Überregional von sich reden machen möchte die Stadt Selm eigentlich mit anderen Themen als mit dem, das der Bund der Steuerzahler (BdSt) jetzt aufgegriffen hat. Unter der Überschrift „Außer Spesen nichts gewesen“ berichtet das monatlich erscheinende Magazin „Der Steuerzahler“ über den Kauf der acht Häuser aus der Gründerzeit an der Kreisstraße (B236) im Jahr 2017. Die hoch verschuldete Stadt Selm hatte dafür 4,2 Millionen Euro ausgegeben, ohne dafür zuvor ein Wertgutachten in Auftrag gegeben zu haben.
Eigentlich sollten die vernachlässigten Häuser längst einer neuen Bebauung mit Einzelhandel (dm und Netto) und Wohnungen gewichen sein, um das Bild der damals gerade rundum erneuerten Kreisstraße mitten in Selm perfekt zu machen. Tatsächlich stehen die Ende 2022 komplett leer gezogenen alten Häuser aber heute immer noch und gammeln hinter Absperrzäunen vor sich hin, während die Stadtverwaltung bislang ohne Erfolg einen Nachfolger für den Ende 2024 abgesprungenen Investor Ten Brinke sucht.
Die Menschen in Selm kennen das Thema zur Genüge. Kaum eine politische Sitzung vergeht, in der es nicht angesprochen wird. Dank des Bundes der Steuerzahler NRW zieht die von ihm als „Verschwendung“ angeprangerte Geschichte jetzt weite Kreise. Die Stadtverwaltung Selm nimmt das schweigend zur Kenntnis. Es gebe keinen neuen Sachverhalt, zu dem sie Stellung nehmen könne, teilt Stadtsprecher Malte Woesmann auf Anfrage lediglich mit. Auch ein möglicher neuer Interessent an dem Immobilien-Projekt gibt sich einsilbig. Gleichzeitig wird aber auch Kritik laut an den Kämpfern gegen Steuerverschwendung.
Gebührenstreit und Schwarzbuch-Eintrag
Nicht zum ersten Mal hat der Bund der Steuerzahler in Selm entdeckt, was er laut Vereinszweck verhindern möchte: kein „sparsames Ausgabeverhalten der öffentlichen Hand“, sondern „Verschwendung von Steuergeldern“. Jährlich blickt der BdSt immer wieder mahnend auf die Stadt zwischen Ruhrgebiet und Münsterland, wenn es um die hohe Gebührenlast für Abwasser- und Müllentsorgung geht. Und seit Jahren verweist die Stadtverwaltung dann darauf, dass die landesweiten Vergleiche hinken, weil unterschiedliche Leistungspakete gegenübergestellt würden. Neu war, dass die Stadt 2021 eine zweifelhafte Sonderstellung erlangt hat: einen Eintrag ins Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler wegen der bunten Kuppel im Auenpark.
Die farbenfrohe Landmarke, die als Geschenk für die Stadt angekündigt worden war, musste die Allgemeinheit zahlen, weil den anonymen Spendern die großzügige Geste plötzlich „nicht mehr machbar“ war, wie es damals hieß. Selm zahlte 28.000 Euro, den Rest steuerte das Land NRW aus Mitteln der Regionale 2016 bei, also ebenfalls aus Steuermitteln, wie der Bund betonte. Für die 1949 gegründete Organisation war das im Jahr 2021 eines von 100 Beispielen aus ganz Deutschland für Verschwendung.

Hinweis durch Mitglieder des BdSt
Für das jeweils am Jahresende erscheinende Schwarzbuch würden die Aufsehen erregendsten Fälle eines jeden Jahres aus den einzelnen Bundesländern zusammengestellt, sagt Andrea Defeld. Gut möglich, dass die Kreisstraßen-Häuser dort auch noch einmal auftauchen könnten. Die Pressesprecherin des BdSt in Düsseldorf erklärt, wie Themen an sie und ihre Kolleginnen und Kollegen herangetragen werden. „Jeder kann sich bei uns melden, dafür muss man nicht Mitglied bei uns sein“, sagt sie. Im Fall der Kreisstraßen-Häuser seien es aber wohl Mitglieder des Vereins gewesen, die auf den teuren Immobilienkauf mit offenem Ausgang hingewiesen hätten.
