Pastorale Räume im Bistum Münster Protest gegen Selmer Sonderweg: „Bitten Sie um Aufschub!“

Pastorale Räum: Protest gegen Selmer Sonderweg hält an
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„Viel Ruhe und Auszeiten vom Alltag.“ Das wünschen die Verfasserinnen und Verfasser des Oster-Pfarrbriefes der Selmer Kirchengemeinde St. Ludger den Leserinnen und Leser. Von Ruhe ist dort aber derzeit wenig zu spüren. Die Diskussion um den richtigen Zuschnitt der Pastoralen Räume im Bistum Münster ebbt nicht ab. Der geplante Selmer Sonderweg sorgt für lauten Widerspruch - nicht nur im Selmer Ortsteil Cappenberg, sondern auch in Selm selbst.

Bischof Felix Genn wird die Pastoralen Räume zum 1. Januar 2024 in Kraft setzen. Die Entscheidung darüber wird aber bereits Ende April fallen - viel zu früh, wie Gerhard Stenner, ehemaliges langjähriges Selmer Kirchenvorstandsmitglied und Sprecher der Kritiker des Selmer Sonderwegs, meint. „Bitten Sie den Bischof um Entscheidungsaufschub und lassen sie uns Kirchenmitglieder an der Entscheidungsfindung mitwirken“, fordert er Selms Pfarrer Claus Themann in einem neuen offenen Brief von Freitag (31.3.) auf. Zumindest ein Gespräch mit Vertretern der zweitgrößten Diözese Deutschlands soll es noch vor Ostern geben. Unterschriften gegen den Selmer Sonderweg werden derzeit sowohl in Selm und Bork als auch in Cappenberg gesammelt.

Die Unzufriedenheit in Selm und Cappenberg mit dem Selmer Sonderweg hat die Pressestelle des Bistums noch nicht erreicht. Die meisten Gebietszuschnitte seien geklärt, heißt es da. „In einigen Fällen wurden Alternativvorschläge gemacht, die von der Steuerungsgruppe des Prozesses als möglich angesehen werden“, ergänzt Sprecherin Anke Lucht am Montag (3.4.), ohne dabei konkret Selm zu nennen. Was die Steuerungsgruppe für möglich hält, finden Stenner und andere Kritiker indes unmöglich - allein schon, weil ihrer Meinung nach Argumente genannt worden seien, die laut Stenner „oberflächlich“ sind und „auf tönernen Füßen“ stehen.

Krise der Kirche als Auslöser

Die Gemeinde in Selm war von dem Vorschlag des Bischofs abgewichen, Selm in mit Lünen, Werne und Cappenberg zu einem Raum zusammenzufassen, wie es nicht nur den kirchlichen Dekanats-Grenzen entspricht, sondern auch den kommunalen Grenzen des Kreises Unna. Stattdessen will Selm lieber mit Olfen, Nordkirchen, Lüdinghausen und Senden zusammengehen.

Anlass für die neue Struktur, die es bereits in einigen anderen Bistümern gibt, ist die aktuelle Entwicklung in der katholischen Kirche: Immer weniger Priester, Diakone, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, immer weniger Katholiken, leere Kirchenbänke und rückläufige Finanzmittel lassen kein „Weiter so“ zu. Die neuen Pastoralen Räume, die weiterhin eigenständige Gemeinden zusammenführen, sollen Ressourcen sparen helfen. Jeder Pastorale Raum wird künftig mit acht hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern auskommen müssen. Entsprechend groß wird die Bedeutung von ehrenamtlichen Kräften sein, damit Gemeindeleben im Pastoralen Raum - wenn auch nicht immer vor der Haustür - erfahrbar bleiben kann. Ob es gelingen wird, dafür genügend engagierte Menschen zu finden, hatten aber selbst Mitglieder des Diözesanrates, also des obersten Mitwirkungsgremiums im Bistum, im Februar bereits in Frage gestellt.

Annika Reibetanz (hier bei einer der Veranstaltungen zur 900-Jahr-Feier in Cappenberg) versteht nicht, warum die Grenze zwischen den neuen Pastoralen Räumen mitten durch den Ort gehen soll.
Annika Reibetanz (hier bei einer der Veranstaltungen zur 900-Jahr-Feier in Cappenberg) versteht nicht, warum die Grenze zwischen den neuen Pastoralen Räumen mitten durch den Ort gehen soll. © Günther Goldstein

Laut den Verantwortlichen aus Selm gibt es „auf verschiedenen Ebenen

gute Kontakte in die neu gewählte Richtung“, also in den Kreis Coesfeld. Priester und Organisten hätten in der Vergangenheit eng zusammengearbeitet. Vor allem aber: „Die Jugendgruppen unserer Pfarrei pflegen Kontakte in den gewählten Raum hinein – seien es Messdiener, Landjugend oder auch Pfadfinder.“ Diese „gemeindlichen Verbindungen gibt es so nicht in Richtung der anderen Pfarreien in Cappenberg, Werne und Lünen“, ist im Selmer Oster-Pfarrbrief zu lesen. Gerhard Stenner kann da nur mit dem Kopf schütteln.

Reibetanz: Diskussion fehlte

Die Beziehungen der Jugendlichen seien „mit Sicherheit ebenso stark zu Bekannten und Freunden in Cappenberg (...) Werne und Lünen, zumal der eine oder die andere dortige Schulen oder Ausbildungsstätten besucht“, schreibt er. Und: „Wir haben noch nie einen Aushilfspriester aus Olfen, Lüdinghausen, Nordkirchen oder Senden gehabt, zumindest ist mir keiner bekannt“. Strukturell gebe es jetzt schon eine enge Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden in Selm, Cappenberg, Werne und Lünen. Dafür nennt er eine ganze Reihe Beispiele: die Caritas Lünen-Selm-Werne, die Familienbildungsstätte, die gemeinsame Grundschule in Bork mit Cappenberg und auch das katholische St.-Christophorus-Gymnasium Werne.

Annika Reibetanz (25) fügt noch das Städtische Gymnasium Selm dazu, das auch viele Jugendliche aus Cappenberg besuchten: eine Verbindung, die die Gemeinde jetzt auseinander dividiere. „Es ist doch einfach Unsinn, einen Ort zu teilen“, sagt die Theologie-Studentin aus Cappenberg, die zugleich Mitglied des Pfarreirates ist. Zumal ausgerechnet der von Selm abgestoßene Ortsteil Cappenberg mit seiner 900 Jahre alten Stiftskirche kulturgeschichtlich betrachtet das religiöse Zentrum für die gesamte Region sei. Obwohl Annika Reibetanz - anders als Gerhard Stenner - selbst aktives Gremiumsmitglied ist, vermisst auch sie eine breite Diskussion über die Frage des Zuschnitts des Pastoralen Raums. Als Selm die Nachbargemeinde Cappenberg informierte, habe der Beschluss zum Sonderweg bereits festgestanden: eine vertane Chance, gemeinsam die Zukunft zu gestalten, wie sie meint.

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