Um 21.28 Uhr geht am Donnerstag, 20. März, ein Raunen durch den Ratssaal in der Burg Botzlar, einige klopfen auf die Tische. Die Abstimmung ist durch, der Doppelhaushalt 25/26 der Stadt Selm mehrheitlich beschlossen. Dass sich die Ratsmitglieder die Entscheidung leicht gemacht haben, kann ihnen wohl keiner vorwerfen. Rund vier Stunden haben sie allein in dieser Sitzung mit der Verwaltung diskutiert, gerungen, gerechnet, neun Haushaltsreden der Fraktionen und Fraktionslosen im Rat gehört.
Einig waren sich alle eigentlich nur in einem Punkt: Die Lage ist ernst. „Wir können es aus eigener Kraft nicht mehr stemmen“, das hat Kämmerin Sylvia Engemann bei den Haushaltsbesprechungen der vergangenen Monate mehrfach deutlich gemacht. In der Ratssitzung wiederholte sie den Satz nicht - die Politik zitierte ihn aber mehrfach. Die Stadt plant die nächsten beiden Haushaltsjahre mit Minuszeichen. Rund zwei Millionen Euro fehlen pro Jahr jeweils beim Gegenrechnen von Erträgen und Aufwendungen der Stadt für 2025 und 2026.
CDU bleibt bei Bedingungen
Schon im Vorfeld der Sitzung am Donnerstag hatte die CDU-Fraktion klargemacht, ihre Stimmen für den Haushaltsplan an Bedingungen zu knüpfen. So handelten sie im Gremium für den Verein, der sich in Cappenberg für ein Bürgerzentrum im Haus Kreutzkamp einsetzen möchte, einen Zuschuss in Höhe von 1000 Euro aus. Zur Unterstützung des Hallenbads sieht der Haushalt jetzt zudem einen Posten in Höhe von 10.000 Euro vor. Und die Förderung des Stadtsportverbandes wird angehoben.
Etwas komplizierter wurde es bei der von der CDU vorgeschlagenen Einsparung. 900.000 Euro - so der ursprüngliche Plan - hatte die Verwaltung hier für den Grunderwerb von Gewerbeerweiterungsflächen in 2025 angesetzt. Um welche Fläche es dabei geht? Bürgermeister Thomas Orlowski (SPD) blieb eine Antwort auf diese Frage schuldig. Er wandte sich mit einem deutlichen Appell an den Rat: Er könne nur empfehlen, die 900.000 Euro stehenzulassen, und deutete an, dass bereits Gespräche laufen, die für die Stadt positiv seien. Wie das bei solchen Gesprächen aber oft sei, habe er sich zu Stillschweigen verpflichtet und könne keine genaueren Informationen herausgeben.
Aus 900.000 werden 10.000
Der CDU war diese Erklärung zu wenig. Sie ging auch nicht auf den Kompromiss-Vorschlag des Bürgermeisters ein, die sechsstellige Zahl zwar stehenzulassen - aber mit einem Sperrvermerk, dass der Ansatz nicht ohne Zustimmung des Rates angefasst werden dürfe. Nein - die 900.000 Euro müssten raus, erklärte Michael Zolda nach kurzer Beratung mit seinem Fraktions-Kollegen. „Wir machen davon unsere Zustimmung zum Haushalt abhängig“, sagte er noch einmal. An der Stelle der 900.000 Euro steht deshalb nun die deutlich geringere Zahl von 10.000 Euro für den Grunderwerb von Gewerbeerweiterungsflächen. So hat es der Rat vor allem mit den Stimmen von CDU und SPD mehrheitlich beschlossen.
Ausbau der Grundschulen für 16 Millionen Euro
Einer der größten Posten im Doppelhaushalt ist die geplante räumliche Erweiterung der drei Grundschulen in Selm - um dem Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung gerecht werden zu können. Rund 16 Millionen Euro wird die Stadt dafür aufbringen müssen. Eine finanzielle Förderung von Land und Bund gibt es nicht - etwas, das Hans-Jürgen Walter von der SPD als „inakzeptabel“ bewertete. „Es muss ein Ende haben, dass Bund und Land den Kommunen immer wieder finanzielle Aufgaben erteilen.“
Gerade mit Blick auf die Generationengerechtigkeit taten sich viele Ratsmitglieder auch schwer, die Rückzahlung der einst wegen Corona und dann wegen des Ukraine-Krieges ermöglichte Bilanzierungshilfe über den längst möglichen Zeitraum von 50 Jahren zu planen. Pandemie- oder kriegsbedingte Kosten konnten in den betroffenen Jahren ja isoliert, also aus dem Haushalt herausgehalten werden.
Ab 2026 muss die Stadt Selm das zurückzahlen: mit jährlich 78.000 Euro über einen Zeitraum von 50 Jahren. Der Vorstoß des fraktionslosen Ratsmitglieds Heiko Buchalik, den Abschreibungszeitraum deutlich zu verringern, um nachfolgende Generationen dadurch nicht so stark zu belasten, wurde lange diskutiert, dann aber doch abgewiesen. Auch aus Pragmatismus: Die 78.000 Euro waren im Haushaltsplan ja schon vorgesehen. Bei einem höheren Volumen sei es fraglich, „ob wir dann noch einen genehmigungsfähigen Haushalt haben“, so Sylvia Engemann. Mehrheitlich beschloss der Rat, bei den 50 Jahren zu bleiben.
Kommunalaufsicht am Zug
Eine Kampfabstimmung gab es am Ende der Marathon-Sitzung nicht. Mit 20 Stimmen (GfS, CDU, SPD) gab es eine deutliche Mehrheit für den Haushaltsplan. Keine Zustimmung gab es von der UWG, der FDP, der Fraktion für Demokratie und den fraktionslosen Mitgliedern, darunter Ingmar Leismann (Grüne), für den es die erste Ratssitzung überhaupt war. Damit die Satzung wirksam wird, muss die Kommunalaufsicht das ebenfalls vom Rat mehrheitlich beschlossene Haushaltssicherungskonzept genehmigen.