Rätselhafte gelbe Bänder an Obstbäumen in Selm Band über Borke: Das ist die Bedeutung

Rätselhafte gelbe Bänder an Obstbäumen: Das ist die Bedeutung
Lesezeit

Von der braunen Borke hebt sich das strahlende Gelb des Bandes deutlich ab. Wer in der Bauerschaft Westerfelde in Selm, gegenüber der Gastwirtschaft Jakobsbrunnen, unterwegs ist, wird dieser seltsame Baumschmuck vermutlich schon aufgefallen sein. Vermutlich wissen aber nur die wenigsten, worum es sich dabei handelt. Denn die Botschaft ist neu. Aber für alle wichtig. Insbesondere für die, die sich gerne gesund und günstig ernähren. Und die es nicht ertragen können, wenn gute Lebensmittel verkommen.

Jährlich landen in Deutschland etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel in der Tonne, wie das Bundeszentrum für Ernährung vorrechnet. Ein Großteil davon ist Obst und Gemüse. Eine Verschwendung, gegen die gelbe Bänder helfen sollen - und die Aktion, die dahinter steht.

Was inzwischen in Selm angekommen ist, hatte 2018 seinen Ursprung im baden-württembergischen Landkreis Esslingen: ein Projekt, das 2021 bundesweite Beachtung erfuhr. Eine Expertenjury hatte es mit dem „Zu gut für die Tonne“-Preis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ausgezeichnet: die Initialzündung dafür, dass immer mehr Menschen mitmachten. Die Idee dahinter: Obstbaumbesitzerinnen und -besitzer laden Verbraucherinnen und Verbrauchern ein, bei ihnen Obst zu ernten - völlig kostenlos. Welche Bäume gemeint sind, signalisiert jeweils das Band. So können Äpfel, Birnen und Co. in Einmachgläser, auf Kuchen und in Marmeladen und Säfte wandern, anstatt auf dem Boden zu vergammeln.

Im Kreis Coesfeld zu finden

Im Kreis Coesfeld sind gelbe Bänder bereits in einigen Städten und Gemeinden zu finden. Im Kreis Unna sind sie noch nicht so oft vertreten. Dass die ersten markierten Bäume in der Bauerschaft Westerfelde zu sehen sind, geht auf die Initiative von Heinz-Georg Mors zurück. Der Landwirt, Hegeringsleiter und Mitinitiator des Vereins Selmer helfen Selmern hatte in der laufenden Erntesaison spontan die Idee aufgegriffen, nachdem bei ihm die Apfelernte gegen den Trend ungewöhnlich gut ausfiel: zu viele Äpfel, um sie alle alleine verwerten zu können. Für viele Apfelsorten, insbesondere die späten, kommt das Signal gerade rechtzeitig: eine Einladung zur kostenlosen Ernte, die bundesweit immer mehr Menschen aussprechen.

Die Gelbe-Band-Idee gefällt Mors aus mehreren Gründen: Das leckere, heimische Obst - in seinem Fall ungespritzt - könne noch Verwertung finden, anstatt unter den Bäumen zu verfaulen. Die kostenlose Ernteaktion lenke den Blick auf regionales und saisonal verfügbares Obst, das auch dann noch köstlich ist, wenn es schon eine Druckstelle oder einen Wurmstich hat. Und wie es das Bundeszentrum für Ernährung etwas belehrend schreibt: „Durch das eigene Abernten und Auflesen des Obstes bekommen die Verbraucherinnen und Verbraucher einen direkten Bezug zu diesen Lebensmitteln und werden für einen bewussteren, wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln sensibilisiert.“

Mors appelliert an alle, die ebenfalls Obstbäume besitzen - Privatleute wie Kommunen -, auch ihre Bäume gelb zu markieren. „Je mehr mitmachen, desto schneller spricht sich das herum.“ Informationen zu der Aktion, die jeder für sich durchführen kann, wie das Ministerium für Ernährung mitteilt, finden sich im Internet auf den Seiten des Bundesministeriums und der Bundeszentrale für Ernährung und bei Heinz-Georg Mors.

Mundraub gibt es nicht mehr

Obst und Feldfrüchte ohne die Einladung der Eigentümer zu ernten, ist verboten. Ob jemand einen Apfel im Laden klaut oder vom Baum pflückt: Beides gilt grundsätzlich als Diebstahl. Mundraub ist ein Begriff, den es schon seit Jahrzehnten nicht mehr im Strafgesetzbuch gibt. Bis Mitte der 1970er-Jahre bezeichnete er noch „die Entwendung oder Unterschlagung von Nahrungs- oder Genussmitteln oder von anderen Gegenständen des hauswirtschaftlichen Gebrauchs in geringer Menge oder von unbedeutendem Wert zum alsbaldigen Verbrauch“. Die Gelbe-Band-Aktion lädt dazu ein, nicht nur einen einzelnen Apfel zu pflücken, sondern sich gerne eimerweise zu bedienen.

Die Website Mundraub.org gibt bereits seit einigen Jahren Hilfestellung bei der Suche nach frei verfügbarem Obst. Wo kostenlose Früchte zu finden sind, zeigt eine digitale Karte. Mors Bäume sind dort nicht zu finden. Das digitale Angebot hatte sich noch nicht bis zu ihm herumgesprochen. Wer eine Fahrradtour plane, mache sich vermutlich auch nicht die Mühe, vorher ins Netz zu gehen, mutmaßt er. Ein spontan unterwegs entdecktes gelbes Band auf der braunen Borke sei dagegen eine Einladung, spontan anzuhalten, die Satteltasche zu füllen und mit einem guten Gefühl weiter zu radeln.

Heiz-Georg Mors hat markiert den ersten Apfelbaum Mit einem gelben Band. An dieser Stelle in Selm-Westerfilde darf geerntet werden.
Heiz-Georg Mors markiert den ersten Apfelbaum mit einem gelben Band. An dieser Stelle in Selm darf geerntet werden. © Sylvia vom Hofe
Reiche Ernte miteinander teilen: Das ist die Idee des gelben Bandes, das bundesweit immer mehr Verbreitung findet - jetzt auch in Selm.
Reiche Ernte miteinander teilen: Das ist die Idee des gelben Bandes, das bundesweit immer mehr Verbreitung findet - jetzt auch in Selm. © Sylvia vom Hofe