Eigentlich ringt jeder um Worte. Wie beschreibt man das, was auf den Videos zu sehen ist, die im Frühjahr 2021 innerhalb mehrerer Wochen im Schlachtbetrieb Prott entstanden sind? Von einem außerordentlichen Fall der Tierquälerei spricht Richter Ulrich Oehrle am Freitag (15. September) bei der Urteilsverkündung. Brutal, abstoßend. „Wie in einem Horrorfilm“, so hatte es im Prozessverlauf eine Zeugin beschrieben. Noch nie, sagte eine andere, habe sie gesehen, dass Menschen so brutal mit Tieren umgehen.
45 Rinder und 143 Schafe, so zeigen es die Videos, sind in dem Betrieb innerhalb von rund drei Wochen geschächtet worden, also ohne vorherige Betäubung geschlachtet. Das ist in Deutschland ohne Sondergenehmigung verboten. Weil es die Tiere quält, wie auf den Videos sehr deutlich zu sehen ist. Zusätzlich, so kam es im Prozessverlauf heraus, wurde mit nicht ausreichend scharfen Messern gearbeitet - manchmal musste nachgeschnitten werden, was für die Tiere besonders qualvoll war.
700 Kilo schwere Rinder wurden an einem Hinterlauf hochgezogen - bei lebendigem Leib. Auch das schilderten Zeuginnen, die die Videos gesehen haben. Elektronische Viehtreiber seien unverhältnismäßig eingesetzt worden, die Tiere seien teilweise durch die Luft geworfen oder im Todeskampf regelrecht gestapelt worden.
Er habe gesehen, so sagt es ein Zeuge am Freitag, dass ein Rind „eine Träne verloren hat“. Ein kleines Detail. Aber eins, das Eindruck macht. Der Zeuge gehört zu denen, die die versteckten Kameras bei Prott installiert haben. Wie genau, dazu macht er keine Angaben. Um sich zu schützen - auch Hausfriedensbruch ist strafbar. Dennoch hatte der 28-Jährige sich nach dem ersten Verhandlungstag auf eigene Initiative hin bei dem Gericht und bei der Staatsanwaltschaft gemeldet - und eine Zeugenaussage angeboten.
Mehrmals im Schlachthof
Mehrmals, so beschreibt er, war er in dem Schlachtbetrieb. Zum Installieren der Kameras - und auch, um die damit aufgenommenen Daten wieder herauszuholen aus dem Betrieb. Immer seien nachts Tiere dort gewesen, sagt er. Wasser hatten sie nicht, dass es ihnen nicht gut geht, sei deutlich zu sehen gewesen.
„Hygienetechnisch habe ich das so noch nie gesehen in einem Schlachthof“, sagt er. Er sei sich nicht sicher, ob nach den Schlachtungen überhaupt sauber gemacht wurde - große Sägen beispielsweise hingen noch mit Blutspuren an der Wand. Auf einem Video sei auch zu sehen, wie ein Mitarbeiter des Schlachthofes Tiere anspuckt. „Man hatte echt das Gefühl, denen sind die Tiere komplett egal.“
Auf den Videos seien nur Schlachtungen ohne Betäubung zu sehen. „Krass“, nennt der Zeuge das. „Das war ein Schlachthof, der komplett illegal war“, so seine Einschätzung. Das Videomaterial - insgesamt eine Datenmenge von 1,7 Terabyte - habe er an den Verein Soko Tierschutz übergeben. Danach kam das Verfahren dann ins Rollen.
So sagt es auch Friedrich Mülln, ein Vertreter dieser Organisation. Auch er wurde an Freitag in dem Prozess als Zeuge gehört. Er selbst habe den Schlachthof nie betreten, sondern nur die Videos ausgewertet. „Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke“, sagt er.

„Faktischer Leiter des Schlachthofes“
Er beschreibt außerdem eine deutliche Hierarchie, die auf den Videos zu sehen sei - was der andere Zeuge ebenfalls bestätigt. Es habe den „Chef“ gegeben - Hubert Prott. Aber noch einen anderen Mitarbeiter aus dem Umfeld der Familie. „Aus meiner Sicht war das der faktische Leiter des Schlachthofes“, sagt der Zeuge. Schon mehrmals ist sein Name im Verlauf des Prozesses gefallen. Vor allem dann, wenn es um den Vertrieb des Fleisches ging.
