Lösungen für das Schuldenproblem So wollen Kämmerer im Kreis Unna den Teufelskreis brechen

Lösungen für Schuldenproblem: So wollen Kämmerer den Teufelskreis brechen
Lesezeit

Es klingt so, als sei plötzlich die Lösung aller Schuldenprobleme der Städte und Gemeinden gefunden worden: Die Landesregierung stellte am Montag (19. Juni) einen Plan vor, mit dem sie in die Problematik „einsteigen“ will.

Die Kurzformel: Die Hälfte der Altschulden will das Land übernehmen. Die Zins- und Tilgungsleistungen sollen im vollen Umfang über die Grunderwerbsteuer, eine Steuer des Landes, sichergestellt werden. Außerdem sollen die 396 Kommunen in NRW zusammen 6 Milliarden Euro für klimafreundliche Investitionen in kommunale Immobilien erhalten.

Eine Abfrage unter den zehn Kämmerinnen und Kämmerern im Kreis Unna – die kurz vor der Ankündigung der Landesregierung erfolgte – zeigt, dass die Kommunen die in Düsseldorf angekündigte Übernahme von alten Schulden nicht als nachhaltige Lösung für ihre strukturelle Finanzmisere sehen.

Welches strukturelle Problem meinen die Kämmerer?

Selms Kämmerin Sylvia Engemann spricht davon, dass die Kommunen heute gar nicht in der Lage sind, „dauerhaft ausgeglichene Haushalte darzustellen, wie es auch die Gemeindeordnung vorsieht“.

Ihr Kollege Marco Schulze-Beckinghausen aus Werne pflichtet bei. „Ohne eine deutlich bessere finanzielle Grundausstattung der Kommunen“ seien Haushalte ohne neue Schulden nicht denkbar.

Die Städte und Gemeinden müssten sich Geld vor allem auch deswegen leihen, weil ihnen Leistungen aufgebürdet würden, die vorher in Berlin oder Düsseldorf beschlossen worden seien. „Wer bestellt, muss auch bezahlen“, sagt Unnas Kämmerer Michael Strecker. „Bund und Land tun das in großen Teilen nicht, sondern lassen die Kommunen dabei im Regen stehen.“

„Wir brauchen eine angemessene und an den Aufgaben orientierte Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, damit keine neuen Schulden entstehen“, so Niklas Luhmann, Kämmerer in Schwerte.

Über Stadtumbauprogramme fließt in NRW viel Geld in die Kommen wie hier in Fröndenberg für die Modernisierung des Marktplatzes. Allerdings wünschen sich Städte und Gemeinden eher eine strukturell bessere Finanzausstattung, um selbst über notwendige Maßnahmen entscheiden zu können.
Über Stadtumbauprogramme fließt in NRW viel Geld in die Kommen wie hier in Fröndenberg für die Modernisierung des Marktplatzes. Allerdings wünschen sich Städte und Gemeinden eher eine strukturell bessere Finanzausstattung, um selbst über notwendige Maßnahmen entscheiden zu können. © Archiv/Udo Hennes

Von welchen Kosten wollen die Kommunen befreit werden?

Ein Beispiel, das alle Kommunen im Kreis Unna umtreibt, nennt Michael Strecker. Die Eingliederungshilfe für Menschen mit starken Behinderungen, die vom Landschaftsverband Westfalen (LWL) erbracht wird, belaste die Stadt Unna mit zusätzlichen Millionenbeträgen: „Von jährlichen 15 Millionen Euro Mehrkosten auf Kreisebene hat die Stadt Unna jährlich rund 2,5 Mio. Euro zusätzlich zu tragen.“

Dr. André Jethon, Stadtkämmerer in Lünen, verweist darauf, dass diese Kosten zudem „ungebremst wachsen“.

Holzwickede hat zwar keine Altschulden, Kämmerer Andreas Heinrich wünscht sich dennoch Entlastung. Die Umlage, die der LWL erhebt, solle dauerhaft vom Land „gestützt“ werden: „Der Vorteil wäre hier, dass alle Kommunen direkt oder indirekt von einer Senkung der Landschaftsumlage profitieren.“

Sein Kamener Kollege Christian Völkel ergänzt einen anderen zuletzt steigenden Kostenblock: „Denkbar wäre auch eine Beteiligung des Bundes/des Landes an den Kosten der Jugendhilfe“. Denn bei einer strukturellen Unterfinanzierung seien selbst nach einer Übernahme der Altschulden „zukünftige Schulden zwangsläufig“.

Welches Risiko besteht bei kommunalen Schulden aktuell?

