Rätsel in der Stiftskirche Cappenberg Wie kann ein tonnenschwerer Altar unsichtbar werden?

Rätsel in der Stiftskirche: Tonnenschwerer Altar wird unsichtbar
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Wie von selbst schwingt die hohe, dunkle Tür zur Stiftskirche Cappenberg auf, eine der wenigen Kirchen im Eigentum des Landes NRW. Vor der Sanierung des „Baudenkmals von europäischem Rang“ mussten sich die Besucherinnen und Besucher noch selbst gegen das schwere Holz stemmen. Jetzt genügt ein Tastendruck, um das 900 Jahre alte Gotteshaus zu betreten. Die eineinhalb Jahre dauernde und mehr als sieben Millionen Euro Landesmittel teure Rundumerneuerung hat neue Bequemlichkeit mit sich gebracht: Barrierefreiheit, Wärme im Winter und Schimmelschutz im Sommer. Die Kunstwerke strahlen wieder in altem Glanz, und unter den Gewölbedecken sind vergessene Malereien zum Vorschein gekommen. Nur ein Detail hatte die Generalsanierung ausgespart. Darauf fällt aber sofort der Blick von jedem, der eintritt: auf den Altar.

Direkt in der Blickachse steht der zentrale Tisch. Die Platte ist verdeckt von einer weißen Decke, unter der schwarze, dünne Metallbeine hervorlugen die auf einem ebenso schwarzen Gestell fußen. Dieser tragbare Altar ist nur eine Übergangslösung. Er überbrückt die Zeit zwischen dem Volksaltar aus den 1970er-Jahren - ein voluminöser, aus Natursteinen gemauerter Tisch - und einem neuen Altar. Der soll einen Bogen schlagen zwischen dem Hochmittelalter und der Gegenwart des 21, Jahrhunderts. Wie das funktionieren kann, war noch völlig offen, als Handwerker gleich zu Beginn der zwischen Juni 2020 und Januar 2022 erfolgten größten Kirchensanierung Westfalens den gemauerten Altar abtrugen. Jetzt gibt es eine Antwort darauf - und zwei Rätsel.

„Was lag näher, als einen Wettbewerb unter renommierten Kirchenkünstlern durchzuführen“, sagt Pater Dr. Philipp Reichling, der Vorsitzende des Preisgerichts. Der Kunsthistoriker aus Duisburg hat eine enge Beziehung zur Cappenberger Stiftskirche: zum einen, weil er dort selbst mehrere Jahre lang als Pfarrer gearbeitet hat, zum anderen, weil die Kirche eine besondere Rolle für seinen Prämonstratenser-Orden spielt: Am 31. Mai 1122 hatte Graf Gottfried von Cappenberg seine Burg Ordensgründer Norbert von Xanten, geschenkt. Gottfrieds Verzicht auf Ämter, Güter und Vermögen ließ das erste Kloster dieser Art auf deutschem Boden entstehen und bahnte den Prämonstratensern den Weg zu einem der erfolgreichsten Reformorden Europas. Diese besondere Rolle spiegelt sich auch 900 Jahre später in dem Siegerentwurf des Cappenberger Altar-Wettbewerbs. Zumindest auf den zweiten Blick.

Rätselhaftes Lilien-Muster

Altar-Rätsel Nummer eins: Was bedeuten die goldenen Linien auf dem dunklen Grund des Stahls, aus dem der Altar gefertigt ist? Auf den ersten Blick gleichen sie einem Wimmelbild: ineinander greifende Kettenglieder oder geheime Schriftzeichen? In jedem Fall etwas, das genauso wenig zu ergründen ist wie die viel zitierten Wege des Herrn - denkt man. Dann verwandeln sich plötzlich die gerade noch wild gewordenen Schnörkel in stilisierte Schwertlilien: von Alters her das Erkennungszeichen der Prämonstratenser. Das Nürnberger Künstlerduo Hannes Arnold und Klaus-Dieter Eichler hat für das geheimnisvolle Muster drei verschieden große Lilien übereinandergelegt. Die einzelnen Blüten zu entdecken, ist nicht die einzige Herausforderung für die Betrachterinnen und Betrachter. Sie müssen auch erst einmal feststellen, dass es überhaupt diese Blattgold-Verzierungen zu entdecken gibt.

Ein goldenes Wimmelbild: So sieht der Innenraum des Altars aus. Finden Sie die stilisierte Lilie?
Ein goldenes Wimmelbild: So sieht der Innenraum des Altars aus. Finden Sie die stilisierte Lilie? © Sylvia vom Hofe

Altar-Rätsel Nummer zwei: Wie kann ein tonnenschwerer Altar unsichtbar werden? Wer hinten in der Kirche steht und durch die neue Glasfront gerade nach vorne schaut, wird den neuen Altar vielleicht gar nicht sofort entdecken. Und das, obwohl er 1,20 Meter breit ,1 Meter hoch und mehr als 1 Tonne schwer sein wird. Lediglich tanzende Sonnenstrahlen mögen verraten, dass das transparente Nichts zwischen Langhaus und berühmten Chorgestühl in Wahrheit ein massiver Cubus aus dunklem Walzstahl ist. Pater Philipp Reichling verrät, wie die optische Täuschung funktioniert.

