisation haben, flexibel sein, improvisieren können und auch kreativ sein. Belastbar und körperlich kräftig zu sein, ist auch nicht unwichtig. Zudem sollte man gerne mit Menschen arbeiten“, zählt er weiter auf.
Ein Beruf im Wandel, wie das gesellschaftliche Leben
Der Beruf ist in den letzten Jahren im Wandel. Dies sei schon allein daran festzumachen, dass der Beruf Bestattungsfachkraft seit 2003 in Deutschland ein anerkannter Lehrberuf mit drei Fachschulen ist, erklärt Elke Herrnberger, Sprecherin des Bundesverbandes Deutscher Bestatter mit Sitz in Düsseldorf. Unter anderem gibt es den weltweit derzeit einzigen Lehrfriedhof im unterfränkischen Münnerstadt. Im Bundesverband der Bestatter seien etwa 81 Prozent aller Bestatter organisiert.
Ebenfalls in der Landeshauptstadt am Rhein sitzt der Bestatterverband Nordrhein-Westfalen. Nicht im gleichen Gebäude, nicht auf der gleichen Straße. Dennoch arbeiten sie zusammen.
Der Geschäftsführer des Landesverbandes, Christian Jäger, meint, das Bestattungswesen sei „eine relativ kleine Branche.“ Es gebe bundesweit rund 4000 Betriebe, in NRW etwa 1100 bis 1200. „Gott sei Dank gibt es da keine große Dynamik“, sagt Jäger und meint damit keine groß schwankenden Sterberaten, die eine ebenso schwankende benötigte Zahl an Betrieben bewirken würde. Aber der Beruf an sich sei trotzdem im stetigen Wandel, sagt auch er. „Der Tod ist eine der wenigen Konstanten im Leben“, sagt Jäger. Um die Jahrtausendwende herum habe es einen Umschwung gegeben: von hauptsächlich Erdbestattungen auf mittlerweile circa 60 Prozent Feuerbestattungen, erklärt Jäger.
Die vielen Aufgaben der Bestattungsfachkraft
Die „alten“ Aufgaben gibt es noch, doch es sind neue dazugekommen, sagt dazu Elke Herrnberger. „Das Thema digitaler Nachlass wird immer größer“, meint sie weiter. „Wir sind mittlerweile alle digital.“ Daher sei es auch wichtig, sich mit dem Thema zu befassen. In Selm sei das Thema allerdings noch nicht so groß, meint Frank Modler. „Das ist erst noch im Kommen.“
Die Selmer seien insgesamt noch sehr traditionell eingestellt, meint er. Ein Beispiel: Särge, die sich aufklappen lassen - wie man sie vor allem aus amerikanischen Filmen kennt - finden noch keinen Anklang bei den Selmern. „Ich habe das mal versucht. Aber das wollen die Leute hier nicht“, sagt Modler. Die Selmer legen noch Wert auf verschraubbare Särge, am besten aus Eiche.

Die Selmer legen noch wert auf verschraubbare Eichensärge. © Wilco Ruhland
Ein Bestatter ist ein sehr vielfältiger Job. Immerhin sind viele Leute froh, wenn sie im Trauerfall jemanden haben, der alles regelt. „Das geht auch oft über das normale Maß unserer Arbeit hinaus“, sagt Claudia Meier. „Aber das macht man dann einfach“, ergänzt ihr Partner.
Sei es die Abholung, die Vorbereitung der Trauerrede, Kontakt mit der Verwaltung, die Organisation der kirchlichen Unterstützung, das Festlegen des Termins, das Kümmern um Drucksachen, Schalten einer Todesanzeige, Blumenbestellung, Dekoration für die Trauerhalle, Musik für die Trauerfeier, Lebensversicherung, Sterbeurkunde, Krankenkassenabmeldung und und und.
Mehr Bewerber als Stellen
Trotz der relativ wenigen Betriebe, sei der Beruf sehr beliebt bei Anfängern, bestätigt Christian Jäger vom Landesverband. „Es gibt deutlich mehr Bewerber als Arbeitsplätze“, meint er. Stichwort „relativ kleine Branche“. Bestattungsfachkraft sei ein Dienstleistungsberuf, der traditionell im Handwerk liegt, sich jedoch auch immer weiter Richtung Beratung, Vor- und Nachsorge bewege. Der Beruf habe etwas von Veranstaltungsmanagement, sei abwechslungsreich und fordernd, erklärt sich Jäger die Beliebtheit.
Die Beliebtheit sieht auch der Selmer Bestatter Frank Modler. Früher hätte er selbst ausgebildet. Heute bekämen sie viele Praktikumsanfragen und das Gros der jungen Leute hätte auch kaum Berührungsängste – im wahrsten Sinne des Wortes.

