Besonderes Immobilien-Angebot in Selm für 35.000 Euro mit Haken Käufer für Kapelle gesucht

Käufer für Kapelle gesucht: „35.000 Euro Verhandlungsbasis“
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Das größte Kleinanzeigenportal in Deutschland bietet aktuell die wohl kleinste Immobilie an: ein rotes Backsteinhäuschen auf einem nur 19 Quadratmeter großen Grundstück in der Ortsmitte von Selm. Er wurde vor genau 130 Jahren errichtet und ist seitdem dauerhaft vermietet - an den lieben Gott.

Das offerierte Gebäude in der Altstadt von Selm, direkt gegenüber dem Feuerwehrhaus, ist eine Kapelle. Oder besser: ein Kapellchen. 4,50 Meter hoch, 2,30 Meter breit und 2,70 Meter tief - da bleibt kein Platz für Stühle oder Bänke. Innen hängt ein Kreuz an der Decke. Darunter steht auf einem schmalen Altartisch eine dunkle Christusfigur. Zwei Sandsteinstufen führen hinauf zum Innenraum, den ein hohes Metallgitter versperrt. Rechts und links fällt Licht aus zwei Rundbogenfenstern hinein. Vier Generationen lang haben Menschen diese 1895 errichtete fromme Stätte besucht und gepflegt. Das ist inzwischen vorbei.

Dauermieter Jesus hat sozusagen die Kündigung bekommen - ausgerechnet kurz vor Weihnachten. Am 14. Dezember hat der Eigentümer der Kapelle seine Verkaufsanzeige auf dem Onlineportal geschaltet. Es gibt aber zwei Haken

Preis wie für eine Eigentumswohnung

„Bitte keine Anfragen, was soll sie kosten, sondern selber überlegen“, hat der Verkäufer geschrieben. Selmer oder Höchstbietende bekämen den Zuschlag. Ganz ohne Orientierung will er mögliche Interessenten aber offenbar auch nicht lassen. Denn als Verhandlungsbasis gibt er doch einen Preis an: 35.000 Euro.

Umgerechnet bedeutet das 1842,11 Euro pro Quadratmeter: ein stolzer Preis - zumindest, wenn man auf den letztjährigen Bodenrichtwert für baureifes Land in diesem Bereich von Selm schaut. Der Obere Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Land Nordrhein-Westfalen, besser bekannt als BORIS-NRW, gibt diese Wert für 2024 - für dieses Jahr liegen noch keine Zahlen vor- mit 250 Euro pro Quadratmeter an. So ein schnöder Bodenrichtwert berücksichtigt allerdings weder den Kultcharakter der Fläche noch das außergewöhnliche Gebäude darauf.

Wer also lieber den Immobilienrichtwert 2024 zu Rate zieht, kommt zu anderen Ergebnissen. BORIS verweist in seinem Bericht aus dem Jahr 2024 auf den Weiterverkauf einer Eigentumswohnung ganz in der Nähe. Der Wert damals: 1940 Euro pro Quadratmeter. Ob sich das eingeschossige Kapellchen aber tatsächlich mit einer Eigentumswohnung vergleichen lässt? Der Immobilienrichtwert für freistehende Ein- und Zweifamilienhäuser liegt höher. Laut BORIS waren für eine solche Immobilie an der Ludgeristraße zuletzt 2320 Euro pro Quadratmeter geflossen.

Die Kapelle Auf der Geist in Selm
An der Straße Auf der Geist in Selm befindet sich die ungewöhnliche Immobilie, die aktuell auf dem Kleinanzeigen-Portal angeboten wird: ein 130 Jahre altes Backstein-Kapellchen. © Sylvia vom Hofe

Tiny Haus vor der Feuerwehr in Selm?

