Die Landsynagoge in Bork ist etwas ziemlich Besonderes. Sie ist als Fachwerkbau die einzige ihrer Art im ganzen Münsterland. Dass sie heute noch steht und nicht - wie Tausende andere Synagogen in Deutschland - zur Zeit des Nationalsozialismus zerstört wurde, ist aber nicht der Tatsache geschuldet, dass es in Bork keine Nazis gab. Warum sie bei der Pogromnacht 1938 nicht brannte, sie danach lange als Kohlelager diente und um ein Haar abgerissen wurde: Das erklärt das im November neu erschienene BorkBuch. Fredy Niklowitz, Borker und Archivar im Stadtarchiv Lünen, hat darin die Geschichte jüdischen Lebens in Bork dargestellt.
Zentrum des Glaubens war für die jüdischen Bürgerinnen und Bürger in Bork die kleine Synagoge an der Ecke Hauptstraße/Waltroper Straße. „Sie ist im Häuserverzeichnis von 1818 erstmalig erwähnt und im Urkataster von 1822 eingezeichnet. Über 100 Jahre diente sie der jüdischen Gemeinde in Bork als Glaubenszentrum und von 1821 bis 1899 auch als Schule“, erklärt Fredy Niklowitz im BorkBuch.
Wirtschaftliche Ausgrenzung
So wie allgemein in der deutschen Geschichte begann die Diskriminierung von jüdischen Menschen auch in Bork nicht erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. „Die Feindschaft gegen Juden ist keine Erscheinung der Neuzeit, sie reicht bis in die Antike zurück“, erklärt Fredy Niklowitz. Die Zeit des Nationalsozialismus war in Deutschland trauriger Höhepunkt derselben.
„Bereits am 1. April 1933 fand ein landesweiter Boykott jüdischer Geschäfte statt. Ziel war es, die Juden einzuschüchtern und die übrige Bevölkerung davon abzuhalten, in jüdischen Geschäften einzukaufen. Zu diesem Zweck postierten sich in Bork SA-Männer vor den Geschäften. Dies war der Beginn der wirtschaftlichen Ausgrenzung der Juden“, heißt es in dem BorkBuch.
Dabei allein blieb es nicht.

Nicht viele Quellen gibt es zu dem, was in der Nacht vom 9. auf den 10. November im Jahr 1938 in Bork geschah - in der Reichspogromnacht, in der in ganz Deutschland Synagogen brannten, Menschen gehetzt, verletzt, gequält wurden. SA-Männer sollen die Borker Juden Helene Weinberg und ihren Schwager Albert Weinberg in dieser Nacht brutal zusammengeschlagen haben.
Die Synagoge war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in Besitz der jüdischen Gemeinde. „Am 7. Oktober wurde die jüdische Gemeinde enteignet, sie musste ihr Gotteshaus verkaufen. Für 900 RM erwarb der benachbarte Gastwirt und Brennstoffhändler das Gebäude. In der Pogromnacht am 9./10. November des Jahres sollen SA-Männer aus Lünen die noch vorhandene Einrichtung zerstört haben“, schreibt Fredy Niklowitz. Dass sie das Haus nicht anzündeten, ist wohl allein seiner Lage zu verdanken. „Die enge Bebauung in Bork bewahrte die Synagoge vor der völligen Zerstörung während der Reichspogromnacht: Ein Brand hätte schnell auf die benachbarten Häuser übergreifen können. So ist das Gebäude erhalten geblieben“, heißt es auf der Homepage „Verwischte Spuren“, die das Leben von Juden in Selm, Lünen und Werne unter die Lupe nimmt.

