
© Theo Bleckmann
Erinnerungen an 9/11: „Wir haben miteinander gesprochen und geweint“
11. September
Die Welt war in Schockstarre, als am 11. September 2001 Flugzeuge in das World Trade Center flogen. Zeitzeugen aus der Region schildern, wie sie den historischen Tag vor 20 Jahren erlebt haben.
Es war ein wunderschöner Dienstagmorgen. So beschreibt eigentlich fast jeder, der am 11. September 2001 in New York war, den Beginn des Tages. Auch Theo Bleckmann, der in Bork aufgewachsen und 1989 als Musiker nach New York gezogen ist. Blauer Himmel, wolkenlos. Dass der wunderschöne Morgen so schnell zu einem der dunkelsten Tage in der amerikanischen Geschichte werden würde, ahnte niemand so richtig.
Es ist 8.46 Uhr, als das erste Flugzeug auf den Nordturm des World Trade Centers zusteuert - und in das Gebäude, in dem tausende Menschen arbeiten, hineinfliegt. Der American-Airlines-Flug 11 war am Morgen in Boston gestartet und sollte eigentlich in Los Angeles landen. Zunächst gehen Behörden in den USA davon aus, dass es sich um einen Unfall gehandelt haben könnte. Als dann um 9.03 Uhr ein weiteres Flugzeug in den Südturm des WTC fliegt, glaubt daran aber niemand mehr. Erst recht nicht, als um 9.37 Uhr eine dritte Maschine das Pentagon trifft. Von einem „augenscheinlichen Terrorangriff auf unser Land“ spricht der damalige US-Präsident George W. Bush.
Welt gerät in eine Art Schockstarre
Sofort, so erzählt es Theo Bleckmann 20 Jahre nach dem 11. September, habe er den Fernseher angemacht, nachdem er am Morgen seine Mails gecheckt habe. Der erste Turm stand da schon in Flammen und Qualm. Das zweite Flugzeug und den Fall der beiden gigantischen Türme um 9.59 und um 10.28 Uhr verfolgt er live im Fernsehen. „Sprachlos.“ Die Welt gerät in eine Art Schockstarre.
Und in New York herrscht absolutes Chaos. Tausende Menschen versuchen vor dem Einsturz aus den brennenden Gebäuden zu kommen. Feuerwehrleute geben ihr bestes, um möglichst viele aus den hohen Türmen zu retten. Im Fernsehen sieht die Welt, wie verzweifelte Menschen aus hunderten Metern Höhe in den Tod springen. Feuer, Rauch, Kerosin, das den Aufzugschacht herunterläuft und Menschen tödlich verbrennt. Dann die Trümmer der einstürzenden Türme, Rauch und Schutt, der sich über die Stadt legt. Tausende Menschen tot, tausende vermisst.
Die beiden Maschinen, die das WTC getroffen haben, hätten eigentlich, wenn alles nach Plan der Airlines gelaufen wäre, in Los Angeles landen sollen. Dort, wo am 11. September gerade der Capeller Josef Mertens mit seiner Kartengruppe auf Reisen war. Ein Tag, den er nie vergessen wird. So beschreibt er 20 Jahre nach den Ereignissen 9/11. In dem Hotel, in dem er und seine Freunde damals untergebracht waren, seien auch Angehörige der Menschen gewesen, die Passagiere in den von den Terroristen entführten Flugzeugen waren. Von ihnen überlebte keiner - in riesigen Feuerbällen explodieren die Maschinen in den Gebäuden. Den Angriff auf den Südturm übertrugen einige Fernsehsender sogar schon live - auch den Kommentatoren und Kommentatorinnen lag der Schock in der Stimme.

Der Capeller Josef Mertens war am 11. September 2001 auf Reisen an der Westküste der USA. © Marie Rademacher
„Ist das jetzt Science Fiction? Ist das ein Film?“: So beschreibt Josef Mertens seine ersten, ungläubigen Gedanken, als er die Bilder sah. Die deutsche Reisegruppe klebt vor den Nachrichten im Fernseher.
Blutspenderschlagen an den Krankenhäusern waren endlos lang
Theo Bleckmann tigert durch seine Wohnung in Chelsea, von der aus er ungefähr zehn Minuten mit dem Fahrrad zum WTC brauchte. Er habe immer eine besondere Verbindung zu den Gebäuden gehabt, sagt er. Für kurze Zeit habe er sogar im World Trade Center gearbeitet. Nur zu Hause sitzen und warten, wollte er nicht. Am Nachmittag kommt eine Freundin bei ihm an - sehr verspätet durch das Chaos in der Stadt. „Wir sind dann sofort losgegangen, um zu sehen, wie wir helfen können. Die Blutspendeschlangen an den Krankenhäusern waren endlos, es wurden keine neuen Menschen mehr aufgenommen. So liefen wir zwei völlig schockiert durch Chelsea und West Village herum und sahen Horden von Menschen, die von Downtown zu Fuß ziellos Uptown gingen. Viele waren völlig weiß vom Staub und Asbest. Verwirrt und im absoluten Schock. Ausdruckslos.“
Viele Geschäfte, so erklärt er, hatten die Fernseher nach draußen gestellt, sodass alle die News verfolgen konnten. „Vor jedem Fernseher eine kleine Traube von Menschen. Wir haben miteinander gesprochen und geweint. Fassungslos. Es war ein unglaubliches Gefühl von Zusammenhalt und Schock.“
Sorgen bei Angehörigen in Deutschland
Die Sorge in Deutschland war natürlich groß - auch bei der Familie von Josef Mertens. Es sei unheimlich schwer gewesen, von Los Angeles aus durchzukommen - Smartphones habe es ja auch noch nicht gegeben. Dabei sei es ihm und seinen Freunden ein großes Bedürfnis gewesen, zu Hause bei Frauen und Kindern Bescheid zu sagen: „Uns geht es gut.“

