Als „größte Bedrohung für unsere Demokratie“ bezeichnet NRW-Innenminister Herbert Reul die Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht. Der Verfassungsschutz des Landes stellte jüngst in einem 100 Seiten langen Bericht die aktuellen Entwicklungen rechtsextremistischer Aktivitäten dar. Eine Erkenntnis: 2024 stieg die Zahl der politisch rechts motivierten Straftaten um 59 Prozent – von 3549 Fällen im Jahr 2023 auf insgesamt 5641 registrierte Taten.
Gemessen an der Gesamtzahl der bekannt gewordenen rechten Straftaten in den einzelnen Städten und Gemeinden im Land liegt Selm im Mittelfeld. Mit 6 erfassten Fällen liegt die Stadt auf Platz 187 von 396 NRW-Kommunen. Diese Fallzahl zeigte sich bereits im Jahr zuvor: 2023 waren es ebenfalls 6 Anzeigen mit diesem politischen Hintergrund.
Gegenüber 2022 ist die Zahl der Fälle sogar leicht zurückgegangen. Da registrierten die Behörden noch 8 Straftaten aus dem rechten Spektrum. Die Pandemie-Jahre 2021 und 2022 fallen aus der Reihe: Hier wurde nur jeweils eine Straftat für die Statistik bekannt. Der Rechtsextremismus habe sich verändert, so der Innenminister – „heute weniger Glatze und Springerstiefel, dafür mehr Kurzvideos, Gaming und Active Clubs“.
Sechs erfasste Straftaten
Davon dürfe sich die Gesellschaft aber nicht täuschen lassen. „Rechtsextremisten halten sich durch Hass und Hetze am Leben. Dem dürfen wir keinen Raum geben“, mahnt Reul. Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den Straftaten wider. Folgende Vorfälle in Selm hat der Kriminalpolizeiliche Meldedienst der Statistik „Politisch motivierte Kriminalität“ zugeordnet:
- 24. Januar 2024: Beleidigung, § 188 StGB
- 6. Mai 2024: Sachbeschädigung, § 303 StGB
- 7. Juni 2024: Verstoß gegen §§ 86, 86a StGB
- 31. Juli 2024: Volksverhetzung, § 130 StGB
- 8. August 2024: Verstoß gegen §§ 86, 86a StGB
- 27. Dezember 2024: Volksverhetzung, § 130 StGB
Der erste registrierte Fall des Jahres 2024 steht im Zusammenhang mit einer Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet wird. Erst im Jahr 2021 sind solche Beleidigungen als Tatbestand im Strafgesetzbuch ergänzt worden – als Reaktion auf die verbalen Angriffe auf Politiker und Lokalpolitiker.
Einen solchen traf auch die Tat am 6. Mai: An diesem Tag wurde Ralf Piekenbrock – zu dieser Zeit noch Ratsmitglied für die Familienpartei – bereits zum zweiten Mal Opfer eines Angriffs auf sein Haus. Unbekannte schmissen mit Altöl befüllte Luftballons auf die Fassade. Weil der Staatsschutz keine Tatverdächtigen ermitteln konnte, stellte die Staatsanwaltschaft Dortmund das Verfahren im August 2024 ein. Ob es sich bei dem Angriff auf Piekenbrocks Haus tatsächlich um die in der Statistik aufgeführte Straftat handelt, ist nicht abschließend geklärt - Datum und Deliktart stimmen jedoch überein.
Hitlergruß oder Hakenkreuz
Zwei Fälle im vergangenen Jahr stehen im Zusammenhang mit dem „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“. Hierunter kann unter anderem das Zeigen des Hitlergrußes fallen oder das Beschmieren von Gegenständen mit einem Hakenkreuz. Das kann im schlimmsten Fall mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt werden.
Ebenfalls zweimal tauchen Straftaten im Zusammenhang mit Volksverhetzung in der Statistik auf. Hierbei handelt es sich um Äußerungen, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln oder zu Gewaltmaßnahmen auffordern – auch, wenn Inhalte dieser Art lediglich verbreitet werden. Wer den Holocaust leugnet oder verharmlost, kann ebenfalls wegen Volksverhetzung angeklagt werden. Dann drohen mehrjährige Freiheitsstrafen.
In größeren Städten der Region scheint sich der Landestrend eher zu bestätigen: In Lünen hat sich die Zahl der rechts motivierten Straftaten von 7 auf 16 Fälle mehr als verdoppelt – die Stadt Dortmund landet mit 295 Taten und einem Anstieg von knapp 100 Prozent auf Platz 2 in NRW. Nur in Köln gab es mehr Fälle.