Lotta lächelt: ein breites Babygrinsen. Dabei ist es an diesem Samstagmittag (18. 2.) kalt, regnerisch und laut. Aus dem Lautsprecher schallt Musik. Nicht etwa „La Le Lu, nur der Mann im Mond schaut zu“, sondern „Da steht ein Pferd auf‘m Flur“. Lottas Mama wiegt ihr Kindchen nicht sanft dazu, sondern tanzt mit ihm fröhlich. Lotta gefällt das. Und wie: Glucksendes Lachen dringt aus der Bauchtrage. Das wundert hier oben auf dem Karnevalswagen der Kükengarde der KG Rot-Weiß Selm wirklich niemanden.
Lotta hat das, was hier alle „das Karnevals-Gen“ nennen, in die Wiege gelegt worden. Vater Tobias Steinbrink ist Vorsitzender der Karnevalsgesellschaft und Mutter Christina die Trainerin der jüngsten Tänzerinnen und Tänzer der Karnevalsgesellschaft. Wo sich die beiden kennengelernt haben? Christina Steinbrink streicht Lotta über die Dalmatinerohren aus Plüsch und lacht: „Ja wo wohl? Natürlich Im Karneval.“
13 Jahre ist es her, dass Christina, die damals noch Gerwins hieß, einen Karnevalsprinzen suchte. Und Tobias Steinbrink fand. „Ich habe ihn gefragt“, erzählt sie, während sich der Boden unter ihren Füßen im Rhythmus von „Cordula Grün“ hebt und senkt ganz ohne ihr Zutun. „Ich hab dich tanzen geseh`n“, schallt es aus den Boxen. Und die anderen Mütter auf dem mit Motiven der Kinderserie „Paw Patrol“ gestalteten Karnevalswagen machen mit den Küken genau das: tanzen. „Klar, hat Tobias Ja gesagt“, ergänzt Christina und lächelt jetzt genauso entwaffnend wie die kleine Lotta. Erst kam sein Ja dazu, Prinz Karneval 2010/11 zu sein, dann ihr Prinz zu sein. Ihr „Dreamboy“ für immer.
Im Karneval die Liebe gefunden
Als Mitglied der „Dreamboys“, des Selmer Männerballetts, hatte Tobias Steinbrink 2008 in der Karnevalsgesellschaft angefangen. Tatsächlich sei es ihm damals weniger darum gegangen, auf der Bühne zu glänzen, als neue Bekanntschaften zu suchen - und das nicht nur für die fünfte Jahreszeit. Gefunden Hat er eine Familie - und nicht nur seine eigene.

„Karneval in Selm ist Familiensache“, sagt Christina Steinbrink und steckt Lotta den Schnuller in den Mund. Sie meint nicht nur ihre Kernfamilie mit Ehemann, dem zufriedenen Bab und seiner fünfjährigen großen Schwester, die mit den anderen Küken Kamelle wirft. Die Begeisterung für Gardetanz, Kostümieren, Büttenreden und Wagenbau hatten auch schon zwei Generationen vor ihr: ihre Mutter Karola als Tanztrainerin und langjährige Moderatorin der Weiberfastnachtsparty und ihre Oma Agnes Breuer als unermüdliche Kostüm-Näherin der 1955 gegründeten Karnevalsgesellschaft.

Lotta schlummert. Auch das eine oder andere Küken hat aufgehört, unermüdlich „Selm Helau“ zu rufen und im Takt der Karnevalsmusik - gerade schallt „Johnny Däpp, Däppp, Däpp“ auf dem Lautsprecher - zu hüpfen. Stattdessen kuscheln sie sich jetzt auf der Bank an die Schultern ihrer Mütter. Manche haben die Augen geschlossen. Der Selmer Karnevalsumzug hat traditionell XXL-Länge. Für fünf Kilometer durch die Altstadt und die engen Zechensiedlungen braucht er mehr als drei Stunden.
„Wunderschön“, sagt Christina Steinbrink und zeigt nach oben. Bunte Wimpelketten überspannen den regengrauen Himmel über der Schmerlingstraße in Beifang. „Die Leute hier geben sich immer am meisten Mühe“, sagt sie. Sie darf sich ein Urteil erlauben. Seitdem sie denken kann, war sie immer dabei, wenn die Karnevalswagen, Fußgruppen und Musikkapellen durch Selm ziehen. Oft auch bei den Umzügen am Rosenmontag durch Werne und am Nelkendienstag durch Nordkirchen. „In Köln oder Düsseldorf habe ich noch nie gefeiert“, sagt sie. „Warum auch: Hier in Sem ist es klasse. Der Heimweg ist immer kurz.“ Und die Kinder können mitfeiern. Sogar die Babys.

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