Protesttag am 14. Juni Darum bleibt die Apotheke von Julius Meinhardt (28) geschlossen

Protesttag am 14. Juni: Apotheken bleiben geschlossen
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Das Dilemma, in dem sich die Apotheker momentan befinden, wird an einem Freitagnachmittag auch in Selm deutlich. In der Apotheke am Sandforter Weg muss Julius Meinhardt eine ältere Kundin vertrösten. Die Augentropfen mit Kortison, die ihr vom Arzt verschrieben wurden, sind nicht lieferbar. Auch die umliegenden Apotheken können nicht aushelfen. Weil der verschreibende Arzt bereits im Wochenende ist, kann das Rezept nicht geändert werden.

So muss der 28-Jährige die Dame ohne Medikament nach Hause schicken. Probleme wie diese sind keine Seltenheit. „Das passiert mehrmals täglich“, berichtet Meinhardt. „Ich weiß mit meinem pharmazeutischen Wissen genau, welche Augentropfen für die Patientin geeignet wären, aber ich darf es nicht austauschen.“

Nicht nur das kritisiert der Apotheker. Deshalb schließt er sich dem bundesweiten Protesttag der Apotheken am 14. Juni an – die Apotheke am Sandforter Weg bleibt an diesem Tag geschlossen.

Mit dem Protest will Julius Meinhardt auf die aktuelle Lage der Apotheken aufmerksam machen. „Es macht im Schnitt jeden Tag eine Apotheke in Deutschland zu“, merkt Meinhardt an. Die Gründe sind vielfältig: Fachkräftemangel, zu viel Bürokratie, eine schlechte Vergütung bei der Ausgabe von Medikamenten.

Erste Anlaufstelle

Durch die vielen Schließungen müssten aufgrund des demografischen Wandels immer mehr Patienten von weniger Apotheken betreut werden. „Das birgt die Gefahr, dass für den einzelnen Patienten nicht mehr so viel Zeit bleibt, um ihm zu helfen“, warnt Meinhardt. „Die Apotheke ist ja nicht nur eine Medikamenten-Ausgabestelle. Sie ist die erste Anlaufstelle überhaupt bei Beschwerden.“

Bevor sich ein Patient zwei Stunden in ein Wartezimmer beim Arzt setzt, könne er die Apotheke aufsuchen und eine erste Einschätzung erhalten. „Da hat die Apotheke eine Lotsenfunktion für den Patienten.“

Sollte die Beratung in der jetzigen Form künftig nicht mehr möglich sein, „dann geht genau die Qualität verloren, die Apotheken momentan haben.“ Um das zu verhindern, müsse der Apotheken-Betrieb wirtschaftlich sein.

Margen seit zehn Jahren gleich

Eine Stellschraube wäre die Erhöhung der Margen bei verschreibungspflichtigen Medikamenten. Die seien seit zehn Jahren nicht angepasst worden – trotz steigender Betriebskosten für die Apotheken. Dazu kommt: Die Rabatte, die Julius Meinhardt den Krankenkassen gewähren muss, sind gestiegen. „Das heißt, die Marge wird sogar gekürzt. Das ist ein bisschen wie wenn man jemandem, den es schlecht geht, hinterher tritt.“

Hinweisschilder kündigen den Protesttag der Apotheken an.
Hinweisschilder kündigen den Protesttag der Apotheken an. © Dennis Görlich

Die Lieferengpässe zahlreicher Medikamente sorgen für ein weiteres Problem, so Meinhardt: „Jede Belieferung hat doppelten bis dreifachen Aufwand.“ Hier wünscht er sich mehr Flexibilität beim Austausch mit gleichwertigen Medikamenten. Aktuell müssen er und sein Team regelmäßig Ärzte kontaktieren und sogar die Praxen anfahren, um Rezepte abändern zu lassen. „Das alles ist Mehraufwand, der nicht vergütet wird.“

Ein weiteres Problem sieht der Apotheker bei der „Retaxierung“: Krankenkassen können die Zahlung von verschriebenen Medikamenten verweigern, sollten Formfehler bei der Abrechnung vorliegen, zum Beispiel durch fehlerhafte Angaben auf dem Rezept. Julius Meinhardt würde auf den Kosten sitzen bleiben – auch bei Medikamenten, die mehrere Tausend Euro kosten. „Wenn dann die Krankenkasse auf Null kürzt, kann das für Apotheken schon existenzgefährdend sein.“

„Öl ins Feuer“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will den Beruf der Apotheker eigenen Angaben nach unter anderem durch Entbürokratisierung und bessere Bezahlung für Leistungen in Gesundheits- und Vorsorgeberatungen attraktiver gestalten, teilt aber gleichzeitig mit: „Die Einkommen der Apotheker sind stetig gestiegen, gerade in der Pandemie. Wirklich schlecht verdient wird in der Pflege.“

Für Volker Brüning, der Apotheken in Lünen und Selm betreibt, ist diese Aussage ein Unding. „Wir werden immer weniger, sicher nicht, weil wir so viel verdienen“, so die Reaktion des Sprechers der Apothekerschaft im Nordkreis Unna. „Das ist genau das Problem: Herr Lauterbach nimmt unsere Probleme nicht ernst.“

Apotheker Volker Brüning kritisiert die jüngste Aussage des Bundesgesundheitsministers.
Apotheker Volker Brüning kritisiert die jüngste Aussage des Bundesgesundheitsministers. © Archiv

Das jüngst vom Bundesgesundheitsministerium veröffentlichte „Faktenblatt“ zur wirtschaftlichen Lage der Apotheken sei „unseriös“, es werde „Öl ins Feuer“ gegossen. Denn in dem Blatt werde das Pandemie-Jahr 2021 mit der Vor-Corona-Zeit verglichen. Zwar sei der Umsatz in den Apotheken gestiegen – vor allem wegen der hochpreisigen Arzneimittel – der Gewinn der Apotheken wegen der gleichbleibenden Margen allerdings nicht.

Notdienst gewährleistet

Daran übt auch Volker Brüning Kritik: „Dies ist nicht mehr nur ungerecht, sondern inzwischen für viele Apotheken existenzgefährdend. Andere wichtige Versorgungsinstanzen, wie beispielsweise Arztpraxen und Krankenhäuser, haben dafür Extra-Zahlungen erhalten.“

Die Apotheken von Volker Brüning bleiben während des Protesttages am 14. Juni ebenfalls geschlossen. Er spricht von einer Solidarität innerhalb der Apothekerschaft, die es so noch nie gegeben habe. Auch eine flächendeckende Schließung habe es noch nie gegeben.

In Notfällen müssten die Menschen in Lünen und Selm dennoch nicht auf Medikamente verzichten: „Die Notversorgung ist an diesem Tag durch Notdienstapotheken gewährleistet. Auch wenn wir protestieren, lassen wir dank der dezentralen Versorgung niemanden im Regen stehen.“

Volker Brüning und Julius Meinhardt empfehlen zudem, Medikamente vorausschauend an anderen Tagen zu besorgen und Fragen an das Apothekenteam möglichst vor oder nach dem Protesttag zu klären.