Einmal, so erzählt es Tierschützer Friedrich Mülln, habe er diesen Mitarbeiter „observiert“. Er sei ihm also hinterhergefahren und habe Fleischauslieferungen beobachtet. Teilweise seien ganze geschlachtete Schafe unverpackt in einem Einkaufswagen zu den Läden zumeist in Dortmund gebracht worden.
An beide Zeugen hat die Staatsanwältin keine Fragen. Auch der Richter hält sich zurück - und sagt an vielen Stellen: „Das gehört nicht hierher.“ Denn: Auf der Anklagebank sitzen drei ehemalige Mitarbeiter des Schlachthofes - aber nicht die, die nach dem Eindruck des Prozessverlaufes die Hauptverantwortung für die Geschehnisse im Schlachthof tragen. Gegen den Mann, den der Zeuge den „faktischen Leiter“ nannte, gibt es keine Anklage. Warum, wurde im Prozess nicht klar. Gegen „Chef“ Prott gibt es zwar schon eine Anklage. Sie wurde allerdings vor Prozessbeginn abgetrennt, weil er nicht verhandlungsfähig ist - und das voraussichtlich dauerhaft.

40.000 Euro
Seine Tochter, die juristisch die Inhaberin des Schlachthofes war, ist selbst nicht angeklagt - aber als diejenige, die Profit gemacht haben soll von den illegalen Schächtungen, fordert die Staatsanwaltschaft von ihr eine Zahlung von 40.000 Euro.
Gegen die, so sagte es ihr Anwalt am Freitag, werde sie sich auch nicht wehren. Eine Aussage, die nicht sonderlich verwunderte. Kurz vorher hatten Mitarbeiterinnen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz nämlich die Auswertungen von sichergestellten Rechnungen vorgestellt. Im Zeitraum vom 24. Februar 2021 bis zum 18. März 2021 seien demnach durch den Verkauf des geschlachteten Rind- und Lammfleisches insgesamt rund 89.900 Euro eingenommen worden.
Das Urteil des Schöffengerichts zog die Zahlung von 40.000 Euro fest. Gegen die drei anwesenden Angeklagten wurden außerdem hohe Strafen verhängt. Drei Jahre Haft bedeutet das für den ehemaligen festen Mitarbeiter - ein 54-jähriger Mann aus Lünen, türkischer Staatsbürger ohne Ausbildung oder Sachkundenachweis fürs Schlachten. Seine beiden mit angeklagten Söhne haben je zwei Jahren auf Bewährung bekommen. Sie haben nicht fest bei Prott gearbeitet und bei den Schächtungen mitgeholfen, sie aber nicht selbst durchgeführt. Alle drei Angeklagten hatten sich schon zu Beginn der Verhandlung zu den Vorwürfen eingelassen und große Teile gestanden. Ihnen wird außerdem für immer der berufsmäßige Umgang mit Schlachttieren verboten.
Hohe Strafe
Die Soko Tierschutz, die vor dem Gericht auch zu einer Protestaktion aufgerufen hatte, war mit diesem Urteil „zufrieden“, wie Friedrich Mülln nach dem Prozess im Gespräch mit der Redaktion sagte. Schade sei aber, dass nicht alle Verantwortlichen bestraft würden. „Der türkische Schlachter wird verurteilt, der deutsche Chef kann nicht zur Rechenschaft gezogen werden“, so Mülln. Von einem „Bauernopfer“ hatte in diesem Zusammenhang der Verteidiger des 54-jährigen Angeklagten gesprochen.
„Es ist das höchste Urteil, das je in einem Tierschutzfall gefallen ist in Deutschland, soweit ich weiß“, sagt Friedrich Mülln. Sonst bliebe es oft bei einer Geldzahlung und einem Händedruck. Er hoffe, dass das nun wegweisend sei. Auch mit Blick auf den zweiten Tierschutz-Skandal im Kreis Unna: den Fall Mecke. Die Hauptverhandlung dazu beginnt im Januar 2024.
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