Wer den Blickwinkel ändert - hier ein Blick von der Orgeltribüne der Stiftskirche Csppenberg herab - wird den rechteckigen Körper des stählernen Altars durchaus erkennen können. Und das goldene Glitzern in ihm. Das zeigt der Entwurf des Ateliers Arnold und Eichler.
Wer den Blickwinkel ändert - hier ein Blick von der Orgeltribüne der Stiftskirche Cappenberg herab - wird den rechteckigen Körper des stählernen Altars durchaus erkennen können. Und das goldene Glitzern in ihm. Das zeigt der Entwurf des Ateliers Arnold und Eichler. © Atelier Arnold und Eichler

„Man muss sich das wie eine rechteckige Röhre vorstellen durch die man hindurchblicken kann“, sagt er. Der Rand sei schließlich nur 20 Millimeter dick. Für die Lichtreflexe sorge das Blattgold im Innern. Schon eine winzige Veränderung der Position und damit des Blickwinkels lasse aber den massiven Stahlkörper zu Tage treten. Ein ebenso interessanter wie überzeugender Entwurf, wie die Jury befand, der Reichling vorstand. Leicht gemacht hatte sie sich dieses Votum nicht.

Fünf Entwürfe im Rennen

Fast fünf Stunden hatte das Preisgericht getagt, „Denn auch die vier anderen Entwürfe waren auf einem ausgesprochen hohen künstlerischem und handwerklichem Niveau“, erklärt Pater Reichling. Um wessen Arbeit es sich handelte, bei den fünf Modellen im Format 1:10 war den Jury-Mitgliedern - neben vier Vertretern von Kirchenvorstand und Pfarreirat in Cappenberg auch vier überregional tätige Fachleute - nicht bekannt. Die Entwürfe der unterschiedlichen Kirchenkünstlerinnen und Kirchenkünstler wurden anonym präsentiert.

Das ist die Jury, die den Altar ausgesucht hat (v. l.): Dr. Michael Funke, Mitglied des Fördervereins, PD Dr. Susanne Kolter, Vorsitzende der Kunstkommission des Bistums Münster, Andrea Liapis, Architektin, Patronate und Sonderliegenschaften des 
Regierungsbezirkes Arnsberg, Ulrich Schniedergers, Mitglied des Kirchenvorstandes,  Beate Mens, Vorsitzende des Pfarreinrats, Dr. Martina Dlugaiczyk, Wissenschaftliche Fachreferentin der Abteilung Kunst und Kultur, Kunstpflege des Bistums Münster, Pater
Das ist die Jury, die den Altar ausgesucht hat (v. l.): Dr. Michael Funke, Mitglied des Fördervereins, PD Dr. Susanne Kolter, Vorsitzende der Kunstkommission des Bistums Münster, Andrea Liapis, Architektin, Patronate und Sonderliegenschaften des Regierungsbezirkes Arnsberg, Ulrich Schniedergers, Mitglied des Kirchenvorstandes, Beate Mens, Vorsitzende des Pfarreinrats, Dr. Martina Dlugaiczyk, Wissenschaftliche Fachreferentin der Abteilung Kunst und Kultur, Kunstpflege des Bistums Münster, Pater Dr. Philipp Reichling, Kunsthistoriker und Vorsitzender des Preisgerichts, und Prof. Dr. Alfons Rinschede, Stellvertretender Vorsitzender des Kirchenvorstandes. © Pfarrei St. Johannes Cappenberg

Wann der neue - je nach Standort ebenso unscheinbare wie präsente - Altar des Künstlerduos Arnold und Eichler Einzug halten wird in die Stiftskirche, ist noch offen. Die Kirchengemeinde hat gerade erst den Auftrag erteilt. Dass dem 900 Jahre alten Gotteshaus dann eine besondere Feier bevorstehen wird, steht aber fest. „So eine Altarweihe ist immer etwas ganz Besonderes“, sagt Pater Reichling: ein über Jahrhunderte geprägter Ritus mit Feuer und Weihwasser, der etwas archaisch wirke und an das erinnere, was jeder Altar ursprünglich ist: ein Opferstein. Erst das Christentum hat daraus den „Tisch des Herrn“ werden lassen, an dem das letzte Abendmahl Jesu Christi wiederholt wird. Das ist aber kein Altar-Rätsel, sondern ein Geheimnis des Glaubens.

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