Das Wort „fehlerhaft“ war in der jüngsten Sitzung des Selmer Stadtrates oft zu hören. Es ging dabei um den ehemaligen Borker Marktplatz: das Baugrundstück für das künftige Caritas-Altenheim mit 52 Plätzen, 10 Kurzzeitpflegeplätzen und 14 Service-Wohnungen. Die Aufbereitung des Baugrundstückes nach dem Abriss der Wohn- und Geschäftshäuser rund um den Platz im Jahr 2018 sei fehlerhaft gewesen, räumte Bürgermeister Thomas Orlowski ein. Genauso fehlerhaft wie die Baubegleitung durch die Stadt, die die Auftrag erteilt hatte. Und was sagen die Verantwortlichen zu diesen Fehlern?
Gar nichts, wie der städtische Baudezernent Stefan Schwager ergänzte: „Das beauftragte Bauunternehmen ist nicht mehr am Markt. Und die Kollegen der Stadt sind seit Jahren nicht mehr für uns tätig.“ Niemand sei also greifbar, der für die Fehler geradestehen könne. „Eine prekäre Situation“, wie Schwager zugab. Das verärgere auch ihn, fügte der Bürgermeister hinzu. Er denke über Regressforderungen nach. „Aber jetzt müssen wir die Kröte erst einmal schlucken.“ Und das heißt: zahlen. Der Stadtrat wollte da nicht ohne Weiteres mitgehen.
Knapp 230.000 Euro wird es Selm kosten, die ungeeigneten Böden auf dem Baugrundstück auszubaggern und durch nicht kontaminierte verdichtungsfähige Böden zu ersetzen. Insgesamt kostet die Sanierung der Fläche mehr als das Doppelte (475.350 Euro). Die Stadt brauche aber nur für die Flächen zu zahlen, auf denen Gebäude standen, so Schwager.
„Keine Chemiefässer“
„Man darf sich das nicht so vorstellen, dass da Chemiefässer verbuddelt sind“, sagte er. Kontaminiert bedeute im Zusammenhang mit dem belasteten Baugrund nicht etwa, dass es mitten in Bork eine übersehene Altlastenproblematik gäbe. Das Bauunternehmen habe vielmehr Abbruchmaterial verwendet zum Verfüllen der Kellerräume. Doppelt fehlerhaft: Zum einen wurde so der Baugrund damit nicht ausreichend verdichtet, zum anderen ist bei Abbruchmaterial der sogenannten Z2-Qualität laut „Leitfaden Boden“ nur ein „eingeschränkter Einbau mit definierten technischen Sicherungsmaßnahmen“ erlaubt.
Das hat die Stadt Selm jetzt schriftlich bekommen vom Kreis Unna. Offenbar eine böse Überraschung. Dabei hatte die Caritas selbst bereits im September 2020 als einen der Gründe für die Verzögerung bei der Umsetzung des Altenheim-Projekts mitgeteilt: „Ein Bodengutachten zeigt, dass auf dem Gelände kein tragender Baugrund vorliegt, was auf unzureichendes Verfüllen der Altkellerräume schließen lässt. Wir sind nach wie vor in Gesprächen mit der Baubehörde der Stadt über das weitere Vorgehen.“ Stimmt, wie Bürgermeister Orlowski einräumt. „Es war uns klar, dass der Baugrund noch nicht so wiederhergestellt war, wie er sollte.“ Dass es so teuer kommen würde, hatte aber auch sein Baudezernent nicht vermutet. „Wir dachten, dass sich das mit einfachen Mitteln entfernen ließe“, so Stefan Schwager. Falsch gedacht.
Caritas widerspricht Orlowski
Das zweite Gutachten - eine chemische Bodenanalyse - zeigt jetzt etwas anderes. „Warum der Bauherr dieses zweite Gutachten in Auftrag gegeben hat, entzieht sich meiner Kenntnis.“ Die Caritas hat darauf eine einfache Antwort: „Das Bodengutachten war eine Anforderung des Kreises Unna im Rahmen unseres Bauantrages“, teilt Caritas-Sprecher Thomas Middendorf auf Anfrage mit. In diesem Fall hatte die Caritas nur mehr Informationen als die Stadt. In einem anderen Fall hat sie ganz andere als die Selmer Stadtspitze.
