Vom Lost-Place zum schicken Neubau Graffitis, Schutt und Brandspuren in alter Molkerei in Selm

Vom Lost-Place zum schicken Neubau: Graffitis, Schutt und Brandspuren in alter Molkerei
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Ein rotes Backsteingebäude steht trostlos an der Olfener Straße. Fenster sind zerbrochen, an die Wände wurde Graffiti geschmiert, Efeu wächst an den Fassaden. Die Überreste der alten Molkerei sind in Selm seit Jahren ein Ärgernis. Doch es tut sich etwas am einstigen „Schandfleck“. Da stehen große Tonnen vor der Einfahrt, in denen Schutt gesammelt wird. Bauarbeiter laufen hin und her, um Materialien in das Gebäude zu bringen. Und durch die ausgehöhlten Fenster dröhnt der Lärm von Maschinen.

Ein vor etwa 20 Jahren errichteter illegaler Anbau auf der Rückseite ist bereits verschwunden. Nur noch Rückstände an der Fassade der alten Molkerei erinnern an das Gebäude. Stattdessen sprießen hier kleine, grüne Pflanzen aus dem sandigen Boden. Unkraut, das auch noch verschwinden soll. Notfalls will er es selbst jäten, sagt Sascha Oestermann scherzhaft.

Neue Eigentümer planen Seniorenwohnungen

Oestermann ist Teil der Eigentümer-Gesellschaft, die 2023 das Grundstück gekauft hat. Und auf dem 3000 Quadratmeter großen Gelände der alten Molkerei moderne Seniorenwohnungen errichten will. Erste Schritte sind bereits gemacht, berichtet Oestermann, während er auf die vorläufigen Entwürfe zeigt – etwa der Abriss des illegalen Anbaus. „Das Ziel ist, in den nächsten 12 bis 18 Monaten hier eine Seniorenwohngemeinschaft zu errichten.“ Ende 2025 soll das Projekt fertig werden. Gespräche mit möglichen Trägern laufen bereits.

Ansicht eines Gebäudes.
Auf der Rückseite der alten Molkerei stand bis vor Kurzem ein illegaler Anbau, der inzwischen abgerissen wurde. © Valentin Schneider

Entkernung im vollen Gange

Die alte Molkerei wird derzeit entkernt und soll anschließend saniert werden. Im ehemaligen Molkerei-Gebäude sollen unter anderem Gemeinschaftsräume entstehen, im Dachgeschoss ein Pflegedienst einziehen. Auf der Freifläche neben der Molkerei wollen die Eigentümer 15 Seniorenwohnungen bauen. Allerdings kann die Eigentümer-Gesellschaft den finalen Bauantrag noch nicht stellen. Dafür sei nämlich eine Anpassung des Bebauungsplans notwendig, erklärt Sascha Oestermann.

Modellzeichnung der alten Molkerei und der zukünftigen Wohnungen.
So soll die fertige Wohnanlage aussehen. Links: Der Neubau für 15 Wohnungen, rechts: das sanierte Molkerei-Gebäude. © Architekturbüro Westrup

Die alte Molkerei wurde bereits 1890 erbaut. Damals war die Molkerei ein Vorzeigeobjekt, die erste Adresse für Milch, Quark, Butter und Käse. Etwa 80 Jahre später war Schluss damit. Über die Jahrzehnte verfiel der auffällige rote Backsteinbau am Selmer Bahnhof, wurde eine Bruchbude und im Volksmund bekannt als der „Schandfleck“ von Selm.

Zigarettenkippen und Graffitis

Sascha Oestermann öffnet die schwere Bautür, die in das Gebäude führt. „Das ist dann natürlich später nicht mehr der Eingang, wenn hier eine Seniorenwohngemeinschaft ist“, betont er. Durch ein enges Treppenhaus geht es in den ersten Stock. Man sieht die Grundmauern aus kaltem, rotem Backstein. Sie sollen auch weiterhin das Fundament des Gebäudes bilden. Eine Schubkarre säumt den Weg, prall gefüllt mit Bauschutt. Überall stehen Maschinen und Kabeltrommeln.

Schutt knarzt unter den Schuhen. Staub wirbelt auf. An den Wänden prangen Graffitis – meistens einfache Schriftzüge oder laienhafte Zeichnungen von Gesichtern. Dazwischen liegen alte Zigarettenpackungen, Marke Matrix, vergessen in den Tiefen der Molkerei, die von innen viel größer und verwinkelter erscheint.

