Fischsterben zwischen Lünen, Olfen und Selm Experten zu Prozessen, Ursachen und Maßnahmen

Fischsterben in unserer Region: Experten zu Prozessen, Ursachen und Maßnahmen
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Mehrere Hundert Kilo toten Fisch mussten Einsatzkräfte der Feuerwehr im September aus der „Alten Fahrt“ in Olfen, einem Nebenarm des Dortmund-Ems-Kanals, holen. Ein Fall, wie er sich in den vergangenen Monaten und Jahren deutschlandweit mehrmals wiederholt hat. Prägendstes Beispiel ist wohl das Fischsterben an der Oder im Jahr 2022, wo damals bis zu 1000 Tonnen im Fluss verendeten. Zuletzt war auch die Stever zwischen Olfen und Selm betroffen, genauso wie ein Teich an der Alten Ziegelei in Lünen-Horstmar und der Brunosee zwischen Dortmund und Castrop-Rauxel.

Keine Zahlen zum Fischsterben

Nimmt das Fischsterben in der Region zu? Genaue Zahlen für Nordrhein-Westfalen lassen sich nicht finden. Kein Wunder, denn es gebe für das Fischsterben keine allgemeine Meldepflicht und dementsprechend auch keine offizielle Statistik, wie Wilhelm Deitermann, Pressesprecher des Landesumweltamts, erklärt. In den Fällen aus der Region war ein Sauerstoffmangel die Hauptursache für das Verenden vieler kleiner und großen Fischarten. Sie erstickten schlichtweg unter der Wasseroberfläche.

Gewässer zwischen Bäumen zu sehen. Es wird Wasser durch eine Maschine für eine Umwälzung hinzugefügt.
An der Alten Fahrt in Olfen wurde das Wasser umgewälzt. © Feuerwehr Olfen

Den Prozess dahinter erklärt der Lanuv-Sprecher so: „Durch hohe Nährstoffgehalte gibt es keine nährstoffbedingte Begrenzung der Biomasse-Produktion mehr, das Pflanzenwachstums im Gewässer liegt dann auf einem stetigen hohen Produktions-Niveau. Hohe Wassertemperaturen befördern einerseits die Biomasse-Produktion, vor allem bei Sonnenschein. Wenn ausreichend Licht vorhanden ist, erfolgt der Biomasseaufbau zunächst durch den Photosynthese-Prozess der Pflanzen, bei dem der Kohlenstoff aus Kohlendioxid aus der Luft oder dem Wasser in Pflanzenmasse umgesetzt und Sauerstoff freigesetzt wird. Fehlt das Licht jedoch, werden durch hohe Wassertemperaturen auch die Prozesse gefördert, die zum Abbau dieser Pflanzen-Biomasse führen. Der Abbau wiederum erfolgt bakteriell unter Sauerstoffzehrung. So kann es dazu kommen, dass - besonders nach längerer Dunkelheit (in den frühen Morgenstunden) der Sauerstoff im Wasser aufgebraucht ist.“

Gefahr: Ammoniak-Konzentrationen

Hohe Wassertemperaturen führen laut Deitermann darüber hinaus dazu, dass sich von vornherein viel weniger Sauerstoff im Wasser lösen kann. „Insofern können steigende Gewässertemperaturen infolge des Klimawandels hier eine Rolle spielen“, so der Lanuv-Sprecher. Eine weitere Gefahr für die Fische stellen erhöhte Ammoniak-Konzentrationen dar.

Die Bildung von Ammoniak werde in Sauerstoffmangel-Situationen ebenfalls gefördert. Dem (relativ ungiftigen) Nitrat wird durch „Nitratatmung“ der Sauerstoff entzogen. Die neue Stickstoffverbindung liegt dann als Ammonium-Stickstoff und - abhängig vom pH-Wert des Wassers - zu mehr oder weniger großen Anteilen als fischgiftiger Ammoniak im Wasser vor. Grundsätzlich könne das Fischsterben aber durch vielfältige Ursachen ausgelöst werden, durch natürliche Prozesse ebenso wie durch den Menschen verursachte.

Toter Fisch im Gewässer
Auch in Lünen-Horstmar war ein Teich an der Alten Ziegelei betroffen. © Laura Sobczyk

Das Umweltbundesamt erklärt auf seiner Webseite Nitrate wie folgt: „Nitrate sind Salze der Salpetersäure (HNO3) und sehr gut in Wasser löslich. Als Mineraldünger werden sie in der Landwirtschaft in Form von Kalium-, Kalzium-, Natrium- oder Ammoniumnitrat verwendet.“ Dementsprechend stellt sich die Frage, ob und inwiefern Gewässer mit Düngemittel in Kontakt kommen.

Stefan Kauwling von der Biologischen Station Kreis Unna und Dortmund klärt auf: „Dass Gewässer gezielt gedüngt werden, ist mir nicht bekannt.“ Die Station betreut im Wesentlichen die Naturschutzgebiete des Kreises. Für diesen Bereich sei ihm ein nachhaltiges, verstärktes Fischsterben nicht bekannt.