Ließe sich in der Kapelle aus einer Zeit, als Selm noch ein Ackerbürgerstädtchen und der Bergbau weit weg war, eine frühe Form des Tiny Hauses erkennen? Das dürfte eng werden. In Deutschland ist die Größe eines solchen Minihauses zwar nicht verbindlich festgelegt. Als Richtwert gelten aber 15 bis 50 Quadratmeter: deutlich mehr als die nicht einmal sieben Quadratmeter Gebäudefläche, mit der der Jesus aus Gips an der Geist in Selm auskommt. Ganz abgesehen davon, dass er in seinem zugigen Zuhause auf jeden Wohnkomfort verzichtet. Eine Modernisierung dürfte auch schwierig werden. Das hat mit dem - neben dem hohen Preis - zweiten Haken bei dem Angebot zu tun.

Der Haken mit dem Denkmalschutz

Auch wenn keine Plakette zu erkennen ist: Die Wegekapelle an der Geist 5 ist ein Selmer Baudenkmal. „Sie steht als laufende Nummer 49 in unserer Denkmalliste“, bestätigt der Sprecher der Stadt Selm, Malte Woesmann. Seit dem 9. Februar 1989 steht das von Wilhelm Baumeister aus frommer Dankbarkeit errichtete Gebäude (für was, ist nicht überliefert) damit unter behördlichem Schutz. Veränderungen sind laut Denkmalschutzgesetz nur möglich, wenn sie dem Schutz des Gebäudes dienen und seinen optischen Zustand nicht verändern. Das schränkt eine mögliche alternative Nutzung des Minigrundstücks mit traditionsreicher Mikrobebauung ein.

Also warum nicht alles beim Alten belassen und die Kapelle Kapelle sein lassen? Weil es dafür auch jemanden geben müsste, der zum einen das kleine Gotteshaus pflegen und es zum anderen auch nutzen möchte. An beidem besteht inzwischen Mangel - nicht nur auf der Geist in Selm.

Katholische Kirche hat auch abgewunken

„Das ist eine Entwicklung, die wir allerorts beobachten“, sagt der katholische Pfarrer Claus Themann: Nicht nur die Zahl der Kirchenmitglieder nimmt seit Jahren ab, sondern auch die Volksfrömmigkeit. Sowohl das Bedürfnis nach Wegestationen zur stillen Einkehr unterwegs als auch die Bereitschaft, sie zu pflegen, sei verschwunden. „Und wenn dann die letzten, die sich darum gekümmert haben, zu alt sind oder nicht mehr leben, findet sich niemand mehr, der sich darum kümmert“ - so wie auf der Geist. Das Ehepaar, das die ererbte Aufgabe der Kapellenpflege bis zuletzt ausgeübt hat, ist kinderlos gestorben. Die Erben möchten sie nicht übernehmen.

Pfarrer Themann erfuhr davon, noch bevor das Kaufangebot auf Kleinanzeigen erschien. „Im Frühjahr 2023 hatten wir die Kapelle angeboten bekommen zur Übernahme und Betreuung/Pflege.“ Er habe aber absagen müssen. „Auch wir müssen sparen“, sagt der Pfarrer der Kirchengemeinde, die bereits schmerzhafte Einschnitte erlebt hat durch den Abriss der zu groß gewordenen Kirche St. Josef. im Jahr 2017.

„Interessenten haben sich schon gemeldet“

Doch, es hätten sich bei ihm schon Interessenten gemeldet, beteuert der Eigentümer der Kapelle. Näher will er sich zu seinem ungewöhnlichen Immo-Angebot aber nicht am Telefon äußern. Stattdessen hat er ein Schreiben angekündigt, dass aber noch nicht vorliegt.

Eine Jesus-Figur aus Gips steht in der Kapelle Auf der Geist in Selm.
Die Figur im Innern der Kapelle in Selm ist laut Heimatverein aus Gips. Sie stellt Jesus dar, der mit seiner linken Hand auf sein großes Herz zeigt. Die sogenannte Herz-Jesu-Verehrung erlebte in Deutschland während des Kulturkampfes, dem Streit zwischen dem Papst und dem deutschen Reichskanzler Bismarck in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, eine weite Verbreitung. © Sylvia vom Hofe