Fridays gegen Altersarmut: Neue Protestbewegung im Netz hat jetzt auch eine Gruppe in Selm

© Schulz-Gahmen

Fridays gegen Altersarmut: Neue Protestbewegung im Netz hat jetzt auch eine Gruppe in Selm

rnAltersarmut

Die bundesweite Initiative Fridays-gegen-Altersarmut zieht ihre Kreise und hält auch im Kreis Unna Einzug. Als erste Stadt hat Selm eine eigene Gruppe. Das sagen Betroffene dazu.

von Laura Schulz-Gahmen

Selm

, 30.11.2019, 16:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Fridays-for-Future dürfte mittlerweile jeder kennen. Vor allem junge Leute machen sich weltweit stark für Klimaschutz. Seit zwei Monaten gibt es eine bundesweite Bewegung, die die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema richten will: Fridays-gegen-Altersarmut.

Die Mitgliederzahl der gleichnamigen Facebook-Gruppe ist binnen kürzester Zeit auf bundesweit 69.175 angestiegen. Immerhin 165 Menschen haben die Selmer Fridays-gegen-Altersarmut-Seite abonniert.

Ältere Menschen lehnen sich gegen die Rentenreform aus dem Jahr 2005 auf. „Zu Recht“, wie Ralf Piekenbrock findet, der Initiator der Bewegung in Selm.

Die Regierung Schröder hatte 2005 die Weichen gestellt: Wer 2005 in Rente ging, musste 50 Prozent seiner Rente besteuern lassen: ein Wert, der jedes Jahr um 2 Prozent bis 2020 ansteigt, ab 2021 bis 2040 um jeweils 1 Prozent. Bis 2040 wird die komplette Rente besteuert.

Private Vorsorge ist einziger Weg für ein gutes Leben im Alter

„Das bedeutet, je später die Menschen in Rente gehen, desto mehr wird besteuert werden“, so Piekenbrock. Der Selmer, der aus der CDU austrat und die Partei „Demokratischen Bürger Deutschland“ gründete, die sich inzwischen der Familien-Partei-Deutschlands angeschlossen hat, sagt: „Die Pflegeversorgung in unserem Land ist katastrophal.“ Im Grunde könne man heute nur noch gut leben, wenn man privat vorgesorgt habe.

Eine Forderung von Fridays-gegen-Altersarmut ist, die Besteuerung der Renten aufzuheben. Dafür werden die Anhänger der Bewegung am 24. Januar 2020 bundesweit zu einer Mahnwache aufrufen - auch in Selm, wo nach Angaben von Ralf Piekenbrock 826 Personen von Altersarmut betroffen sind: 3,2 Prozent der Bevölkerung. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2017.

Auch andere kritisieren Rentenbesteuerung

Piekenbrock und seine Mitstreiter aus der neuen Netzbewegung sind längst nicht die einzigen, die auf das Problem der Altersarmut hinweisen. Der Sozialverband VdK, die AWO, die Tafelbewegung und andere Verbände und Gruppen engagieren sich seit langem, auch die Tafel. Seit jetzt auch ein Richter des Bundesfinanzhofes die Regelungen zur Rentenbesteuerung für verfassungswidrig erklärt hatte, ist die Große Koalition durch die FDP aufgerufen worden, sich zu erklären.

Je mehr Unterstützung für das wichtige Thema, umso besser, meint Ulrike Trümper von der Tafel Unna. Sie begrüßt es, dass nun auch ältere Menschen auf die Straße gehen: „Wir reden bereits seit über zehn Jahren von dem Problem mit der Altersarmut.“

Einkommen nur durch Rente reicht nicht

Reiner (62) und Petra (61) Sokolowski sind noch nicht in Rente. Sie könnten es aber bereits sein und haben sich bewusst dagegen entschieden, denn: „Das Einkommen nur durch die Rente reicht nicht aus.“

Reiner Sokolowski ist gelernter Autoschlosser und arbeitet als CNC-Dreher auf Zeit. Wenn er jetzt in Rente gehen würde, würden ihn Abzüge von der Rente von rund 11 Prozent erwarten. Also wartet er noch bis zum Jahr 2021, dann erhält er eine Rente von 1100 Euro, ohne Abzüge. Somit liegt er über der Armutsgrenze, nicht aber seine Frau.

Ehepaar aus Selm marschiert bei Friday-gegen-Altersarmut mit

Petra Sokoloswki rechnet laut ihrem letzten Rentenbescheid mit einer Rente von 800 Euro im Jahr 2024. „Wir sind beide Mitglied bei Fridays-gegen-Altersarmut und werden auch bei einer Mahnwache mitmarschieren“, sagt sie.

Das Ehepaar findet, dass ältere Menschen jetzt etwas machen müssen, um etwas zu bewegen. Außerdem sei es wichtig, dass auch junge Menschen mitmachen, denn: „Junge Leute wissen ja gar nicht was im Alter auf sie zukommen wird.“

Lebensstandard wird sich ändern

Die Eheleute machen sich jetzt schon darauf gefasst, dass sie ihren Lebensstandard erheblich zurückschrauben werden müssen, wenn sie erst in Rente sind. „Wir haben dann ja weniger als jetzt, denn jetzt arbeiten wir ja noch“, so Reiner Sokolowski. Die zwei würden sich im Alter gerne noch ein paar Träume erfüllen, denn dafür haben sie ihr Leben lang gearbeitet.

Auch andere kämpfen gegen Altersarmut

Es könne nicht sein, dass Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben und Kinder großgezogen haben, sich im Alter nicht einmal eine neue Brille oder orthopädische Schuhe leisten können, ohne dafür Zuzahlungen leisten zu müssen, sagt auch Ulrike Trümper von der Tafel Unna. Oft müssten ältere Menschen ihre Scham überwinden, um zur Tafel zu kommen. Sogar einen extra Ausgabetag für Senioren gebe es mittlerweile. „Oft vereinsamen alte Menschen, weil sie finanziell nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen können“, sagt Trümper.

Frührentner lebt von 800 Euro

Einer von ihnen: Carl Heinz Woywod (81). Er ist seit 1986 Frührentner, alleinstehend. Der Selmer lebt von rund 800 Euro im Monat. Der ehemalige Maler musste aufgrund einer Krankheit, aufhören zu arbeiten. Nachmittags trifft er sich am Edeka mit anderen, denen es ähnlich geht - nicht zum Einkaufen, dafür fehlt ihnen das Geld, sondern zum Schwätzchen halten.

Resignation ist zur Normalität geworden

Von seinen 800 Euro zahlt er rund 450 Euro Miete. Dazu kommen noch Hausrat- und Haftpflichtversicherung, so wie immer weiter steigende Lebenshaltungskosten.

Carl Heinz Woywod muss mit 800 Euro über die Runden kommen.

Carl Heinz Woywod muss mit 800 Euro über die Runden kommen. © Schulz-Gahmen

Er ist „immer auf Achse“, wie er selbst sagt. Nur abends, da schaut er Fernsehen. Von der Bewegung der Fridays-gegen-Altersarmut habe er noch nichts mitbekommen.