Aber er weiß, dass der Einsatz von Düngemitteln auf landwirtschaftlichen Nutzflächen einen Einfluss haben kann. „Naturgemäß stehen auch Stillgewässer im Austausch mit ihrem Umfeld. Und so können Düngemittel sowohl über den Grundwasserleiter als auch atmosphärisch eingetragen werden und den Gewässerchemismus verändern. Eine verbesserte Nährstoffverfügbarkeit führt auch im Gewässer zu einem stärkeren Pflanzenwachstum – sowohl von Algen als auch von höheren Gefäßpflanzen, und durch das veränderte Nährstoffmillieu zu einer veränderten Zusammensetzung der Pflanzenarten – und in Abhängigkeit davon – auch der Fauna. Ein verstärkter Pflanzenaufwuchs hat auch zur Folge, dass mehr absterbende Biomasse anfällt und diese wird unter Sauerstoffzehrung bakteriell abgebaut.“

Ein Schild vor einem Gebäude.
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz analysierte die Wasserproben aus dem Gewässer der Alten Fahrt in Olfen. © picture alliance/dpa

Das alleine führe vermutlich aber nicht zu grenzwertigen Sauerstoffkonzentrationen. „Aber was in den letzten besonders warmen Jahren/Sommern ergänzend hinzukam, war, dass sich die Kleingewässer stärker erwärmt haben. Ein Effekt, der noch einmal durch sinkende Wasserstände und einen schwindenden Wasserkörper verstärkt wurde. Der Sauerstoffgehalt von Wasser steht in direkter Abhängigkeit zur Wassertemperatur, und ist in der Folge von extremen Witterungsverhältnissen bei vielen Gewässern unter ein für Fische kritisches Maß gesunken, mit dem vielfach beschriebenen Phänomen des Fischsterbens“, erklärt Kauwling.

Die Wetterlage sei auch einer der Gründe für das Fischsterben an der Alten Fahrt gewesen. „Beim betreffenden Gewässerabschnitt der Alten Fahrt handelt es sich um ein stehendes Gewässer mit relativ geringer Tiefe ohne große Umwälzung. Bei den zuletzt sommerlichen Bedingungen haben mehrere Faktoren dazu geführt, dass sich der Saustoffgehalt im Wasser verringert hat“, sagte Kreissprecher Tobias König im September.

Zusätzlich ergaben die letzten Analyseergebnisse außerdem, „dass das Fischsterben mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen akuten Sauerstoffmangel in Kombination mit einem hohen Ammoniumgehalt, welcher bei den vorliegenden pH-Werten zu einem nicht unerheblichen Teil als Ammoniak vorliegt, zurückzuführen ist“, so König.

Welche Maßnahmen helfen?

Belüftungsmaßnahmen können akut helfen, erklärt Wilhelm Deitermann. Bei der Alten Fahrt in Olfen war dies durch die Größe des Gewässers aber nicht möglich, erklärte Kreissprecher Tobias König Ende Oktober gegenüber der Redaktion. Mittelfristig sollte laut dem Lanuv-Sprecher der Nährstoffeintrag verringert werden, etwa durch Regen- und Mischwasserbehandlung, Kläranlagen sowie den Schutz beziehungsweise der Ausweitung von Gewässerrandstreifen. Auch ein verändertes Düngungsverhalten der Landwirtschaft sei hilfreich. Beschattung könne die Situation ebenfalls verbessern, diese führe zu geringeren Wassertemperaturen und weniger Biomasseaufbau.

Darüber hinaus könnten sich Fitness und Vermehrung der Fische verbessern, wenn die Gewässerbelastung durch Medikamente, Pflanzenbehandlungsmittel, Industriechemikalien und Ähnlichem verringert und die Gewässerstruktur im Hinblick auf die Bedürfnisse der Fische verbessert wird. Eine Verringerung der Wärmeeinleitungen (z.B. Wärmenutzung aus Abwasser, Kühlwasser) könnte laut Wilhelm Deitermann ebenfalls zu einer Verbesserung beitragen.

Auch Stefan Kauwling weiß, was helfen könnte: „Akut können Sauerstoffarmutsphasen auch mit technischen Mitteln gemildert werden, z.B. durch Anreicherung des Wassers, bei bedrohlichen Niedrigwasserständen könnten Fischereivereine an den von ihnen betreuten Gewässern die Bestände abfangen und in sichere Gewässer umsiedeln. Die Wirksamkeit solcher Aktionen ist begrenzt.“ Abschließend fasst er zusammen: „Folgerichtig muss nämlich daher abgeleitet werden, dass sich hier der weitaus größere Handlungsspielraum auftut. Wobei gleichzeitig auch klar ist, dass dieser Rahmen mindestens überregional gesteckt ist, die Aufgaben aber eigentlich (inter-)nationaler und globaler Natur sind.“