Heribert Griseheolt, Jens Herking und Achim Sagurny (v.l.) sind Gründer von drei Selmer Facebook-Gruppen
Heimat in den sozialen Netzwerken
Die Netzwerker der Heimat
Was ist Heimat in Zeiten von Sozialen Medien? Verändern sie unsere Auffassung von Heimat oder fügen sie dem Begriff neue Bedeutungen hinzu? Eine Spurensuche mit den drei Gründern der größten Facebook-Gruppen Selms.
Wer bei Facebook etwas sagen möchte, muss das nicht immer mit Wörtern tun. Es geht auch mit bunten Bildern oder mit den so genannten Emoticons, bunte Symbole, mit denen man Gefühle ausdrücken kann. Doch etwas so Abstraktes wie Heimat lässt sich nicht einfach so ausdrücken. Fragt man die Gründer, der drei größten Facebook-Gruppen aus Selm, Bork und Cappenberg nach ihrem Begriff von Heimat, erhält man zunächst einmal eines: Schweigen.
Cappenberg unsere Liebe und Heimat: Eine Heimat
Für Heribert Grieseholt ist es vielleicht am einfachsten. Seine Heimat ist Cappenberg.
„Ich bin hier geboren, getauft, zur Schule gegangen, habe hier geheiratet“, erzählt der 70-Jährige. Heimat ist für ihn eine Sammlung aus verschiedenen Erlebnissen, die ihn geprägt haben. Heimat ist Cappenberg. Ob er sich auch eine Heimat woanders vorstellen könnte? Heribert Grieseholt überlegt. An einer wirklich schönen Ecke Deutschlands, vielleicht. Wobei: „Wenn ich den Wasserturm drei Tage nicht gesehen habe, dann bekomme ich Heimweh.“ Von seinem Haus in Cappenberg aus hat man einen Blick ins Grüne. Heribert Grieseholt sitzt an einem großen Holztisch. Seine Gedanken sprudeln nicht einfach so aus ihm heraus. Er überlegt, bevor er antwortet und bringt seine Gedanken dann mit ruhiger, gelassener Stimme vor.: Heribert Grieseholt gründete die lokale Facebook-Gruppe „Cappenberg – unsere Liebe und Heimat“ © Sabine Geschwinder
„Cappenberg – unsere Liebe und Heimat“ heißt die Facebook-Gruppe, die er im Juni 2012 gegründet hat. Da stecken die Worte Liebe und Heimat schon drin. Für Grieseholt eine Selbstverständlichkeit. „Als ich mir überlegt habe, wie ich die Gruppe nennen soll, dachte ich mir, Mensch, Heimat und Liebe gehören zusammen“, sagt er.
Warum gerade er die Cappenberger Facebook-Gruppe gegründet hat? Das hatte praktische Gründe. Er wollte die Mitteilungen seines Schützenvereins veröffentlichen. Das ging bei Facebook leichter als auf einer eigenen Website. Doch es blieb nicht nur bei den Schützen. Etwa 300 Mitglieder hat die Gruppe heute, die Themen sind vielfältig.
Die Schauspielgruppe der Kolpingsfamilie macht zum Beispiel Werbung für ihre Termine, eine Frau ist auf der Suche nach einer Sportgruppe, jemand anderes möchte seine Terrasse pflastern und hofft auf Empfehlungen für einen guten Handwerker, die evangelische Pfarrerin postet den Termin für eine Veranstaltung.
Können soziale Netzwerke auch Heimat sein? „Nein“, sagt Heribert Grieseholt. „Heimat muss man erfahren und erlebt haben.“ Facebook nutzen die Leute, um zu erfahren, was gerade los ist, um Informationen zu erhalten. Und ohnehin sei ja nur ein kleiner Teil des gesamten Dorfes bei Facebook zu finden. Ein kleiner Kreis.
Würde es heute noch Kneipen in Cappenberg geben, so wie früher, wo man sich zwei oder dreimal in der Woche treffen und in Ruhe quatschen konnte, dann, meint Grieseholt, dann bräuchte man kein Facebook.
Facebook, ist der digitale Dorfschaukasten der Heimat. In die Gruppen kann jeder, der Mitglied ist, seine Ankündigungen veröffentlichen ohne jemals das Haus zu verlassen.
Bork Die Perle Westfalens- Zwei Heimaten
Auch für Jens Herking ist Facebook kein Heimatersatz. „Facebook, das ist für aktuelle Nachrichten“ und das Internet „eine Info-Quelle, wenn ich es bequem haben will“, sagt Herking. Er sitzt während des Gesprächs im Auto mit seiner Frau und seinen Kindern und telefoniert über die Freisprechanlage. Zwischendurch bricht die Verbindung ab. Facebook, das ist ihm mittlerweile ein bisschen zu „krawallig“ und zum Diskutieren nicht mehr geeignet.
„Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass Facebook eher eine Mecker-Plattform ist“, sagt er. Die Gruppe „Bork, die Perle Westfalens“, die er 2010 gegründet hat, findet er nicht krawallig. Aber finden könne man da eben nur einen ganz kleinen Ausschnitt aus dem Dorfleben.Jens Herking wohnt in Österreich und gründete die Facebook-Gruppe „Bork, die Perle Westfalens“, um mit seiner Heimat verbunden zu bleiben
„Man kriegt ein bisschen mit, aber ich würde nicht sagen, dass man viel mitkriegt“, sagt der 38-Jährige.