Nach 1938 war die Synagoge also keine mehr im eigentlichen Sinne. Der neue Eigentümer machte aus dem Fachwerk-Bau ein Kohle-, Heizöl- und Baumaterialienlager. Im BorkBuch steht: „Im Wiedergutmachungsverfahren 1952 erklärte der Sohn des Käufers, dass Isaak Heumann - er war der Vertreter der jüdischen Gemeinde - an seinen Vater herangetreten sei, als Nachbar das Gebäude zu kaufen. Sein Vater habe an Heumann die 900 RM gezahlt, auch habe er für die 13 jüdischen Familien der Borker Gemeinde noch jeweils eine Karre mit 15 bis 17 Zentnern Kohle geliefert. Der Prozess vor dem Landgericht Münster endete mit einem Vergleich, des Sohn des Käufers behielt Gebäude und Grundstück, musste aber Geld nachzahlen.“
Eine Synagoge als Kohlelager: So blieb das in Bork auch nach dem Krieg für eine sehr lange Zeit. Erst als der Eigentümer des Gebäudes 1981 einen Antrag auf Abriss stellte, wurde das öffentlich hinterfragt. „Auf Drängen des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege in Münster nahm die Stadt Selm das Gebäude 1983 in ihre Denkmalliste auf - nachdem der Rat der Stadt die Unterschutzstellung zunächst abgelehnt hatte. Schließlich erwarb die Stadt die inzwischen marode ehemalige Synagoge 1987, und 1992 begannen die Maßnahmen zur Revitalisierung mithilfe von Landesmitteln“, schreibt Fredy Niklowitz.
Kultur- statt Glaubensstätte
In den Folgejahren wurden dann alle baulichen Veränderungen zurückgenommen. „Im Mai 1994 konnte die Alte Synagoge Bork als ,Kulturstätte mit erinnerndem und mahnendem Charakter‘ der Öffentlichkeit übergeben werden. Das Gebäude dient der Musikschule als Unterrichtsraum und der Volkshochschule als Veranstaltungsraum für Konzerte, Vorträge und Lesungen.“

Eine Stätte des gelebten jüdischen Glaubens ist die Synagoge also schon lange nicht mehr. Genauso wenig gibt es seit dem Zweiten Weltkrieg jüdisches Leben in Bork. Die meisten Juden versuchten noch in den 1930er Jahren, Bork zu verlassen. 1940 wohnten nur noch elf Menschen mit jüdischem Glauben in Bork. Sie mussten in das sogenannte „Judenhaus“ auf der Bahnhofstraße ziehen. „Im August 1941 wurde den verbliebenen Juden das Betreten des Wochenmarktes verboten, und ab Oktober des Jahres durften sie nur zu bestimmten Zeiten in besonderen Geschäften einkaufen: am Montag und Dienstag Back- und Kolonialwaren sowie am Dienstag und Donnerstag Fleisch in der Zeit von 9 bis 10.30 Uhr. Als im Juni 1942 Hermann Lewin an einem anderen Wochentag Brot kaufte, wurde er vom Ortspolizisten angezeigt, und die Verkäuferin musste eine Ordnungsstrafe in Höhe von 50 Reichsmark zahlen“, heißt es im BorkBuch.
Die Zeit der nationalsozialistischen Unterdrückung endete für die allermeisten jüdischen Menschen, die in Bork gelebt haben, im Tod. 1941 begann die planmäßige Ermordung: „Am 11. Dezember des Jahres wurden Albert und Helene Weinberg nach Münster deportiert. Am 27. Januar 1942 erfolgte die nächste Deportation: Rebekka Wollenberger, Jeanette Westheimer und Leonard Levin brachte man mit dem Bus nach Lüdinghausen und von dort nach Riga. Die verbliebenen sechs Juden mussten in das Haus Auf der Schlucht 27 umziehen, das nun zum so genannten Judenhaus erklärt wurde. Melchior und Hermann Lewin sowie die Eheleute Louis und Fanny Frank und Gustav und Rosa Weinberg wurden am 31. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Bald darauf baten Borker Einwohner den Amtsbürgermeister, die erworbenen jüdischen Besitzungen umbauen zu dürfen.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist zum ersten Mal am 3. November 2023 erschienen. Wir haben ihn erneut veröffentlicht.