Selmer Hof schließt nach fast 110 Jahren Malte Bock: „War ein Zuhause für uns und viele Gäste“

Selmer Hof hat Betrieb eingestellt: „Eine sehr schwere Entscheidung“
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Als 1914 der Selmer Hof an der Kreisstraße öffnete, gehörte das markante Eckgebäude mit Schankraum, Saal, Gesellschaftszimmer, Arrestzelle im Keller und Zimmern unterm Dach noch nicht der Familie Bock. Die öffentliche Hand hatte es gebaut. 1955 wurde die Familie, die 1911 in Selm-Beifang zum ersten Mal Bier gezapft hatte und seitdem Gastronomie im Ort prägte, Eigentümerin. Seitdem waren Selmer Hof und Selmer Gastlichkeit untrennbar mit dem Namen Bock verbunden. Damit ist seit Sommer 2023 Schluss.

Der Bergbau hatte Selm Anfang des 20. Jahrhunderts über Nacht vom Dorf zur Industriestadt werden lassen. Die Bevölkerungszahl war von nicht einmal 2000 Menschen auf mehr als 12.000 hochgeschnellt. Für die Neubürger brauchte es nicht nur Wohnhäuser und Schulen, sondern auch einen geselligen Treffpunkt, wie die damaligen Stadtväter (Frauen durften damals noch nicht in Politik und Verwaltung aktiv sein) meinten. Mit dem Selmer Hof schufen sie einen Ort, an dem sich Gäste auch austauschen und die Zeitung lesen konnten, ohne etwas zu bestellen.

1913/14 hatte die damalige Gemeinde Selm den Selmer Hof als öffentliche Gemeindegaststätte errichten lassen: ein Treffpunkt, an dem kein Verzehrzwang bestand.
1913/14 hatte die damalige Gemeinde Selm den Selmer Hof als öffentliche Gemeindegaststätte errichten lassen: ein Treffpunkt, an dem kein Verzehrzwang bestand. © Archiv Stadt Selm

Schon beim Bau dieses Gasthauses 1913/14 hatten die Verantwortlichen geplant, es an Familie Bock zu verpachten. Der Vertrag war schon geschlossen. Ein plötzlicher Todesfall machte allerdings einen Strich durch die Rechnung. Familie Bock verlagerte zunächst ihren Schwerpunkt an den Sandforter Weg. Dort betrieb sie lange Zeit die Gasstätte Heidekrug. 1955 kamen die Bocks und der Selmer Hof mit mehr als 40-jähriger Verspätung schließlich doch noch zusammen. Die Familie kaufte den ursprünglichen Gemeindegasthof von der Gemeinde Selm (die Stadtrechte erhielt sie erst 1977), die mit dem plötzlichen Ende der Bergbau-Ära 1926 in eine tiefe wirtschaftliche Krise geraten war.

Jahrzehntelang gingen die Selmerinnen und Selmer seitdem „zu Bock“, wenn sie Gemeinschaft pflegen wollten: ob zu Vereinsversammlungen, Konzerten, Familienfeiern, Partys - im Gasthaus auf der Ecke Kreisstraße/Brückenstraße waren die Menschen willkommen. Entsprechend groß ist jetzt die Zäsur.

Selmer Kneipennacht

„Seit dem 30. Juni werden keine Veranstaltungen mehr angenommen“, sagt Malte Bock auf Anfrage. Der Betrieb ruht, obwohl die Erlaubnis dazu weiter besteht. Schon seit Jahren hatte es in der geschichtsträchtigen Gastwirtschaft keinen Tagesbetrieb mehr gegeben. Seiner Familie sei es aber „immer ein Anliegen gewesen, besonders den langjährig treuen Vereinen ein zu Hause zu bieten“. Ein Schwerpunkt habe außerdem auf der Ausrichtung von Kaffeetrinken im Anschluss an eine Beerdigung gelegen. Auch bei der Selmer Kneipennacht war der Selmer Hof ein gefragter Anlaufpunkt.

„Wir haben den Selmer Hof bereits in den vergangenen Jahren nur noch mit dem Ziel betrieben, am Jahresende eine schwarze Null zu schreiben“, sagt Malte Bock, der zwar selbst regelmäßig hinter der Theke stand. Hauptberuflich hatte der Politikwissenschaftler aber einen anderen Weg eingeschlagen. Wie sehr auch sein Herz am Jahrzehnte langen Familienbetrieb Selmer Hof hängt, verhehlt er nicht.

„Wollen gute Lösung finden“

„Es war nicht nur für uns ein Zuhause, sondern auch für viele Gäste. Daher fiel die Entscheidung, einen Schlussstrich zu ziehen, ausgenommen schwer.“ Es habe aber keine andere Lösung gegeben: „Die seit dem vergangenen Jahr deutlich erhöhten Energiekosten und Lebensmittelpreise sowie die schwierige Personallage machen den Betrieb einfach unmöglich.“

Für die zentrale Immobilie in Selm will Familie Bock jetzt ohne Druck eine „gute Lösung finden, keine schnelle“.

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