Tausend Quadratmeter Fläche auf drei Stockwerken wirken ein bisschen wie die Überreste antiker Stätten, wie die Grundmauern römischer Thermen. Im Erdgeschoss klafft ein riesiges Loch. Eine Wasserlache hat sich auf dem Boden gebildet, in der sich Oestermanns Silhouette spiegelt. „Da haben wir ein Grundwasserproblem“, sagt er, während er auf die Handwerker zeigt, die im Keller die Abdeckungsarbeiten vornehmen. Das Kellergeschoss musste tiefer gelegt werden. Damit dort eine zusätzliche Etage gebaut werden kann, sagt Oestermann.

Besuchertoiletten und Sozialräume im Keller

Den Keller erreicht man nur über eine dünne Holzplanke, die behelfsmäßig eingebaut wurde. Angesichts der steilen Grundmauern braucht es außerdem die helfende Hand eines Bauarbeiters. Sonst kann man hier böse ausrutschen, weiß Oestermann. „Man muss ein bisschen aufpassen, wohin man tritt.“

Ein Mann zeigt mit dem Finger auf eine Wand.
Sascha Oestermann zeigt den Fortschritt der Entkernung in der alten Molkerei. © Valentin Schneider

Im Keller sollen Besuchertoiletten entstehen. „Und weitere Gemeinschaftsräume“, berichtet Oestermann, nachdem er in den freigelegten Keller hinuntergestiegen ist. Außerdem ist eine Decke geplant, die Keller und Erdgeschoss trennen soll.

Vandalismus kein Problem mehr

Zurück im Erdgeschoss richtet sich Oestermanns Blick auf die Decke. Rabenschwarz, hebt sie sich von dem hellen Backstein der Grundmauer ab. „Da hat es mal gebrannt“, erinnert sich Oestermann. Lange gab es ein Vandalismus-Problem in der alten Molkerei. Das Gelände lockte Lost-Place-Faszinierte oder Graffiti-Sprayer an. Und eben auch Brandstifter: „Es gab hier früher viele Feuerwehr- und Polizeieinsätze“, berichtet der Mit-Eigentümer.

Eine Decke hat Brandspuren.
Als das Gebäude leerstand, gab es häufig Brandstiftungen, wie an dieser Decke zu sehen ist. © Valentin Schneider

Seit Beginn der Entkernungsarbeiten habe es auf dem Gelände jedoch keine unbefugten Besucher mehr gegeben. Auch wegen der schweren Bautür am Eingang, die übrigens der einzige Zugang in die alte Molkerei ist. „Da kann keiner mehr rein“, sagt Oestermann.

Ein Graffiti steht an einer Hauswand.
Vandalismus, etwa in Form von Graffiti-Schmierereien, war jahrelang ein Problem auf dem Gelände der alten Molkerei. © Valentin Schneider

Terrasse muss für weitere Wohnungen weichen

Dann geht es ins erste Obergeschoss, auf die Terrasse der alten Molkerei. „Die Fläche wollen wir ebenfalls als Wohnraum für die Senioren nutzen“, betont Oestermann. Sprich: die Terrasse muss weichen. Auf den ersten beiden Stockwerken sollen insgesamt zwölf Seniorenwohnungen entstehen. „Außerdem je ein Gemeinschaftsraum und eine Küche pro Etage“, erklärt Oestermann. Auf dem Weg ins Dachgeschoss verrät er ein weiteres Detail der Planungen. Für die Senioren soll statt des langen Treppenhauses ein Fahrstuhl errichtet werden, der sie bequem in alle Stockwerke bringt.

Ein Gang in einem verlassenen Haus.
In den ersten beiden Stockwerken der ehemaligen Alten Molkerei sollen Seniorenwohnungen, Sozialräume und Küchen entstehen. © Valentin Schneider

Pflegedienst soll auf dem Dachboden einziehen

Im Dachgeschoss pfeift der Wind durch die offenstehenden Dachbalken. Weit vom Treppengeländer darf man sich nicht entfernen. Es ist zu unsicher. Der Boden könnte einstürzen. Bald soll es auch hier ganz anders aussehen. „Hier wird der Pflegedienst einziehen“, sagt Oestermann. „Dafür wird alles freigelegt und bald neu gedämmt.“ Übrigens: Erste Gespräche mit einem Pflegedienst habe es schon gegeben. „Es ist noch nicht ganz spruchreif, deswegen will ich noch keinen konkreten Namen verraten. Aber wir sind da auf der Zielgeraden.“

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In der Reihe „Lost Places“ stellt diese Redaktion verlassene Orte in Selm und Umgebung vor. Es geht durch verlassene Häuser, ehemalige Gewerbebetriebe und andere leerstehende Gebäude. Sie kennen einen „Lost Place“ in Selm oder angrenzenden Städten? Melden Sie sich gerne bei uns: selm@ruhrnachrichten.de