Herkings Gruppe war die erste von allen Selmer Gruppen. Gegründet hat er sie, als er schon längst nicht mehr in Bork lebte. Vor 14 Jahren ist der heute 38-Jährige nach Niederösterreich ausgewandert. Deshalb kam ihm auch die Idee für die Gruppe. „Es war eine spontane Idee. Wenn ich da jetzt was tue, also die Gruppe gründe, dann habe ich die Möglichkeit, am Dorfgeschehen teilzunehmen. Wenn auch nur virtuell“, berichtet er von seinen Beweggründen.
Heimat, sagt Herking, „das ist da wo das Herz ist, das hängt da, wo ich wohne und wo ich herkomme.“ Heimat. Das ist Weinburg in Niederösterreich, wo er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt. Und das ist Bork, wo seine Eltern und seine ganze Familie leben, wo sein Freundeskreis immer noch ist und wo er alle zwei Jahre zum Schützenfest vorbeikommt. Aber Heimat, das kann nicht Facebook sein. „Das Herz hängt nicht im Internet“, sagt Herking.
Facebook, ist eine von vielen Verbindungen zur Heimat. Aber nur ein kleiner Ausschnitt davon.
Was in Selm passiert: Alternative Heimaten
Achim Sagurny kommt direkt in die Redaktion, um über Heimat und soziale Netzwerke zu reden. Unterm Arm hat der Gründer von „Was in Selm passiert“ einen Ordner. Darin enthalten sind verschiedene Dokumente. Zum Beispiel von einer Unterschriftenaktion „für mehr Ordnung und Sicherheit“ in der Stadt, die er mit Mitstreitern im Jahr 1992 gestartet hat.
Aktionen und Bürgerbeteiligung sind ihm immer noch ein Anliegen. Er, 59 Jahre alt, der 23 Jahre in der SPD war und einst die Partei „Bürger für Selm“ mitgründete, ist nun in der DBD (Demokratische Bürger Deutschland). Die DBD hatte sich 2016 in Selm gegründet, weil ihnen die anderen Parteien zu weit links waren. Mit der AfD wolle man aber dennoch nicht verglichen werden. Auch Achim Sagurny ärgert sich, wenn er in die rechte Ecke gestellt wird. Allerdings sagt er häufig Worte wie „Verschleierungstaktiken“ oder Sätze wie diese: „Wie hier mit den Leuten umgegangen wird. Das ist zum Kotzen, daran wollen wir was ändern.“
Sagurny ist auch im Nabu und im Siedlerverein. Er sagt: Heimat sei für ihn „Verbundenheit mit der Stadt.“ Sein ganzes Leben hat er in Selm verbracht. „Ich habe Selm von klein auf erlebt und gesehen, wie sich alles verändert hat.“ Er meint damit die Umweltpolitik und dass Konzerne zu viel Einfluss hätten.Achim Sagurny gründete die lokale Facebook-Gruppe „Was in Selm passiert“, um über Geschehnisse in der Stadt zu informieren
Flyer verteilen und politisch real in Aktion treten, das macht er noch immer. Aber da gibt es eben auch die Facebook-Gruppe, die er 2012 zusammen mit Mirko Kapuschenski gegründet hat. „Was in Selm passiert“, heißt sie und ist mit über 8.600 Mitgliedern die größte unter den Selmer Gruppen. Der Grund für die Gruppengründung ist noch heute in der Beschreibung zu lesen: „Diese Gruppe wurde ursprünglich ins Leben gerufen um uns gegenseitig über Straftaten sowie Geschehnissen in und um Selm zu informieren“. Achim Sagurny findet noch immer, dass die Polizei zu wenig über verschiedene Straftaten berichtet.
Dass seine Gruppe im vergangenen Jahr in die Schlagzeilen geriet, weil sie nach Meinung der Polizei häufig Fake-News verbreite, findet er unfair. Ja gut, diese Meldung bei der jemand einer alten Frau ins Gesicht geboxt habe, sei wirklich erfunden gewesen, doch „das hat sich gelegt“.
Mit drei Administratoren passe man nun besser auf. Achim Sagurny weiß genau, was Facebook und die Gruppe für ihn und seinen Begriff von Heimat bedeuten. Man kann Leute erreichen, die er sonst nicht erreicht. „Es liegt ja auf der Hand“, sagt Sagurny, „es haben immer weniger Leute Zeitung, bei Facebook sind die mit einem Klick da.“ Außerdem könne man Leute besser motivieren.
Facebook, ist manchmal auch ein Flugblatt und ersetzt den Gang von Haus zu Haus, um Unterschriften zu sammeln. Facebook ist manchmal auch das Instrument zur Meinungsbildung. Egal, ob man diese nun teilt, oder nicht.
Wie man Heimat bei Facebook erlebt, das ist so vielfältig, wie die Menschen, die das soziale Netzwerk benutzen. Oder wie die Menschen, die ihre eigenen Gruppen gründen.
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