Der Sprecher des Bistums Münster, Dr. Stephan Kronenburg, macht keinen Hehl daraus, dass er sauer ist. Von einem Selmer Sonderweg zu sprechen, sei nicht richtig: eine Formulierung, die in einer objektiven Berichterstattung über den künftigen Zuschnitt der Pastoralen Räume im Bistum fehl am Platze sei. Welche Bezeichnung er passender findet dafür, dass Selm nicht, wie im Herbst 2021 vom Bistums selbst vorgeschlagen, mit den Nachbarn Cappenberg, Werne und Lünen einen Pastoralen Raum bildet, sondern mit Olfen, Nordkirchen, Lüdinghausen und Senden, schreibt Kronenburg nicht. Fest steht: Seit Freitag (21. 4.) ist trotz anhaltender Kritik aus Selm und Cappenberg kaum noch daran zu rütteln.
Zwar wird der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, erst im Mai offiziell entscheiden, wie die Zuordnungen der derzeit 207 Pfarreien zu den künftigen knapp 50 Pastoralen Räumen im Bistum Münster, die nach Mitgliedern zweitgrößte Diözese Deutschlands, erfolgen wird. Am Freitag hatte aber bereits der Diözesanrat, das oberste Mitwirkungsgremium des Bistums Münster, die Weichen gestellt. Er empfahl dem Bischof, die territorialen Zuordnungen so umzusetzen, wie es die Steuerungsgruppe empfohlen hatte. Die hatte sich den Selmer Vorschlag, über Stadt- und Kreisgrenzen hinweg stärker ans Münsterland heranzurücken, zu eigen gemacht.
„Dramatische Entwicklung“
Die Pastoralen Räume werden am 1. Januar 2024 kirchenrechtlich errichtet werden: eine Reaktion auf den anhaltenden Mitgliederschwund, den Personalmangel und die schwindenden finanzielle Ressourcen in der katholischen Kirche. Generalvikar Dr. Klaus Winterkamp hat vor wenigen Tagen in einem Interview die Entwicklung „dramatisch“ genannt: 2020 hätten im Bistum Münster knapp 1,8 Millionen Katholiken gelebt. „2040 werden es vermutlich 500.000 weniger sein.“ Vor 20 Jahren besuchten fast 350.000 Menschen sonntags die Gottesdienste; 2021 waren es noch 65.000. Und habe es 2021 noch 380 Diözesanpriester gegeben, würden es 2040 nur noch etwa 125 sein. Auch die Zahl der anderen Hauptamtlichen in der Seelsorge sei stark rückläufig.

Laut Generalvikar Winterkamp sind die Zeiten der „Versorgungskirche“ vorbei, die mit ihrem Personal den Gläubigen verschiedene Angebote vor Ort machen konnte. Mitarbeitende und Gemeindemitglieder müssen künftig in größeren Gebieten unterwegs sein: den Pastoralen Räumen. Ein Seelsorgeteam wird dort für mehrere Pfarreien zuständig sein, es wird Fachleute für Verwaltungsaufgaben geben und Laien in Leitungsaufgaben, wie es bei einem „Hearing“ für Haupt- und Ehrenamtliche im Januar hieß.
Streit im Kreis Recklinghausen
In welche Richtung sich Katholiken bald bewegen müssen, ist seit Freitag weitgehend beschlossen. „Größere Kontroversen oder nicht miteinander vereinbare, unterschiedliche Vorstellungen vor Ort habe es nur selten gegeben“, hieß es während der Sitzung des Diözesanrates. An fünf Stellen hatte es aber offenbar so geknirscht, dass das eine besondere Erwähnung fand. Zum Beispiel in Recklinghausen und Herten. Beide Gemeinden sollten einen Pastoralen Raum bilden. Während die Hertener Pfarreien dem zustimmten, lehnten die aus Recklinghausen ab. In diesem Fall fand die Steuerungsgruppe einen Kompromiss: Die streitbaren Nachbarn bekommen Aufschub bis 2028. Bei dem Disput zwischen Selm und Cappenberg fiel die Lösung anders aus. „Die Steuerungsgruppe folgt dem Votum der gewählten Gremien der Pfarrei St. Ludger Selm“, so Kronenburg.

Warum das Votum aus Selm mehr Gewicht habe als die Bedenken dagegen aus Cappenberg? Wieder gefällt dem Bistumssprecher die Wortwahl nicht. Die Frage sei falsch gestellt, merkt er an, denn sie enthalte „leider eine Unterstellung“. „Es gibt im Blick auf Selm für beide möglichen Zuordnungen gute Argumente. Diese Argumente wurde in sorgfältigen Überlegungen in der Pfarrei St. Ludger Selm abgewogen.“ Dass man sich in Cappenberg eine andere Selmer Entscheidung gewünscht hätte, „stimmt sicher“. Das sei aber „weder ein Sonderweg noch eine Wunscherfüllung, sondern eine Argumente aufgreifende, abgewogene Empfehlung.“ Gravierende Nachteile für die Kirche und ihre Einrichtungen in Cappenberg seien außerdem nicht zu sehen. Das ist Ansichtssache.
Stenner versteht Pfarrer nicht
In einem Gespräch mit Weihbischof Stefan Zekorn kurz vor Ostern hatten drei Mitglieder der Pfarrgemeinde St. Johannes Cappenberg noch versucht, ihre Bedenken deutlich zu machen. Dass es innerhalb des Selmer Stadtgebietes zwei pastorale Räume gebe, bringe Nachteile für Kinder und Jugendliche mit sich. Klassenverbände, ob in der Grundschule oder auf dem Gymnasium, würden für kirchliche Aktivitäten künftig auseinandergerissen. Auch Landrat Mario Löhr hatte Kritik geäußert, weil das Selmer Votum, das laut Bistumssprecher kein Sonderwegs ist, den kommunalen Zusammenhalt von Stadt und Kreis unterlaufe. Der Weihbischof teilte diese Bedenken nicht. Kritik kommt aber nicht nur aus Cappenberg.
Gerhard Stenner, ehemaliges Kirchenvorstandsmitglied, hat sich bereits mehrfach zu Wort gemeldet, zuletzt einen Tag, bevor der Diözesanrat zusammentrat. Er hat große Zweifel, dass die Mehrheit der Selmer Katholiken hinter dem steht, was das Seelsorgeteam und der Pfarreirat einstimmig und der Kirchenvorstand mit großer Mehrheit beschlossen haben. Deshalb hatte er sich eine Gemeindeversammlung gewünscht. „Warum behandeln Sie uns wie unmündige Mitglieder dieser Kirchengemeinde“, fragt er in einem offenen Brief Selms Pfarrer Claus Themann. „Müsste es nicht gerade Ihre Aufgabe sein, möglichst alle Mitglieder mitzunehmen und zu überzeugen?“ Die Antwort des Pfarrers: „Ich habe mit Herrn Stenner darüber gesprochen, dass wir eine Gemeindeveranstaltung andenken.“ Eine Zusage habe er nicht gegeben: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass durch Gemeindeversammlungen nur sehr wenige Mitglieder der Pfarrei erreicht werden. Daher sind wir den Weg in Gruppen, Vereine und Verbände gegangen“.
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