Eine einfache Rechnung macht Bergkamens Kämmerer Marc Alexander Ulrich auf. Ihre Kredite habe die Stadt vor wenigen Jahren im Durchschnitt noch für unter 1 Prozent Zinsen finanzieren können. „Das wird jetzt um ein Drei- bis Vierfaches teurer – dann wird es schwierig den Haushaltsausgleich hinzubekommen.“

Niklas Luhmann macht deutlich, was konkret vor Ort die Folge sein kann: „Steigende Zinsen können den Haushalt extrem belasten und führen dazu, dass keine Mittel für wichtige Zukunftsfragen wie Bildung, Kinderbetreuung und Klimaschutz zur Verfügung stehen.“

In Unna sieht man das Problem ganz ähnlich, wie Michael Strecker beschreibt: Die Zinslasten aus den städtischen Krediten belasten den Haushalt 2023 mit rund 900.000 Euro. Je mehr Zinsen die Stadt zahlen muss, umso weniger Liquidität stehe für notwendige Investitionen zur Verfügung, so dass für Investitionen Kredite aufgenommen werden müssen. „Ein Kreislauf sozusagen“, sagt Strecker. Man könnte auch Teufelskreis sagen.

Warum reicht den Kämmerern eine Schuldenübernahme nicht?

„Das hat Effekte, die sich nur für eine Generation auswirken“, ist sich Marc Alexander Ulrich sicher. Er verweist auf aktuelle Mehrkosten, die sämtliche Kommunen gleichermaßen treffen – und die nicht wie Investitionen in kommunale Gebäude einen Gegenwert erzeugen: den hohen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst, die steigenden Energiekosten und die allgemeine Preissteigerung. Die Gemeinden könnten solche Ausgaben nicht einfach zurückstellen, weil sie wie ein Neubau gerade nicht finanzierbar sind.

Ebenso sieht es Dr. André Jethon: „Ein Altschuldenschnitt, aber auch die diversen ,Fördertöpfe‘ haben das Problem, dass eine Entlastung nur kurzfristig wirkt.“

  • Was sind Altschulden überhaupt? In der Regel werden darunter die Liquiditätskredite der öffentlichen Hand gefasst, die zu langfristigen Verbindlichkeiten geworden sind, weil man sie nicht in Frist zurückzahlen konnte.
  • Altschulden sind nach einer Definition des Bundes Liquiditätskredite, die über eine Pro-Kopf-Verschuldung von 100 Euro/Einwohner hinausgehen – in den nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden rund 19,7 Milliarden Euro.
  • Diese auch Kassenkredite genannten Darlehen werden eigentlich nur aufgenommen, um einen kurzfristigen Engpass im laufenden Verwaltungsgeschäft zu überbrücken. In der privaten Haushaltsführung würde man so gesehen seinen Dispo auf dem Girokonto immer weiter aufhäufen – wenn es für den Überziehungskredit nicht ein Limit der Hausbank gäbe.
  • Nicht gemeint sind hingegen die Investitionskredite zum Beispiel für die Bauvorhaben in der Kommune. Sie sind ohnehin langfristig angelegt. Sie machen zudem insofern weniger Sorgen, als die Städte und Gemeinden für das Geld einen bleibenden Gegenwert aus Beton, Stein und Holz erhalten. Wenn mit Liquiditätskrediten aber schlicht die Auszahlung von Gehältern sichergestellt werden muss, ist das Geld einmal ausgegeben und damit für immer weg.

Warum gibt es Kritik an Förderprogrammen, also Zuschüssen des Staates?

„Wir stecken viel Arbeit in Anträge mit unklarer Erfolgsaussicht“, bemängelt Marc Alexander Ulrich. Viele Töpfe zum Beispiel für den Stadtumbau seien eben gar nicht so voll, dass alle bedürftigen Kommunen zum Zuge kommen könnten.

Zudem seien die Zuschussprogramme oft sehr kompliziert. Ulrich: „Wir brauchen viel Geld für Berater und Prüfer.“

Außerdem müssten sich die Kommunen nach den Programmvorstellungen von Bund und Land richten. „Wir als Stadtverwaltung brauchen größere Spielräume, selbst entscheiden zu können, was vor Ort in Bezug auf Investitionen erforderlich und gewünscht ist“, fordert daher Marco Schulze-Beckinghausen.

Welche Lösung wär aus Sicht der Kommunen nachhaltig?

„Sinnvoll“, sagt der Lüner Kämmerer, sei „eine konsequente Umsetzung des Konnexitätsprinzips durch das Land NRW“. Was das bedeutet: Werden vom Staat Aufgaben an Städte und Gemeinden übertragen, müssten die Ist-Kosten sowie alle Folgekosten dafür auch vollständig vom Staat refinanziert werden.

Eine andere Lösung nennen fast alle Finanzverantwortliche in den Rathäusern: die Erhöhung des sogenannten Verbundsatzes. Damit ist die Quote der Kommunen am gesamten Steueraufkommen gemeint. Sie lag bis Mitte der 1980er-Jahre in NRW noch bei 28 Prozent, mittlerweile nur noch bei 23 Prozent.

Michael Strecker zieht einen höheren Satz einem Einmaleffekt durch einen Schuldenschnitt vor, „da das eine verlässliche und langfristige Verbesserung der kommunalen Finanzsituation darstellt.“

Christian Völkel nennt eine weitere dauerhafte Lösung: Die Kommunen sollten höhere Anteile an der Einkommensteuer oder mehr Schlüsselzuweisungen erhalten. Marc Alexander Ulrich bringt zudem größere Anteile für die Kommunen an der bundesweiten Umsatzsteuer ins Spiel, „weil sie sehr stabil ist“ – anders als die kommunale Gewerbesteuer.