Jens Ammann, Referent des BdSt, hat den Beitrag in „Der Steuerzahler“ verfasst. Er kritisiert nicht nur den teuren Hauskauf, sondern auch die mangelnde Transparenz. Tatsächlich hat sich die Stadt mit Verweis auf eine vertragliche Verschwiegenheitsklausel stets geweigert, die genauen Modalitäten des Ende 2024 geplatzten Erbbaupachtvertrags mit dem Immobilienentwickler Ten Brinke offenzulegen. UWG-Chef Dr. Hubert Seier hatte lediglich durchblicken lassen, dass die Stadt damit „2,4 Millionen Euro verbrannt“ hätte. Anders als Ammann schreibt, war der Kaufpreis der Häuserzeile aber stets öffentlich: 4,2 Millionen Euro. Ammanns Fazit: „Sieben Jahre nach dem Kauf, bald fünf Jahre nach dem Vertrag mit Ten Brinke und über drei Jahre, nachdem die letzten Mieter ausgezogen sind, steht die Stadt wieder am Anfang und muss Gespräche mit Investoren führen.“

UKBS-Chef: „Projekt ist interessant“
Das mit den Gesprächen ist einfacher gesagt als getan zu einer Zeit, in der die Bauwirtschaft im fünften Jahr in Folge mit realen Umsatzverlusten rechnen muss. Entsprechend blank liegen - ganz unabhängig vom Bericht des Bundes der Steuerzahler - die Nerven bei der Stadtspitze, wenn es um die schwierigen Verhandlungen geht. Das hatte sich zuletzt Ende des Jahres öffentlich wirksam gezeigt, als Bürgermeister Thomas Orlowski in öffentlicher Sitzung mit zwei Ratsmitgliedern aneinandergeriet. Michael Zolda (CDU) und Michael Feige (SPD) hatten, so war in der letzten Ratssitzung des Jahres 2024 zu hören, den Auftrag, mit der Unnaer Kreis-Bau- und Siedlungsgesellschaft mbH (UKBS) zu verhandeln. Sie hatten sich aber auch noch an andere Interessenten gewandt - ohne dass der Bürgermeister, der ebenfalls Gespräche mit Interessenten führte, dabei war: etwas, das sich dieser ‚nicht bieten lassen‘ wollte. Inzwischen laufen die Verhandlungen geräuschloser: zielführend, aber noch ohne spruchreifes Ergebnis, wie bei der Stadtverwaltung zu hören ist.
Einer dieser Gesprächspartner ist also Matthias Fischer, Geschäftsführer der Unnaer Kreis-Bau- und Siedlungsgesellschaft mbH (UKBS). Das Unternehmen ist ein kommunales, gemeinnütziges Unternehmen mit der Aufgabe, geeigneten Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten zu schaffen. Einer der neun Gesellschafter ist die Stadt Selm. „Ich weiß von dem Projekt“, sagt Fischer knapp. Es sei „interessant“. Es gebe aber noch „keinen neuen Stand“. Derzeit konzentriere sich die UKBS in Selm auf den Auenpark. Dort baut die UKBS mit dem Ratinger Quartiersentwickler Wilma-Immobilien fünf Mehrfamilienhäuser: 61 Wohneinheiten, darunter 34 geförderte Wohnungen.
Kritik am Bund der Steuerzahler
Zwischenzeitlich steht der Missstände anprangernde Bund der Steuerzahler allerdings auch selbst in der Kritik. Die Kampagnenplattform Campact hatte sich Ende 2023 bei den zuständigen Finanzämtern über sechs Landesverbände des Bundes der Steuerzahler beschwert, der in NRW zählte aber nicht dazu. Es sei ungerecht, so die Begründung, dass „konservative und neoliberale Vereine wie der Bund der Steuerzahler weiter als gemeinnützig gelten“, während progressive Organisationen wie das globalisierungskritische Netzwerk Attac und Campact selbst diesen Status verloren haben. Campact sieht darin eine Ungleichbehandlung: ein Vorwurf, den der Bund der Steuerzahler entschieden von sich weist. „Wir sind gemeinnützig und unabhängig“, betont auch Andrea Defeld, die den Beitrag über den Häuserkauf in Selm verschickt hat.
Jemand, der das bereits 2016 anzweifelte, ist Stefan Bach, Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, des größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts. Der Bund der Steuerzahler repräsentiere vor allem mittelständische Unternehmer, Freiberufler und Besserverdiener, die ihn über Beiträge und Spenden finanzierten, schrieb Bach damals. Entsprechend zielten die Anstrengungen des BdSt vor allem auf die Entlastung Wohlhabender. Missstände im Steuerrecht und in der Finanzverwaltung wie Steuervergünstigungen oder Steuerhinterziehung würden dagegen nicht thematisiert.
