Ein überraschender Zeuge hat sich im Fall Prott aufgetan: der Mann, der im dem Schlachtbetrieb, in dem es im Frühjahr 2021 illegale Schächtungen gegeben haben soll, die versteckten Kameras installiert hat. Er habe sich sowohl mit dem Amtsgericht in Lünen als auch mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung gesetzt - und seine Zeugenaussage angeboten. Das erklärte der vorsitzende Richter Ulrich Oehrle am Freitag (8. September). Auch der zweite Verhandlungstag im Fall Prott startete also mit einer Überraschung.
In dem Selmer Fleisch- und Schlachtzentrum, das bis März 2021 an der Schachtstraße in Selm geschlachtet hat, sollen Tiere ohne vorherige Betäubung geschächtet worden sein. Gegen Hubert Prott und drei seiner Mitarbeiter ist Anklage erhoben worden - wegen des gemeinschaftlichen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz in je unterschiedlichem Maße. Die Anklage gegen den Mann, den die drei Mitarbeiter „Chef“ nannten, ist allerdings abgetrennt worden. Er ist durch eine Erkrankung nicht verhandlungsfähig - und das voraussichtlich dauerhaft. Das war am ersten Verhandlungstag die überraschende Nachricht gewesen.
Am Tag zwei nun der neue Zeuge: Die Prozessbeteiligten einigten sich darauf, den Mann aus Stuttgart zum nächsten Verhandlungstermin einzuladen. Er hatte ja selbst dazu seine Bereitschaft signalisiert - wohlwissend, dass er dadurch zugeben könnte, selbst eine Straftat begangen zu haben. Denn: Die Videokameras in dem Schlachthof sind heimlich installiert worden. „Es gibt ein offizielles Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch“, bestätigte ein Kriminalbeamter, der als Zeuge vernommen wurde. Außerdem vor Ort sein wird am dritten Verhandlungstag voraussichtlich Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz. Diese Organisation hatte den Skandal anhand der Videoaufnahmen im März 2021 aufgedeckt.
Kontrollen des Kreises
„Ich bin so froh über diese Videoaufnahmen.“ Das sagte am zweiten Verhandlungstag eine Amtstierärztin des Kreises Unna. Sonst hätte man vermutlich nie das Wissen um das Ausmaß der Verstöße gegen das Tierschutzgesetz erlangen können, sagte sie weiter. Das Veterinäramt des Kreises ist ja zuständig für die Kontrollen von Schlachtbetrieben - und stand deshalb auch im Fall Prott in der Kritik. Tierschützer warfen den Behörden vor, nicht ausreichend kontrolliert zu haben.
Dass es mit den Kontrollen bei Prott zumindest nicht gerade einfach war, machte die Amtstierärztin sehr deutlich. Der Chef des Unternehmens sei „nie kooperativ“ gewesen, habe Mitarbeiter des Kreises teilweise beschimpft und sei ausfallend geworden. Kontrollen habe es gegeben - mindestens einmal im Jahr auch größere Schwerpunktkontrollen. Die kündigt der Kreis auch nicht an. Aber: Wie das bei den meisten Schlachthöfen üblich ist, ist der Betrieb eingezäunt. Auch zur Kontrolle mussten die Kreis-Mitarbeiter schellen oder durchrufen - eine gewisse Art der Ankündigung ließ sich also nicht vermeiden.
Und wenn kontrolliert wurde, sei in den letzten Jahren immer alles in Ordnung gewesen. Es sei auch immer Prott selbst gewesen, der geschlachtet habe, sagt die Amtstierärztin. Ein wichtiger Punkt. Um Schlachten zu dürfen, braucht man einen bestimmten Sachkundenachweis. Im Selmer Schlachthof hatte den nur der Chef - nicht aber die drei Männer, die auch am Freitag wieder auf der Anklagebank saßen. Alle drei haben keine Ausbildung im Schlachten von Tieren- und auch keinen notwendigen Sachkundenachweis.
„Das ist unbefriedigend“
Bei den Kontrollen griff also auch der festangestellte Mitarbeiter - anders als sonst (das hat er schon gestanden) - nicht zum Messer.
Es sei immer alles in Ordnung gewesen bei den Kontrollen in den letzten Jahren, sagte die Amtstierärztin und es habe auch keine Hinweise gegeben. Auf Grundlage des Gesetzes hätte das Amt nicht mehr machen können. „Das ist unbefriedigend“, gab sie zu.
Wenn man ein bisschen weiter zurückschaut, hat es nämlich schon in mehreren Fällen Hinweise auf Verstöße gegen das Tierschutzgesetz gegeben - denen auch nachgegangen wurde, wie die Amtstierärztin beschreibt. 2002 habe sie selbst im Schlachtbetrieb Prott ein Rind in der Falle stehen sehen - von einer größeren Menschengruppe umringt. Ihr sei klar gewesen: Das Tier sollte rituell geschächtet werden. Zusammen mit einer Kollegin griff sie ein, die Untersuchung von Tierköpfen zeigte im Anschluss, dass der Betäubungsschuss postmortal gesetzt wurde. Die Amtsärztin sagte, Prott habe damals ein Bußgeld zahlen müssen. Es galten noch andere Tierschutzgesetze.
