Über zehn Jahre lang sind Mails, unter anderem von der Polizei, an das Jugendamt in Selm nicht gelesen worden - weil sie an ein Postfach gingen, das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht bekannt war. Erst im Februar war das Problem aufgefallen, die Aufarbeitung läuft seitdem. Auch in der Sitzung des Rates der Stadt Selm war das am Donnerstag (20. März) Thema.
„Wir können aktuell davon ausgehen, dass kein Kind durch dieses verspätete Handeln des Jugendamts zu Schaden gekommen ist. Wie es dazu kommen konnte, werden wir intern noch weiter aufarbeiten. Mögliche Konsequenzen, gegebenenfalls auch dienstrechtlicher Art, werden geprüft“, sage Sylvia Engemann, die Beigeordnete der Stadt Selm. So hatte sie sich zuvor auch schon auf Nachfrage der Redaktion geäußert. Durch die Recherchen der Ruhr Nachrichten ist der Skandal um die nicht gelesen Mails des Jugendamts am Freitag (14. März) überhaupt erst bekannt geworden.
Vorfall sollte nicht öffentlich werden
Die Stadt hatte eigentlich nicht vorgehabt, die Öffentlichkeit über die unbekannte Mailadresse und deren Folgen zu informieren. Das hatte Stadtsprecher Malte Woesmann am Dienstag gegenüber der Redaktion erklärt. Losgelöst von der Berichterstattung seien schon alle Meldungen vom Jugendamt aufgearbeitet und Beteiligte nachträglich informiert worden. Insgesamt hatten 80 Mails in dem unbekannten Postfach geschlummert. In 60 Fällen erreichten die Hinweise das Jugendamt auch auf anderem Wege. In 20 Fällen sind die Hinweise aber in dem 2015 angelegten Postfach versandet. Hauptsächlich von 2021 bis 2023 lief laut der Stadt Selm die Kommunikation mit der Polizei über das nicht bekannte Postfach.
Kritik für das Handeln der Stadt gab es in der Ratssitzung von der CDU - nicht zum eigentlichen Skandal, sondern zur Informationspolitik der Stadtverwaltung. „Wir als Rat haben diese Information sämtlich aus der Zeitung entnommen. Und das, was Frau Engemann hier heute gesagt hat, ist im Wesentlichen das, was wir auch schon in den Ruhr Nachrichten gelesen haben“, sagte Nils Hillner im Namen der CDU-Fraktion. „Es handelt sich um einen so brisanten Sachverhalt, dass ich da schon der Meinung bin, dass da eine Information an die Ratsmitglieder, bevor wir das aus der Presse entnehmen, erforderlich gewesen wäre.“
Gerade vor dem Hintergrund, das ebenfalls vor Kurzem bekannt wurde, dass eine Tagespflegeperson aus Selm keine Kinder mehr betreuen darf, weil ein Mann, der in der Vergangenheit in Kontakt mit dieser Person stand, kinderpornografisches Material besessen und verbreitet haben soll, hätte der Rat auch bei dem Sachverhalt um die nicht gelesen Mails des Jugendamts sprechfähig sein müssen, so Hillner weiter.
„Sachverhalte völlig unterschiedlich“
Strikt wies Sylvia Engemann darauf hin, dass es keinen Zusammenhang der beiden von Nils Hillner angesprochenen Fälle gebe. „Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Das zur Klarstellung. Beide Sachverhalte sind völlig unterschiedlich“, erklärte sie deutlich. In dem Punkt, dass der Rat zu spät informiert worden sei, gab sie der CDU dann allerdings recht. „Es tut mir leid. Der ganze Sachverhalt tut mir leid“, sagte sie. Außerdem kündigte sie an, im nicht öffentlichen Teil der Sitzung noch etwas dazu zu sagen. Was genau das wiederum war, muss an dieser Stelle offen bleiben. Am nicht öffentlichen Teil der Sitzung dürfen Medien nicht teilnehmen - genauso wenig wie interessierte Bürgerinnen und Bürger.
„Die genauen Informationen, die im nicht-öffentlichen Teil besprochen wurden, bleiben auch weiterhin nicht-öffentlich“, erklärte Stadtsprecher Malte Woesmann am nächsten Tag auf Nachfrage der Redaktion. Er sagte aber: „Grundsätzlich ging es bei der Mitteilung im nicht-öffentlichen Teil um die strukturellen Veränderungen und Anpassungen der Kommunikationswege zwischen Polizei und Stadtverwaltung in diesem Zusammenhang.“