Einer der Aufbahrungsräume am Selmer Friedhof. © Wilco Ruhland
Auch einen wesentlich höheren Anteil an weiblichen Bestattern gebe es mittlerweile zu verzeichnen, erklären sowohl Elke Herrnberger, Christian Jäger als auch Frank Modler.
Das Verhältnis sei in etwa ausgeglichen. Warum das so ist? Das läge wohl am Nachwuchswechsel, meint Herrnberger. „Die ältere Generation geht so langsam. Viele gehen in Rente“, sagt sie. „Es ist mittlerweile nicht mehr nur Familientradition.“
Frank Modler erklärt außerdem, während er den langen schwarzen Wagen vom Friedhofsgelände steuert, manche könnten in ihrer Trauer besser persönlich mit Frauen, manche mit Männern sprechen, wenn um das Thema Trauer und Bestattung der Angehörigen geht. Deshalb passe das bei ihnen ganz gut, sagt er.
Muss man abgestumpft sein?
Empathie ist wichtig, doch wie schafft es jemand, der so viel mit dem Tod und Trauernden zu tun hat, die Dinge nicht zu nah an sich heranzulassen? Ist er abgestumpft? „Abgestumpft auf keinen Fall“, widerspricht Frank Modler hier. Es gebe da solche und solche Fälle. Einiges gehe ihm auch nahe.

Mittlerweile sind es mehr Feuer- als Erdbestattungen. © Wilco Ruhland
„Ich musste mal kurz vor Weihnachten zu einer Unfallstelle um einen Toten abzuholen und wusste vorher nicht, was mich erwarten würde. Es war ein Kind. Da war Weihnachten für mich gelaufen“, erinnert er sich. „Kinder sind immer ganz schlimm. Zum Glück gibt es das nicht ganz so häufig.“ Aber auch bei anderen Fällen sei es schon vorgekommen, dass er nach der Arbeit weinen musste, sagt Modler ganz offen. Das passiere nicht oft, sei aber schon vorgekommen.
Das permanente Familienthema
„Trotzdem muss man den Leuten auch eine Stütze sein. Wenn wir uns jedes Mal weinend in den Armen liegen würden, wäre ich keine Hilfe“, sagt er auch bestimmt. „Man sollte Mitgefühl zeigen, aber möglichst kein Mitleid“, formuliert Claudia Meier es.
Kommt man in so einem Fall ans Überlegen, einfach alles hinzuschmeißen? Einfach aufzuhören, sich doch wieder mit einem anderen Beruf beschäftigen? „Nein“, sagt Modler. „Da muss man sich schütteln und weitermachen.“ Dabei hilft ihm auch seine Partnerin. Sie können nach der Arbeit noch gemeinsam über das Erlebte sprechen. Auch die Kinder, die beide jeweils mitgebracht haben (von ihr zwei, von ihm eins) kennen das Thema. Ein permanentes Familienthema: der Tod.
Das Auto ist abgestellt. Die Nachbarn am Wohnort wundern sich schon lange nicht mehr, dass bei ihnen in der Straße ein Leichenwagen steht, erzählt Frank Modler. Im Gegenteil: Einer der Nachbar ist sehr interessiert. Er durfte auch schon mal in dem Bestattungswagen sitzen – und zwar vorne.
Der letzte Weg: Sterben und Tod
Mit unserer Serie „Der letzte Weg: Sterben und Tod“ wollen wir das Thema Tod aus der Tabuzone holen. Denn Sterben gehört zum Leben dazu. Grund genug, darüber offen zu sprechen.Baujahr 1993, gebürtig aus Hamm. Nach dem Germanistik- und Geschichtsstudium in Düsseldorf und dem Volontariat bei Lensing Media in der Stadtredaktion Dortmund gelandet. Eine gesunde Portion Neugier und die Begeisterung zum Spiel mit Worten führten zum Journalismus.
