Die 100-Schlösser-Route gilt als „eine Königin unter den deutschen Radrouten“. Eine weitere Thronaspirantin unter den Fahrradtouren durch die Region ist seit zehn Jahren die Römer-Lippe-Route. Beide machen um Cappenberg einen großen Bogen. Auch einen Knotenpunkt im Radwegenetz „Radrevier Ruhr“ sucht man vergebens.
Dabei ist der Höhenzug über dem Lippetal mit Schloss und 900 Jahre alter Kirche nicht nur idyllisch gelegen und geschichtsträchtig, sondern war vor mehr als 100 Jahren als gefragtes Ziel für Ausflügler aus dem Ruhrgebiet auch eine Wiege des Fahrradfahrens. Eine der ältesten Abbildungen eines Fahrrads stammt von einer Postkarte aus Cappenberg. Rund 130 Jahre später ist dasselbe Cappenberg Außenseiter im Radtourismus geworden und verpasst gerade einen neuen Trend.
„Radreisende tun etwas für ihre Gesundheit, sind klimafreundlich unterwegs und können durch die Vielfalt der Unterkünfte das Reisebudget im Blick behalten“, sagte etwa Christian Tänzler, der stellvertretende Bundesvorsitzende des ADFC und spricht von einem regelrechten Boom. Durch die Corona-Pandemie hätten viele das Fahrrad, insbesondere das E-Bike, als neues Reiseverkehrsmittel entdeckt, bestätigt auch Pia Zimmermann. Die Projektverantwortliche der Römer-Lippe-Route war zu Gast im Ausschuss für Wirtschaftsförderung, Kultur, Stadtmarketing und Partnerschaften und berichtete vom Erfolg des seit zehn Jahren existierenden radtouristischen Angebots für die 25 Anrainerkommunen von Xanten bis Detmold - darunter auch Selm, aber nicht der Ortsteil Cappenberg.
Selm hat zwar mit dem An-Hotel an der Kreisstraße eine zertifizierte fahrradfreundliche Unterkunft, die eigens beworben wird, wie Zimmermann im Bürgerhaus Selm erklärt hat. „Selm ist aber kein typischer Übernachtungsort für Gäste“, räumte sie ein. Da seien andere Etappenziele zwischen Niederrhein und Teutoburger Wald attraktiver. Die nächsten sind Lünen, Werne oder Hamm.
Die Römer-Lippe-Route
Als die Tour noch Römerroute hieß, führten die quadratischen Wegweiser mit Römerhelmen noch von Werne über Cappenberg nach Lünen. Das änderte sich 2013. Zwar verspricht die erneuerte Römer-Lippe-Route immer noch „eine Entdeckungsreise von historischem Format“. Aber ausgerechnet der Ort, von dem aus über viele Jahrhunderte die Geschicke der ganzen Region bestimmt wurden durch das mächtige Kloster Cappenberg, blieb nun außen vor.
Die 100-Schlösser-Route
Bereits fünf Jahre zuvor, 2008, war Cappenberg aus der 100-Schlösser-Route geflogen. Anders als zu Schloss Westerwinkel in Herbern, zur Burg Vischering in Lüdinghausen oder zum Schloss Nordkirchen führen keine grünen Schilder mit stilisiertem Burgen-Symbol mehr nach Cappenberg.
David Ruschenbaum, der seit Mitte 2023 in Selm für das Stadtmarketing verantwortlich ist, kennt das Problem. Und er hat Verständnis für seine Ursachen: „Bei der Festlegung des Routenverlaufes der Römer-Lippe-Route in 2010/2011 wurden alle Anrainer in die Routenplanung einbezogen“, sagt er auf Anfrage. „Damals musste bei Waltrop und Selm der Kniff vollzogen werden, beide Kommunen mit in den Verlauf zu integrieren.“ Das ist in diesem Falle geografisch nicht einfach.
Beide Kommunen würden sozusagen übereinander und nicht nebeneinander liegen. Der „Schlenker“ im Routenverlauf sei jetzt schon sehr stark. „Und eine Führung von Waltrop zurück über Cappenberg nach Selm-Bork in einem noch stärkeren Bogen würde von vielen Radfahrenden infrage gestellt.“ So sei es zu der nun empfohlenen Strecke gekommen: knapp sieben Kilometer durch das Selmer Stadtgebiet, überwiegend straßenbegleitend, vorbei an dem Amtshaus Bork, der St.-Stephanus-Kirche und dem Seepark Ternsche.

Ruschenbaum sieht nicht nur praktische, sondern auch inhaltliche Gründe für diesen Streckenverlauf ohne Cappenberg: Eine Anbindung an die Römer-Lippe-Route über eine zusätzliche alternative Wegeschleife sei nur dann möglich, wenn diese Wegeschleife und die dort befindlichen Sehenswürdigkeiten eines der beiden Kernthemen „Römerkultur“ oder „Wassererlebnis“ bedienen. „Schloss Cappenberg an sich zählt thematisch nicht dazu.“ Dass gerade die strategisch günstige Lage hoch über dem Lippetal den Cappenberger Burgsitz auch schon zu Zeiten der vordringenden Römer auszeichnete, findet in dieser Argumentation keine Berücksichtigung.
Der Grund, dass Cappenberg auch nicht an die 100-Schlösser-Route angebunden ist, liegt laut Ruschenbaum an der „teilweise mangelnden Radwegqualität“. Das habe der zuständige Regionalverband Ruhrgebiet (RVR) bemängelt. Das Problem: „Die Radwege sind zum Teil in privater Hand“, so Ruschenbaum. Immerhin: Die Tatsache, dass der Kreis Unna den Radweg am Schlossberg 2022 rundum erneuern ließ und die Treppenanlage durch eine durchgehende Fahrbahn ersetzte, ist eine Reaktion auf die einstige Kritik des ADFC und anderer. Weitere Schritte sollen folgen: „Grundsätzlich plant die Stadt Selm in Zukunft Gespräche mit Graf von Kanitz, um das Thema 100-Schlösser-Route zu bearbeiten und gegebenenfalls eine Anbindung des Schloss Cappenberg an die Route zu erreichen“, sagt Ruschenbaum vorsichtig.
Neue Chance durch neuen Weg
In dem künftigen Radweg entlang der Werner Straße/Selmer Landstraße sieht Ruschenbaum eine Chance für eine mögliche Anbindung von Cappenberg über den Cappenberger Damm an das Radrevier Ruhr. Es habe schon Gespräche mit dem Regionalverband Ruhrgebiet (RVR) gegeben, der bei Fertigstellung des Weges weitere Beschilderungen vornehmen wolle.
Radfahrverein von 1898
Wie Dieter Gewitzsch in alten Akten recherchiert hat, war in Cappenberg am 14. Juli 1898 der Radfahrer-Verein „Vom Stein“ zu Cappenberg gegründet worden: einer der ersten im Umkreis. Damals gab es im Ort auch noch zahlreiche Gästezimmer und Lokale für die vielen Ausflügler.


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