Pro & Contra
Offener Ganztag - unflexibel oder verlässlich?
Über die strengen Teilnahmeregelungen an der Offenen Ganztagsschule wird unter Eltern in Selm und in zahlreichen anderen Städten viel diskutiert. Viele ärgern sich, dass sie ihre Kinder nicht regelmäßig vor 16 Uhr abholen dürfen. Wir diskutieren: Ist das Modell verlässlich oder unflexibel und wirklichkeitsfremd? Was meinen Sie?
Der Tornister bleibt im Fach, die Hausaufgaben sind erledigt.
Für viele Eltern ist das Konzept der Offenen Ganztagsschule (OGS) eine große Hilfe. Immer wieder kommt aber auch der Wunsch nach einer flexibleren Nutzung des Angebots auf. Zahlreiche Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen erhöhen aktuell den Druck auf Eltern, ihre Kinder zu den vorgegebenen Zeiten abzuholen.
Die Kritik an den Betreuungszeiten der OGS ist nicht neu: Zu starr seien sie, um eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich zu machen, argumentierte etwa Birgit Völxen von der Landeselternschaft Grundschulen in NRW. Vielen Eltern reiche die Betreuungszeit nicht aus, andere wiederum würden ihre Kinder gerne an jenen Tagen früher abholen können, an denen sie nicht so lange arbeiten müssen. Ein Runderlass des Bildungsministeriums fordert aber eine regelmäßige und umfängliche Teilnahme der Kinder am Offenen Ganztag. Das gehe jedoch an der Lebensrealität vieler Familien vorbei, sagt Christian Zehren. Er hat mit anderen Müttern und Vätern eine Online-Petition zur Reform der OGS gestartet. Die Diskussion schwelt derzeit an vielen Schulen - auch in Selm und innerhalb unserer Redaktion. Macht es Sinn, dass Kinder nicht regelmäßig bereits vor 16 Uhr abgeholt werden dürfen?
Im Pro und Contra legen sich unsere Redakteure Sylvia vom Hofe und Thomas Aschwer fest:
Sylvia vom Hofe: "An Regeln halten"
"Verlässlichkeit ist keine Einbahnstraße. Wer ein zuverlässiges, pädagogisch ansprechendes Betreuungsangebot für seine Kinder haben möchte, muss sich auch selbst an Regeln halten. Und die sind eindeutig: fünf Tage die Woche bis 16 Uhr. Ausnahmen wie der 70. Geburtstag der Omi bestätigen diese Regel. Der Wunsch von Eltern, einen freien Nachmittag gemeinsam mit ihren Kindern zu verbringen – so verständlich er auch sein mag – genügt aber nicht. Wer sich darüber ärgert, sollte hinterfragen, was er von einer OGS erwartet: nur das Verwahren der Kinder – dann würde es tatsächlich keinen Unterschied machen, ob sie mal fehlen oder nicht – oder ihre Förderung, wie der Verein „Ganz Selm“ sie anbietet. Nach 16 Uhr gibt es noch genug Gelegenheit für Gemeinschaft und Hobbys. Hauptsache, man nutzt sie auch."
Thomas Aschwer: "Starre Regeln fördern Frust"
"Die Regelung scheint auf den ersten Blick logisch und gut: Wer sein Kind in der OGS anmeldet, kennt die Regeln. Dazu gehört eine regelmäßige Teilnahme. Wer das nicht will, weil sein Kind im Sportverein ist, eine Musikschule besucht oder andere Interessen hat, kann sich auch bewusst gegen die OGS entscheiden. „Auch kein Problem“, meinen das Land und die Verfechter der generellen Präsenzpflicht. Es herrsche halt Wahlfreiheit. Doch diese Logik greift zu kurz. Was ist mit den Familien, die zwar auf eine Betreuung angewiesen sind – allerdings nicht so lange und/oder so häufig wie es die OGS verlangt? Warum werden Familien in die Bredouille gebracht, sich zwischen OGS oder anderen Aktivitäten entscheiden zu müssen. Flexibilität ist für Beschäftigte in der freien Wirtschaft schon lange angesagt. Darauf mit starren Regeln zu reagieren, ist nur kontraproduktiv und fördert den Frust."
Was meinen Sie? Stimmen Sie ab!
Das sagen die Organisatoren
In allen örtlichen Grundschulen in Selm ist seit 2011 der Verein "Ganz Selm" Träger der Offenen Ganztagsschule. Die Frage der Eltern, ob sie ihre Kinder regelmäßig vor 16 Uhr abholen können - oder das Angebot nur an einzelnen Tagen nutzen zu dürfen, kennen die Verantwortlichen dort. Und die Antwort ist immer wieder die gleiche: „Nein, nur in begründeten Ausnahmefällen.“
Der Erlass des Landes sei eindeutig und lasse keine andere Wahl, sagt Lothar Kirchner, der Sprecher des Vereins Ganz Selm. Ein spontanes Hin und Her an den Nachmittagen? Das würde die pädagogische Arbeit erheblich stören und sei deshalb auch zu vermeiden, so die Organisatoren.
Dass manche Eltern statt fünf nur drei oder vier feste Tage für den offenen Ganztag wählen wollten, sei dagegen durchaus verständlich. Diesen Wunsch zu erfüllen, liege aber nicht in der Hand des Vereins, betont Jugendamtsleiter Norbert Strickstrock in seiner ehrenamtlichen Funktion als zweiter Vorsitzender von Ganz Selm. Die Gemeindeprüfungsanstalt kontrolliert die Verwendung der Mittel für die OGS, wissen Strickstrock und seine Kollegen. Dabei schauen die Prüfer auch die Anwesenheitslisten der OGS-Kinder durch und hinterfragen die Stichhaltigkeit der Entschuldigungen, warum ein Kind nicht da war oder früher gegangen ist.