Als „sehr, sehr enttäuschend“, beschreibt das die Amtstierärztin. 2017 gab es erneut Verdachtsmoment gegen Prott: Da soll dort schwarz geschlachtet worden sein, worauf gefälschte Fleischbeschaustempel hinwiesen. Das Verfahren wurde allerdings eingestellt.
„Kriminelle Energie“
Dass in dem Schlachthof Privatpersonen selbst geschlachtet haben - oder auch ganze Gruppen bei rituellen Schächtungen vor Ort waren, hatte am ersten Verhandlungstag auch der angeklagte ehemalige Mitarbeiter des Schlachthofes geschildert. „Dieses Ansinnen“, so die Amtstierärztin, kenne sie durchaus. Gerade zeitlich rund um das muslimische Opferfest herum. „Jeder Schlachtbetrieb weiß, dass das verboten ist“, so die Amtstierärztin. Aber: „Wir haben ja gesehen, mit welcher kriminellen Energie in diesem Schlachthof gearbeitet wurde.“
Sofort nach dem Bekanntwerden der Missstände 2021 sei der Kreis aktiv geworden - und habe eine Verfügung erlassen, nach der Prott senior und seine Tochter, die Inhaberin des Schlachthofes, der Umgang mit Tieren untersagt wurde. Der Schlachthof Prott bleib daraufhin geschlossen, das Fleisch, was sich noch in der Kühlung befand, wurde sichergestellt. Darunter unter anderem 14 Rinderhälften, mehrere geschlachtete Schafe und vakuumuniertes Fleisch.
Nur: Bei der Durchsuchung der Räumlichkeiten durch die Polizei etwa eine Woche später war das Fleisch nicht mehr da. Obwohl es ja sichergestellt war - und nicht hätte abtransportiert werden dürfen.
Wertermittlung strittig
Hier schaltete sich der Anwalt der Nebenbeteiligten, also der damaligen Inhaberin des Schlachtbetriebes, ein. Er legte einen Beleg vor, nach dem am 25. März Schlachtabfälle am Schlachthof angeholt worden sein sollen. Seiner Meinung nach der Beweis, dass das sichergestellte Fleisch nicht in den Verkauf ging, sondern ein Abfallprodukt war.
Ein Punkt, der für seine Mandantin wichtig wäre: Als ehemalige Inhaberin des Unternehmens ist sie zwar nicht selbst wegen des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz angeklagt, aber sie soll aus dem Resultat - dem als „halal“ verkauften Fleisch - den Gewinn gezogen haben. 40.000 Euro, so schlägt es die Staatsanwaltschaft vor, sollen ihr deshalb „abgeschöpft“ werden.
Zu der Frage der Wertermittlung - also dazu, wie die 40.000 Euro sich zusammensetzen - blieben am zweiten Verhandlungstag noch einige Unklarheiten. Eine Mitarbeiterin des Lanuv sollte zu den geschlachteten Rindern eigentlich Aufschluss geben. Allerdings stellte sich heraus, dass sie aus dem Stand nicht genau sagen konnte, wie groß der Gewinn durch den Verkauf des Rindfleisches im Zeitraum vom 24. Februar 2021 bis 18. März 2021, um den es ja in den Prozess geht, gar nicht genau benennen kann. Mit den von der Polizei zur Verfügung gestellten Unterlagen soll sie sich in der kommenden Woche dann noch mal dazu äußern können. Eine weitere Zeugin wird dann auch etwas zu dem Wert des Lammfleisches sagen.
Weiterer Verhandlungstag
Außerdem wird am 15. September (ab 10 Uhr im Saal 127 des Amtsgerichtes Lünen) voraussichtlich auch Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz als Zeuge auftreten. Genauso wie der Überraschungs-Zeuge, der etwas zu Installation der Kameras sagen wird. Die Staatsanwaltschaft bemüht sich außerdem, einen Vertreter des Tierabfallunternehmens mit Sitz in Lünen einzuladen, um zu klären, was genau in den Abfallbehältern war.
Die zuständige Staatsanwältin sagte: „Wir haben heute gehört, dass in dem Schlachtbetrieb ordnungsgemäß geschlachtet werden konnte. Es wurde aber nicht gemacht. Warum? Weil dadurch mehr Geld erzielt werden konnte.“ Ob die anwesenden Angeklagten am Freitag davon etwas gehabt haben? Schon am ersten Verhandlungstag hatten sie angegeben, dass sie auf Weisung des „Chefs“ gearbeitet haben, der alles organisiert habe und auch immer bei den Schlachtungen dabei gewesen sei. Beim Prozess fehlt er allerdings.
Schlachtskandal um Prott in Selm: Eine Chronologie der Ereignisse
Drei Angeklagte in Selmer Schlacht-Skandal geständig: Prott selbst „nicht verhandlungsfähig“
Ticker zum zweiten Tag im Prott-Prozess zum Nachlesen: Amtstierärztin: „Bin so froh über diese Video