Rund zehn Jahre lang ist ein wichtiges Mailpostfach, in dem externe Meldungen unter anderem der Polizei an das Jugendamt der Stadt Selm landeten, nicht geöffnet worden. Die Existenz war beim Jugendamt offensichtlich niemandem bekannt. Die Stadt hat deshalb nun die rund 80 Nachrichten, die teilweise jahrelang ungelesen in dem entsprechenden Eingang lagen, untersucht.
Über rund 60 davon wurde das Jugendamt auf anderem Wege informiert, von den 20 weiteren erfuhren die Verantwortlichen erst, als das Postfach vor wenigen Wochen entdeckt wurde.
Auf Anfrage erklärt Stadtsprecher Malte Woesmann zu den Untersuchungen: „Die Vorgänge sind inzwischen, d.h. in den vergangenen Wochen, allesamt fachlich bekannt und geprüft worden. Dies gilt insbesondere für die etwa 20 zuvor nicht bekannten Sachverhalte.“ Notwendige Beratungsangebote und Hilfen seien den Eltern in Fällen, wo es aus Sicht des Jugendamts angebracht war, angeboten worden, allerdings aufgrund der unbekannten Mails natürlich erst zeitversetzt.
„Die Stadtverwaltung bedauert diesen Vorgang sehr. Anhand der Überprüfung der Fälle kann aber aktuell davon ausgegangen werden, dass kein Kind durch verspätetes Handeln des Jugendamtes zu Schaden gekommen war“, fasst der Sprecher das Ergebnis der nachträglichen Fallprüfungen zusammen. Die Nachfrage vom Montag, 17.3., was der konkrete Inhalt der 20 durch die Polizei gemeldeten Sachverhalt war, beantwortet die Stadt bislang jedoch nicht.
Interne Abläufe werden geprüft
Durch die Berichterstattung dieser Redaktion wurde das jahrelange Versäumnis des Jugendamts wenige Wochen, nachdem dieses der Stadt Ende Februar aufgefallen war, öffentlich bekannt. Grundsätzlich hatte die Verwaltung allerdings tatsächlich nicht geplant, mit dieser Information an die Öffentlichkeit zu gehen. „Eine Veröffentlichung war nicht geplant, da sämtliche Meldungen losgelöst von der Berichterstattung bereits in der Aufarbeitung waren und die entsprechenden Beteiligten nachträglich informiert bzw. kontaktiert wurden. Dies galt insbesondere für die Fälle, die nicht anderweitig der Stadt Selm bekannt gemacht worden waren“, erklärt Malte Woesmann dazu. Trotz der Brisanz des Themas wollte die Stadt hier also ursprünglich nur die unmittelbar Beteiligten und Betroffenen informieren.
Zu der Frage, welche Konsequenzen die Stadt Selm aus dem Vorfall zieht, teilt der Sprecher mit: „Die internen Abläufe wurden und werden weiterhin auf Effizienz und Wirksamkeit überprüft. Für diesen konkreten Fall ist nun eine direkte Weiterleitung der Mails aus dem Funktionspostfach an die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingerichtet.“ Die interne Aufarbeitung dieses jahrelangen Defizits ist also offenbar noch nicht abgeschlossen.

Polizei wählt andere Wege
Bernd Pentrop, Sprecher der Kreispolizei Unna, ist eine entsprechende konkrete Mailadresse auf Anfrage nicht bekannt. Allerdings gehe die Polizei aufgrund des engen Kontakts mit dem Jugendamt auf mehreren Wegen (nicht nur über eine konkreten Mailzugang) fest davon aus, dass keine wichtigen Fälle, über die die Polizei die Stadt informieren wollte, in diesem Zusammenhang untergegangen sind. „Wenn wir auf eine wichtige Mail nicht kurzfristig eine Rückmeldung erhalten, rufen wir zusätzlich vor Ort an“, hatte der Polizeisprecher bereits am vergangenen Freitag betont.
Grundsätzlich sollten die Mitteilungen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Allgemeinen Sozialen Dienste sowie die Leitungskräfte (Amts- und Abteilungsleitung) erreichen. Kommunikation mit der Polizei lief nach Angaben der Stadt hauptsächlich in den Jahren 2021 bis 2023 über das Postfach, von dem niemand wusste, ab. Warum gerade in diesem Zeitraum vermehrt Meldungen der Polizei in dem zuvor bereits seit mehreren Jahren eingerichteten Posteingang landeten, ist bislang unklar. Aus Sicht der Kreispolizei ist dieser Sachverhalt ohne Kenntnis der entsprechenden Adresse derzeit auch nicht zu beurteilen.