So sah die Titelseite der Ruhr Nachrichten vor 20 Jahren am 12. September 2001 aus. © Marie Rademacher
Bei Theo Bleckmann war es ähnlich. „Natürlich haben meine Mutter und Freunde aus aller Welt dauernd versucht anzurufen, kamen aber erst Stunden später auf dem Festnetz durch. Unsere gute Nachbarin Frau Böse kam dann endlich durch und hat es gleich meiner Mutter weitergeleitet.“
Auch in Capelle gab es bald Entwarnung aus Los Angeles.
Kaum Überlebende in den Krankenhäusern zu versorgen
Der Ausnahmezustand in New York dauert natürlich noch den ganzen Tag an - und weit darüber hinaus. „Am späten Nachmittag habe ich nach einem Aufruf im Fernsehen noch Bandagen, Wasser und Heftpflaster an ein Hilfelager des Roten Kreuzes in Chelsea gespendet. Erst in den kommenden Tagen haben wir gesehen dass es kaum Überlebende in den Krankenhäusern zu versorgen gab“, schildert Theo Bleckmann.

In seinem Tagebuch hat Hubert Kersting aufgeschrieben, wie er den 11. September 2001 erlebt hat. © Marie Rademacher
Fast 3000 Menschen sind bei den Anschlägen des 11. September gestorben. „Terror stürzt USA in die Katastrophe“: Das steht am Tag danach auf der Titelseite der Ruhr Nachrichten. Die 20 Jahre alte Zeitung liegt auf dem Tisch von Hubert Kersting, dem Vorsitzenden des Heimatvereins Nordkirchen. Er hat sie aufbewahrt - als Zeitdokument. Auch sein Tagebuch aus dem Jahr 2001 hat er noch, in dem er fassungslos schildert, wie er den Tag erlebt hat.
Komisches Gefühl, danach ins Flugzeug zu steigen
Noch Tage später sei die Stimmung in den USA geprägt gewesen von der Anschlägen. So sagt es Josef Mertens, der die Westküste entlang auf Reisen war. „Kein Flugzeug, eine komische Ruhe.“ Gerade in Las Vegas wäre das deutlich spürbar gewesen. „Man hat das schon krass gemerkt“, sagt er. Vor allem habe die Freunde die Frage umgetrieben: „Was passiert jetzt?“ Und: „Kommen wir hier wieder raus?“
Bei der Rückreise - kurz nachdem der nach den Anschlägen ausgesetzte Flugverkehr über den USA überhaupt erst wieder aufgenommen worden war - wurden am Flughafen die Pässe der fünf Männer erst mal für eine Stunde einkassiert. „Keine Ahnung, was die damit gemacht haben“, erzählt Josef Mertens. Schlussendlich durften er und seine Freude aber ins Flugzeug steigen. Und das, so sagt er, sei ein unglaublich komisches Gefühl gewesen.
„Es wird“, so hat es Hubert Kersting einen Tag nach den Anschlägen schon in sein Tagebuch geschrieben, „mit einem bösen Gegenschlag der USA in den nächsten Tagen zu rechnen sein.“ Ähnlich lesen sich auch die Schlagzeilen in den Ruhr Nachrichten an den Tagen nach dem 11. September. „Wir werden keinen Unterschied zwischen den terroristischen Tätern und denjenigen machen, die ihnen Unterschlupf gewähren“, hatte George W. Bush noch am Tag der Anschläge in einer Rede an die Nation gesagt - und den Weg bereitet für einen Krieg gegen Afghanistan. 20 Jahre später ist der 11. September unvergessen. Und seine Folgen noch lange nicht überwunden.
Ich mag Geschichten. Lieber als die historischen und fiktionalen sind mir dabei noch die aktuellen und echten. Deshalb bin ich seit 2009 im Lokaljournalismus zu Hause.
