Selm verliert Kundenmagneten im Zentrum Schreibwarengeschäft und Poststelle schließen

Schreibwarengeschäft und Poststelle am Willy-Brandt-Platz schließen
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Zwischendurch plaudern? Das kommt für Wolfgang Gerling nicht in Frage. „Wann denn auch“, fragt er. Das ist keine Übertreibung. In seinem 160 Quadratmeter großen Eckgeschäft im Gebäuderiegel zwischen Kreisstraße und Willy-Brandt-Platz, drängeln sich an diesem Samstagvormittag (22. 7.) die Kunden: ein Paar, das Füller testen möchte, ein Junge, der besondere Filzstifte sucht und eine ältere Dame, die gewissenhaft die Einkaufsliste zur Einschulung ihres Enkels abarbeitet: vom Lineal über die Hefte bis zum Wasserfarbkasten. Während Gerling alles zusammensucht, hat sich vor dem Postschalter bereits eine Schlange gebildet. So viel steht fest, auch ohne gesprochen zu haben: An mangelnder Kundschaft liegt es nicht, dass er sein Geschäft schließen will. Und damit auch die zentral gelegene Selmer Poststelle.

Am Montagvormittag ist es etwas ruhiger im Laden. Jetzt findet Wolfgang Gerling Zeit zu reden, während sich eine seiner drei Mitarbeiterinnen um die Kundschaft kümmert. Ende September 2023, sagt er, sei Schluss, nach fast 40 Jahren. „Warum, ist doch klar.“ Gerling schmunzelt: „Ich bin 72 Jahre alt.“ Da werde es langsam Zeit. Ursprünglich hatte er schon früher in den Ruhestand gehen wollen. Doch dann kam alles anders.

Wolfgang Gerlings Ehefrau Elisabeth ist Ende 2015 gestorben. Mit 56 Jahren: ein Schlag für ihren Mann und die beiden Töchter. Und auch für den Betrieb. 1984 hatten ihn Wolfgang und Elisabeth Gerling gemeinsam gegründet: in Bork, wo das Paar auch wohnte.

Keimzelle war in Bork

„Wir waren mit dem Geschäft erst an der Kreisstraße 302, wo heute das griechische Restaurant ist“, sagt er. Anfang der 1990er-Jahre wechselte „Schreibwaren und Bürobedarf Gerling“ zum Kirchplatz in Bork. 2006 kam dann ein Geschäft in Selm dazu. Es befand sich zwar schon in dem Gebäuderiegel vor der evangelischen Kirche am Markt, aber noch auf der anderen Seite: Kreisstraße 71. Damals wohnte die Familie gerade ein Jahr in Selm, wo sie eine Doppelhaushälfte bezogen hatte. Die Ehepartner wechselten sich bei der Arbeit ab: einer im Stammhaus in Bork, der andere in der Filiale in Selm. Erst als sie 2010 das Angebot bekamen, in den ehemaligen Schlecker-Markt am Willy-Brandt-Platz zu ziehen und zusätzlich die Poststelle zu übernehmen, gaben sie das Geschäft in Bork auf.

Erfahrungen mit der Post hatten Gerlings bereits. Sieben Jahre lang hatten sie in Bork am Kirchplatz Briefe und Pakete angenommen, Briefmarken verkauft, Einschreiben auf den Weg gebracht und Dienstleistungen der Postbank erledigt: alles, was bis heute im letzten Selmer Schreibwaren-Fachgeschäft möglich ist. Mit einem Unterschied.

Das Eckgeschäft hinter den Säulen ist das letzte Fachgeschäft für Schreibwaren und Bürobedarf in Selm: das Geschäft Gerling, das auch eine Poststelle ist. Das wird sich in den nächsten Wochen ändern.
Das Eckgeschäft hinter den Säulen ist das letzte Fachgeschäft für Schreibwaren und Bürobedarf in Selm: das Geschäft Gerling, das auch eine Poststelle ist. Das wird sich in den nächsten Wochen ändern. © Sylvia vom Hofe

Die Nachfrage ist inzwischen deutlich gestiegen. Der Onlinehandel boomt. Und damit auch der Paketversand. Die meisten Menschen, die Schlange stehen vor dem Verkaufstresen mit Postprodukten wollen genau das: Pakete aufgeben oder abholen. Ab Oktober wird das im Eckgeschäft am Willy-Brandt-Platz nicht mehr möglich sein.

„Leider“, sagt Rainer Erzner, Sprecher von Post und DHL. „Wir sind auf der Suche nach einem neuen Partner-Betrieb, damit es für die Kundinnen und Kunden in Selm möglichst übergangslos an einer anderen Stelle weitergehen kann. Geschäfte, die daran Interesse haben, könnten sich direkt bei der Post bewerben. Wolfgang Gerling ist nicht gerade optimistisch, dass das so schnell etwas werden wird.

Eine Mitarbeiterin sucht noch

Zwar stellt die Post ihren Partnerfilialen Möbel und Technik kostenlos zur Verfügung. Und es gibt Provisionen beim Verkauf von Post- und DHL-Produkten. Umgekehrt seien der Aufwand und die Anforderungen der Post aber auch sehr hoch, sagt Gerling. Er selbst hat in seinem Laden zusätzlich zum Paket- und Postdienst auch einen Postbankschalter. Das alles bringe zwar Kundenfrequenz, mache sich aber nicht so nebenbei.

Wolfgang Gerling hat deshalb die drei Mitarbeiterinnen. Zwei von ihnen haben für die Zeit ab Oktober eine neue Beschäftigung gefunden. Eine sucht noch. Und Wolfgang Gerling selbst: was macht er, wenn der Ausverkauf zu Ende und die Ladentür abgeschlossen sein wird? „Ich muss mich dringend um den Garten kümmern“, sagt er. Weil die Zeit fehle, sei er dazu schon seit Jahren nicht richtig gekommen. Genauso wie zum Plaudern zwischendurch.

Blick zurück ins Jahr 2006: Damals waren Wolfgang und Elisabeth Gerling mit ihrem Geschäft in die neuen Geschäftsräume in Selm (noch an der Kreisstraße und nicht am Willy-Brandt-Platz) gezogen.  Tochter Maxi  freute sich mit den Eltern.
Blick zurück ins Jahr 2006: Damals waren Wolfgang und Elisabeth Gerling mit ihrem Geschäft in die neuen Geschäftsräume in Selm (noch an der Kreisstraße und nicht am Willy-Brandt-Platz) gezogen. Tochter Maxi freute sich mit den Eltern. © Dieter Bludau