Lost Places am Brauereiknapp Cappenberg? Graf von Kanitz widerspricht: „Das ist anders“

Lost Places am Brauereiknapp? Graf von Kanitz widerspricht
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Die schwarze Hand im roten Kreis reckt sich den Spaziergängern warnend entgegen. „Bis hierhin und nicht weiter“, mag das Strichmännchen rufen, dem sie gehört. Zur Sicherheit steht auch noch Text auf dem Schild: „Zutritt für Unbefugte verboten.“

Ein zwei Meter hoher Bauzaun bekräftigt die Aussage. Die wuchtigen Metallgitter stehen gleich an mehreren Stellen rechts und links des Cappenberger Brauereiknapps, dieser abschüssigen, gewundenen Straße im landschaftlich reizvollen Grenzgebiet zwischen Lünen und Selm. Sie versperren den Zugang zu Gebäuden mit blätterndem Putz, bröckelndem Mauerwerk und vernagelten Fenstern und Türen. Dass diese wuchtigen Häuser eine spannende Vergangenheit haben, lässt sich erahnen. Aber haben sie auch eine Zukunft? Da mehren sich nach Jahrzehnten des Leerstandes Zweifel.

Für die Mitglieder von „bunker-nrw.de“ ist die Sache klar. Die nach eigenen Angaben „größte deutschsprachige Lost-Place-Community“ freut sich über Aufnahmen von „Mauerresten“ und „Hausruinen“ am Brauereiknapp: Lost Places, also verlassene Orte mit morbidem Charme. Sebastian Graf von Kanitz (53) sieht etwas anderes, wenn er hinter die Absperrgitter blickt: nichts für die Zukunft Verlorenes, sondern etwas für sie Bewahrtes. „Das sind besondere Gebäude, für die es eine besondere Lösung braucht“, sagt der Erbe einer Brauerei, die Geschichte geschrieben hat.

Riesiger Eiskeller als Weinerlebnisraum

Den verwaisten Gebäuden sieht man es nicht an. Und Hinweistafeln darauf fehlen. Aber die 1840 - also mehr als 30 Jahre vor der Union Brauerei Dortmund - in Betrieb gegangene Gräflich Kielmannsegge’sche Brauerei Cappenberg war es, die als erste Brauerei im norddeutschen Raum Pils herstellte. Und das mit einem für damalige Verhältnisse ungewöhnlich großen, modernen Betrieb. Zig Beschäftigte gingen hier bis 1917 ihrer Arbeit nach - nicht nur über-, sondern auch unterirdisch. Beide Bereiche der Produktionsstätte - sowohl die hohen weißen Gebäude als auch der dunkle, riesige Eiskeller - liegen inzwischen im Dornröschenschlaf. Aufgegeben und tot seien sie aber noch nicht, sagt Sebastian Graf von Kanitz.

Blick ins Archiv. Diese Postkarte zeigt die Cappenberger Brauerei in ihrer Blütezeit: zwischen 1840 und 1917. Die weißen Gebäude lassen sich auch heute noch leicht wieder erkennen am Brauereiknapp. Alle sind nicht erhalten. Abgesehen von der Waldschule und einer Wohnung sind sie ungenutzt.
Blick ins Archiv. Diese Postkarte zeigt die Cappenberger Brauerei in ihrer Blütezeit: zwischen 1840 und 1917. © Repro Günther Goldstein

Noch sind Lösungen nicht gefunden. Weder die Lösungen noch die Ideengeber und Partner für ihre Umsetzung. Dabei war eine Lösung 2019 schon zum Greifen nah. Sie hatte nichts mit Bier zu tun, sondern mit Wein.

Zwei Jahre zuvor hatte Graf von Kanitz auf dem alten Weinberg des vor 900 Jahren gegründeten Klosters Cappenberg, seinem heutigen Schloss, wieder Rieslingtrauben anbauen lassen - nur wenige Schritte vom Brauereiknapp entfernt. Wie einst die Klosterherren. Und wie seit Generationen seine Familie im Rheingau. Cappenberg bekam den nördlichsten Weinberg von NRW und sollte dazu einen der spektakulärsten Räume zur Produktion und Verkostung erhalten: einen Teil des weitläufigen Eiskellers, in dem einst Bierfässer lagerten. Da, wo sechs Jahre später immer noch ein Bauzaun steht und den halbrunden Zugang in die kühle Tiefe absperrt.

„Alles in Dach und Fach halten“

Nein, die Idee sei nicht verworfen, sagt der Graf. Aber die Sache wolle „wohlbedacht sein“. Immerhin: Die hohen, hallenden Keller sind inzwischen leer geräumt und gesandstrahlt, mehr als zuletzt oberirdisch passiert ist. Zu glauben, die Gebäude würden ihrem Schicksal überlassen, sei aber falsch, betont Ulf Müller, Geschäftsführer der gräflichen Verwaltung. „Wir halten alles in Dach und Fach. Kein Sturm, nach dem wir nicht das Dach ausbessern würden“ - nicht nur das von der Waldschule und dem Wohnhaus gegenüber, sondern von allen. „Das“, ergänzt er, „ist der Unterschied zu einem aufgegebenen Lost Place.“

Den alten Gebäudebestand abzustoßen, um sich der ererbten Herausforderungen zu entledigen, kommt für von Kanitz nicht infrage. Der Nachfahre in siebter Generation des berühmten Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757-1831), einem der bedeutendsten Staatsreformer der deutschen Geschichte, sieht es als seine Aufgabe an, für die Grundstücke und historischen Gebäude im Familienbesitz „nicht irgendeine, sondern die bestmögliche“ Lösung zu finden: „Eine, die auch zu Cappenberg passt.“ Das kann dauern, aber auch gelingen. Dafür hat er Beispiele.

Schloss, Hilchenhaus und Ruheforst

Die Bauruine des Hilchenhauses in Lorch im Rheingau, einst der bedeutendste Renaissance-Bau im Weltkulturerbe Oberes Mittelrheintal, ist seit 2014 instand gesetzt, nachdem von Kanitz einen Erbpachtvertrag mit der Stadt Lorch abgeschlossen hatte. Schloss Cappenberg konnte 2022 nach sechsjähriger Sanierung wieder als Museum und Ausstellungsort öffnen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und der Kreis Unna führen ihre Mietverträge fort. Und um den Cappenberger Wald zu nutzen und gleichzeitig mehr Abholzung zu vermeiden, wandelte von Kanitz das sogenannte Südholz 2014 zu einem Ruheforst für Urnenbestattungen um.

Und der Brauereiknapp? Auf dem Grundstück der seit Ende der 1970er-Jahre leer stehenden Schlossklause - einst Wohnhaus des letzten Brauerei-Pächters Wilhelm Lindemann, der auch Direktor der Wicküler-Brauerei war -, könnte etwas passieren. Von Kanitz verhandelt weiter mit dem Tennisclub Cappenberg über eine Fortführung des Pachtvertrags und eine Neugestaltung des Geländes. Zumindest ein Bauzaun könnte mittelfristig verschwinden.