Gab es in Selm ein Bordell für Frauen? Rummel um Medienberichte aus dem Jahr 1994

Gab es in Selm ein Bordell für Frauen? Rummel um Medienberichte aus 1994
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Die Liebesdiener aus dem Münsterland. Das ist die Überschrift einer Reportage in der Zeitschrift „Neue Revue“, die im Jahr 1994 hohe Wellen schlägt in Selm. Der Bericht über Deutschlands angeblich erstes Bordell für Frauen spielt nämlich ausgerechnet in der kleinen Stadt am Rande des Münsterlands - in einem beschaulichen Klinkerbau am Ternscher See, um genau zu sein.

„In Selm (Westfalen) gibt es seit einem Jahr Deutschlands erstes Bordell nur für Frauen“, steht in dem Artikel der Zeitschrift. „Zwölf Liebesmänner bieten hier ihre Dienste an. Das Haus steht inmitten einer idyllischen Einfamilienhaus-Siedlung direkt am Ternscher See. Es hat Sauna, Solarium, Whirlpool und Betten mit Rüttelautomatik und Videowänden.“ Die Autorin des Beitrags beschreibt sich rekelnde Männer in einem großen hellen Raum in Selm - „höchst aufreizend“. „300 Mark kostet ein Liebesdiener - inklusive Orgasmusgarantie. Bei Bedarf bietet das Bordell auch Hausbesuche, Reisebegleitung und Personenschutz an“, heißt es. Und das alles in Selm?

Anschaulich wird in einem Artikel in der Neuen Revue aus dem Jahr 1994 das angebliche Geschehen in dem Bordell beschrieben.
Anschaulich wird in einem Artikel in der Neuen Revue aus dem Jahr 1994 das angebliche Geschehen in dem Bordell beschrieben. © Marie Rademacher

So steht es auch in der Ausgabe der Zeitschrift „Brigitte“ vom 15. Juni 1994. „Im Bordell ist Damentag“ - so die Überschrift des Beitrags. Die Autorin hatte sich dafür im Club 142 umgesehen - in Holzwickede. Und dabei Harry kennengelernt, den Besitzer des Etablissements. „Sonntag ist Damentag im Club 142 in Holzwickede bei Dortmund. Vertauschte Rollen: Ab 250 Mark, Getränke inklusive, steht er ihr zur Verfügung. Satisfaction guaranteed, verspricht Harry, der Beisitzer“, steht in der Reportage, die anschaulich das Geschehen in dem Club beschreibt. Jörgs orangefarbene Tarzanunterhose und Inges „etwas zu laute“ Bestellung von mehr Sekt. „Jörg ist die Hure und Inge die Freierin“, schreibt die Autorin, um noch mal das Besondere an der ganzen Situation zu unterstreichen. Prostitution gilt zwar als das älteste Gewerbe der Welt - dass die Kunden weiblich sind, ist eine ziemliche Ausnahme.

Am Ende der Reportage in der „Brigitte“ kommt dann folgende Information: „Harrys Club ist umgezogen nach Selm, weil die direkten Nachbarn sich bei ihm beschwerten. ,Immer wenn ich mein Auto vor meinem Haus parke, denke ich, hoffentlich sieht dich keiner beim Aussteigen und hält dich für eine Kundin‘, sagt eine Hausfrau Anfang 40. Harry will keinen Ärger. Harry ist flexibel.“

Beitrag bei Pro7

Auch im Fernsehen kommt ein Bericht zum „ersten Bordell für Frauen in Deutschland“. Der Sender Pro 7 zeigt sie - und in der Stadt spricht sich rum, was angeblich los ist am Ternscher See.

Ärger kriegt Harry in Selm nicht mit den Nachbarn - anders als in Holzwickede zuvor. Aber die Anwohner am Ternscher See fragen sich schon, „was da eigentlich vor sich geht“. Das ruft das Ordnungsamt der Stadt auf den Plan. Handlungsbedarf sieht es nicht, wie im Mai 1994 in den Ruhr Nachrichten zu lesen war. Aus zwei Gründen, wie der damalige stellvertretende Leiter des Ordnungsamtes erklärte. „Prostitution ist vom Grundsatz her nicht verboten“, erklärte er damals im Gespräch mit der Redaktion. „Erst wenn die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet sei oder Missbrauch an Minderjährigen vorliege, könne die Stadt einschreiten“, hieß es.

