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Schlacht-Skandal in Selm: Schlachthof galt nicht als Risikobetrieb
Schlachthof-Skandal
Der Kreis Unna hat einen umfangreichen Fragenkatalog zum Skandal um den Selmer Schlachthof Prott beantwortet. Besonders interessant sind die Ausführungen zum Thema Risikobetrieb.
„Das sind Bilder, die uns noch lange im Kopf bleiben werden“, sagt Marco Morten Pufke von der CDU bei der Kreistagssitzung am Dienstag, 22. Juni. Gemeint sind die Bilder aus dem Selmer Schlachthof Prott, die Tierschützer verdeckt über mehrere Wochen aufgenommen haben. Sie zeigen, wie fast 200 Schafe und Rinder ohne Betäubung geschlachtet, also geschächtet werden.
„Was da passiert ist, ist wirklich schrecklich“, sagt Pufke. „Geschöpfen, die sich nicht wehren können, so etwas anzutun, braucht schon eine hohe kriminelle Energie.“ Eine Diskussion zum Thema findet aber dennoch nicht statt. Vielmehr verweist der Kreis in der Sitzung auf ein öffentlich einsehbares Dokument, in dem er ausführlich auf einen Fragenkatalog von Grünen und CDU antwortet.
Kontrolle im Corona-Jahr fiel aus
Darin zählt der Kreis unter anderem auf, dass es von Dezember bis Januar 2020 insgesamt neun lebensrechtliche Kontrollen gegeben habe - sowohl angekündigt als auch außerplanmäßig. 2019 habe es eine zusätzliche Schwerpunktkontrolle Tierschutz gegeben, bei der zum Beispiel die Betäubungsgeräte überprüft worden seien. Interessant: Eine für das erste Quartal 2021 vorgesehene Routine-Kontrolle sei pandemiebedingt entfallen. Zur Erinnerung: Der Betrieb ist seit dem 18. März geschlossen, an dem Tag, als die Tierschutzorganisation Soko Tierschutz Teile ihres Videomaterials an den Kreis übermittelte. Parallel ging das komplette Material an die Staatsanwaltschaft Dortmund, zusammen mit einer Strafanzeige gegen den Selmer Betrieb.
Die Ergebnisse aus den aufgeführten Kontrollen gibt der Kreis so wieder: „Die Kontrollen ergaben keine bzw. keine gravierenden Abweichungen von festgelegten Normen oder Standards.“ Man muss sagen: Der Schlachtbetrieb Prott war für den Kreis nicht irgendein Betrieb. Wie bereits berichtet, hatte der Kreis laut eigenem Bekunden erstmals 2002 nachweisen können, dass Tiere dort erst nach dem Schlachtprozess einen Bolzenschuss erhielten - ein eindeutiges Zeichen für eine Schächtung. Ein entsprechendes Verfahren sei damals ohne Einwilligung des Kreises mit einem Vergleich geendet.
Eine spätere Untersuchung habe dann gezeigt, dass Bolzenschüsse später gesetzt worden sind. Wenn das gemacht wird, lässt sich kaum nachweisen, ob der Bolzenschuss nach dem Halsschnitt gesetzt wurde oder - wie vorgeschrieben - vor dem Schlachtprozess. Der Kreis spricht daher davon, dass die Indikatoren, die auf eine Schächtung hinweisen, „mit hoher Kriminalität und Brutalität ausgehebelt [worden sind]“.
Nicht als Risikobetrieb eingestuft
Eine Möglichkeit, den Betrieb zu überführen, war diskutiert worden: Man habe die Vergabe eines festen Zeitfensters für die Schlachtung, bei der stets ein Veterinär hätte anwesend sein können, geprüft, heißt es in dem Dokument. Aber: „Rechtskräftige (Straf)-Verfahren, die diese Einschränkungen für den Betrieb erlauben würden, gab es nicht. Außerdem fehlten konkrete Hinweise auf illegale Handlungen.“
Später, ab dem Jahr 2009, gab es laut Kreis vor allen Dingen vergleichsweise kleinere Verfehlungen des Betriebs: So zum Beispiel wegen fehlerhafter Ohrmarken oder weil Tiere nicht in die Rinder-Datenbank Hi-Tier eingetragen waren. Trotz des Hintergrundes des Betriebes kommt der Kreis aber zu dem Schluss: „Verstöße gegen das Lebensmittelrecht sowie gegen die Viehverkehrsordnung wurden mit Ordnungswidrigkeiten und der Verhängung von Bußgeldern geahndet. Diese alleine rechtfertigen keine Einstufung als Risikobetrieb.“
Mehr oder weniger das Fazit des Kreises: „Der Nachweis tierschutzwidriger Handlungen wäre ohne diese Videodokumentation [der Soko Tierschutz, Anm. d. Red.] niemals gelungen.“
Elementare Frage wird nicht beantwortet
Friedrich Mülln, der Gründer der Tierschutzorganisation Soko Tierschutz, ärgert sich darüber: „Was ist denn ein Risikobetrieb, wenn es nicht dieser ist?“, fragt sich der Tierschutzaktivist. Entweder das Veterinäramt hätte keinen Willen zur Aufklärung oder sei unfähig, ist Müllns hartes Urteil. Er fragt sich, wie man die gravierenden Missstände bei der aufgeführten Kontrolldichte übersehen könne.
Zudem fehlt ihm die Beantwortung einer elementaren Frage, die auch von Grünen und CDU nicht gestellt worden sei: Welche Kontrollen gab es im Zeitraum der Aufnahmen von Soko Tierschutz? Diese Frage ist elementar, da der Kreis daran festhält, dass es in dem Selmer Betrieb auch reguläre, kontrollierte Schlachtungen gegeben hätte. Die Aufnahmen von Soko Tierschutz, die die Aktivitäten in dem Betrieb aber über den ganzen Tagesverlauf und auch in der Nacht dokumentieren, zeigen aber nur Schächtungen. Davon konnte sich auch unsere Redaktion bei Einsicht in das Videomaterial, das der Tierschutzorganisation zugespielt wurde, überzeugen.
Eine entsprechende Anfrage unserer Redaktion hatte der Kreis mit Verweis auf das laufende Verfahren gegen den Betrieb - aber auch gegen Mitarbeiter des Kreises selbst - nicht beantwortet. Diese Anzeige gegen die zuständigen Amtsveterinäre war Ende April bei der Staatsanwaltschaft Dortmund eingegangen, wie diese unserer Redaktion gegenüber bestätigte. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Betrieb Prott dauern auch noch weiter an: „Die Auswertung der Dokumente und umfangreichen Videoaufzeichnungen werden noch eine nicht unerhebliche Zeit andauern“, sagt Sprecher Henner Kruse.
Ich bin neugierig. Auf Menschen und ihre Geschichten. Deshalb bin ich Journalistin geworden und habe zuvor Kulturwissenschaften, Journalistik und Soziologie studiert. Ich selbst bin Exil-Sauerländerin, Dortmund-Wohnerin und Münsterland-Kennenlernerin.