Bürgermeister Orlowski hatte an den Rat appelliert, umgehend der überplanmäßigen Ausgabe für die Bodensanierung zuzustimmen. „Die Caritas will so schnell wie möglich anfangen mit den Arbeiten.“ Ein Vertagen der Entscheidung bis zur Dezember-Sitzung wie es Claudia Mors für die CDU beantragt hatte, könne die Sache noch teurer machen, warnte er: Die Caritas habe schon Aufträge zur Wiederherstellung des Baugrunds vergeben. „Wenn wir jetzt nicht beschließen, könnten weitere Kosten auf uns zukommen.“ Von dieser Auftragsvergabe weiß man in der Geschäftsstelle der Caritas an der Langen Straße in Lünen aber gar nichts.
„Eine Beauftragung hat bisher nicht stattgefunden“, heißt es stattdessen. Auch die plötzliche große Eile relativiert sich: „Der Baubeginn wird sich verzögern, da wir bisher noch keine Baugenehmigung erhalten haben.“ Die Bauzeitenplanung sei „darüber hinaus von der sich künftig entwickelnden Marktsituation und der Verfügbarkeit von Materialien abhängig.“ Die Caritas legt sich zeitlich nur bei der Dauer der Bauarbeiten fest: „Unser Ziel ist eine Fertigstellung 24 Monate nach Baubeginn.“

Claudia Mors setzte sich mit ihrer Forderung durch, „jetzt nichts übers Knie zu brechen, sondern juristisch zu prüfen“. Bis auf die SPD (und das bei zwei Enthaltungen aus den eigenen Reihen) waren alle für eine Verschiebung. Bis zur Dezembersitzung sei zu klären, welche Chance Regressforderungen haben. Klaus Schmidtmann (FDP), selbst Jurist, zeigte sich da wenig optimistisch. Er verwies auf mögliche Verjährungsfristen, die inzwischen gegriffen haben. „Das ist die größte Fahrlässigkeit, die man sich vorstellen kann“, sagte er in Richtung Stadtverwaltung.
Von „Schlamperei“ sprach Dr. Hubert Seier. Er nahm das Grundstücks-Debakel zum Anlass, einmal mehr grundsätzlich Kritik am Altenheim-Projekt auf dem ehemaligen Marktplatz zu üben. „Wir können die Entscheidung ruhig um meinen Monat verschieben. Da wird sich noch lange nichts tun.“ Die Caritas werde so lange warten, bis sie noch größer bauen dürfe: eine Mutmaßung, der die Caritas widersprach.
Stellungnahme der Verwaltung
Bürgermeister Thomas Orlowski fühlt sich falsch verstanden. In einer Stellungnahme lässt er den Stadtsprecher seine Sicht der Dinge mitteilen. Die Redaktion veröffentlicht an dieser Stelle die Stellungnahme, bleibt aber gleichwohl bei ihrer Darstellung.
„Der genannte Artikel enthält inhaltliche Fehler, die die Stadtverwaltung so nicht stehen lassen kann und will. Falsch ist, wie die Autorin suggeriert, dass bereits das erste Bodengutachten Aufschlüsse über die weiter zu unternehmenden Schritte aufgezeigt hatte. Dieses Gutachten lag im Januar 2019 vor. Es zeigte lediglich auf, dass einzelne Abschnitte des Bodens nicht tragfähig sind und einzelne Rammkernsondierungen Bestände von Bauschutt aufzeigten. Eine Verpflichtung zum Austausch des Bodens ging nicht aus dem Gutachten hervor. Erst das „Bodenmanagementgutachten“, das vom Kreis Unna im Zuge des Baugenehmigungsverfahrens angefordert wurde, brachte dies hervor. Dieses Gutachten datiert vom 1. Oktober 2022 und lag der Stadtverwaltung am 27. Oktober 2022 vor. Unverzüglich wurden daraufhin von der Stadtverwaltung notwendige Schritte eingeleitet.
Die Aussage von Bürgermeister Thomas Orlowski, „Er denke über Regressforderungen nach“, ist ebenfalls falsch und so nicht gefallen. Richtig ist, dass juristisch geprüft wird, ob und wenn ja, gegen wen eventuelle Regressansprüche gestellt werden könnten. Auch die zitierte Aussage des Bürgermeisters, „die Caritas habe schon Aufträge zur Wiederherstellung des Baugrunds vergeben. Wenn wir jetzt nicht beschließen, könnten weitere Kosten auf uns zukommen,“ ist so nicht getätigt worden. Der Bürgermeister teilte dem Rat mit, dass es durch die zeitliche Nichtvergabe zu möglichen finanziellen Folgen kommen könnte, da evtl. Bindefristen von Firmen auslaufen könnten. Dies hätte möglicherweise eine neue Vergabe von Aufträgen mit möglichen Kostensteigerungen zur Folge, für die die Stadt in Regress genommen werden könnte. Der Bürgermeister hat nicht gesagt, dass Aufträge durch die Caritas bereits vergeben seien.“
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