Auch in der Zeitschrift „Brigitte“ gab es 1994 einen Beitrag, die Überschrift: „Im Bordell ist Damentag."
Auch in der Zeitschrift „Brigitte“ gab es 1994 einen Beitrag, die Überschrift: „Im Bordell ist Damentag." © Marie Rademacher

All das war nicht gegeben. Tatsächlich stellte sich heraus, dass viel von dem Dargestellten wohl nicht der Realität entsprach. „Vertreter des Ordnungsamtes kontrollierten den Klinkerbau am Ternscher See. Von dem, was die Illustrierte alles versprach, sei aber weit und breit nichts vorhanden gewesen: kein Solarium, kein Whirlpool, keine Videowände. Betten mit Rüttelrhythmus sahen die städtischen Bediensteten ebenso wenig. Der Besitzer des Etablissements, Harry B., ließ auch die zwölf Liebesdiener außen vor, die laut Zeitschrift bei den Damen für so manche vergnügliche Stunden sorgen.

Stattdessen sagt er den Mitarbeitern des Ordnungsamtes, dass die Medien das Geschehen überzogen dargestellt hätten. Wie überzogen, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Aber das Ordnungsamt schien damals schon eine Vermutung gehabt zu haben. „Wir haben nicht mal den Beweis, dass dort überhaupt Prostitution stattfindet“, sagte der stellvertretende Ordnungsamtsleiter gegenüber der Redaktion.

Was ist nun dran an dem „ersten Bordell für Frauen in Selm“? Aufklärung liefert Clubbesitzer Harry schließlich in einem Interview mit den Ruhr Nachrichten. Er sitzt dabei auf einer Schaukel in seinem Garten am Ternscher See. Mit getönter Brille und Lederkappe - und nicht ohne Humor. Auf die Frage, was sich nun eigentlich abspiele in seinem Haus in Selm, ob er dort tatsächlich ein Bordell betriebe, sagt er: „Ich wohne hier ganz privat mit meiner Frau und meinen zwei schulpflichtigen Kindern, oben wohnen meine Eltern. Hier ist kein Bordell und hier ist auch nie ein Bordell gewesen.“

In dem Haus seien lediglich Filmaufnahmen gemacht worden, sagt er weiter. „Wenn hier Loverboys sind, dann nur privat.“ In dem Bericht von Pro7 sei munter gemixt worden aus aktuellem Material aus dem Haus in Selm und aus Archivmaterial - unter anderem von einem Auftritt der „Chippendales“ in der Westfalenhalle in Dortmund. „Nachdem ich wegen Meinungsverschiedenheiten mit einem Partner einen Club in Holzwickede schloss, musste der Drehtermin mit dem Sender nach Selm verlegt werden“, erklärt Harry im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten.

In einem Interview mit den Ruhr Nachrichten klärte Harry aus Selm 1994 die ganze Geschichte um das Bordell für Frauen auf.
In einem Interview mit den Ruhr Nachrichten klärte Harry aus Selm 1994 die ganze Geschichte um das Bordell für Frauen auf. © Ruhr-Nachrichten-Archiv

Räume in Castrop-Rauxel angemietet

Mit ein bisschen Schauspiel und ein bisschen Phantasie wurde aus dem Wohnhaus am Ternscher See das erste Bordell für Frauen. Dass Harry aus dem Milieu kommt, sagt er aber damals auch offen im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten. „Hier ist nur die Anlaufstelle. Interessentinnen bekommen ein rotes Kärtchen und können in Castrop-Habinghorst in meinem Café-Bistro mit den Jungs Kontakt aufnehmen. Wir haben in Castrop-Rauxel dafür Räume angemietet.“ Nicht sein Hauptberuf, wie Harry weiter erzählt. „Mein wichtiges Standbein sind vier Lkw in der Recyclingbranche, außerdem mache ich Show-Promotion und besorge Ihnen Bühnen-Künstler vom Zauberer bis zum Sänger.“

In dem Medienrummel vom Sommer 1994 hat er sich gerne gesonnt: „Ich gebe erst Ruhe, wenn ich bei Thomas Gottschalk auf der Couch gesessen habe.“

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