Bergbau: Schotterbrache in Werne-Langern wurde Schutzgebiet „Wahnsinn, was hier alles lebt“

Bergbau: Schotterbrache in Werne-Langern wurde Schutzgebiet: „Wahnsinn, was hier alles lebt“
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Noch flattert es nur hellgelb: ein Tanzen und Wirbeln über dem Graubraun der weiten Ebene. Der Zitronenfalter hat wieder einmal den Anfang gemacht im Frühjahr. Schon Anfang März hat er sich als erster Schmetterling hervorgewagt, nachdem er den Winter fast ungeschützt unter Blättern oder Steinen verbracht hatte. Dass er das trotz Eis und Schnee überlebt hat, verdankt er dem Glyzerin in seinem kleinen Körper: selbst produzierter Frostschutz, Der fehlt dem Hauhechel-Bläuling, der jetzt noch irgendwo unter dem Schotter auf der 2,75 Hektar großen Brache als Raupe vor sich hin döst. Er wird erst frühestens Ende April seine tiefblauen Flügelchen ausbreiten und einen Lebensraum erblicken, der selten geworden ist in Deutschland.

Die vermeintlich öde Industriefläche am Romberg in Werne-Langern ist ein wertvolles Biotop für vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen geworden. Dabei hatte sich die Politik vor rund zehn Jahren sehr schwer getan mit der Unter-Schutz-Stellung des Grundstücks, auf dem Schacht 7 der Zeche Haus Aden stand. Er diente der umstrittenen Förderung von Kohlen aus dem Nordfeld und damit auch mehr als 1300 Meter unter Cappenberg. Im Zuge der Nordwanderung hatte der Bergbau in den 1980er-Jahren das eigentliche Ruhrgebiet hinter sich gelassen und begonnen, auf einer Breite von 100 Kilometern zwischen Hamm und dem Niederrhein 25 Kilometer tief ins südliche Münsterland vorzustoßen - zumindest für kurze Zeit,.

Neben der neuen Schachtanlage waren damals in Langern auch Kauen- und Betriebsgebäude, eine Schachthalle, ein Schalthaus, Gasabsaugung und die Heizzentrale entstanden. 1988 erfolgte die Inbetriebnahme als Seilfahrtschacht. 1998 war schon wieder Schicht im Schacht. Der Abriss begann und mit ihm die Frage, wie die Fläche zu nutzen sei.

Bergbau unter Cappenberg

Ursprünglich hatte die Stadt die Idee verfolgt, auf dem ehemals als Parkplatz genutzten Fläche einen Angelteich anzulegen. Das ehemalige Gebäude der 110 KV- Anlage sollte erhalten werden als Lagerraum für die Angler. Es kam anders. Heute ist nur noch das Schachtrohr zu sehen - mitten auf dem weitläufigen, von Ausläufern des Cappenberger Waldes eingeschlossenen Schotterplatz. Schotter? Dass es sich dabei nicht um vergessene Spuren der Industrialisierung handelt, sondern um einen schützenwerten Lebensraum, den es heutzutage so gut wie gar nicht mehr gibt, mussten die Verantwortlichen erst lernen. Einer, der es ihnen beibrachte, ist Klaus Nowack.

Der Hauhechel-Bläuling - hier ein Männchen - fühlt sich auf dem Schachtgelände in Werne-Langern wohl.
Der Hauhechel-Bläuling - hier ein Männchen - fühlt sich auf dem Schachtgelände in Werne-Langern wohl. © Klaus Nowack

„Hier leben Arten, die sonst kaum noch anzutreffen sind“, sagt der passionierte Naturschützer: etwa Ödland-und Sandschrecken, wilder Thymian und seltene Flechten, Spinnen, Sandbienen und Käfer - und Vögel, die sich gerne davon ernähren. Zusammen mit anderen hatte Nowack 2014 erfolgreich für ein Umdenken in Werne gekämpft. Denn ursprünglich wollte die Mehrheit, dass auf der knapp drei Hektar großen Bergbaufläche Wald entstehen sollte: am besten auf einer dicken Schicht Mutterboden, zumindest aber im Zuge der „natürlichen Sukzession“, also der selbstständigen Besiedlung des Standortes mit Pflanzen und Tieren, nach und nach. „Am Ende hätten dort in jedem Fall Bäume und Sträucher gestanden“, sagt Nowack: das Aus für die Arten, die nicht so populär sind wie Buche und Eiche, Fuchs und Hase.

2014 waren die jungen Birken schon mehr als Mann-hoch gewachsen. Höchste Zeit, zu handeln, wie Klaus Nowack, Dr. Götz Loos und andere meinten. Sie appellierten zusammen mit der Stadtverwaltung und dem Umweltamt des Kreises Unna dafür, die nährstoffarme Brache dauerhaft offen zu halten, zweimal jährlich einen Teil des Aufwuchses zu entfernen. Dadurch entstehen auf der einen Seite zwar dauerhaft Kosten in Höhe von 3600 Euro, wie es damals hieß, Gleichzeitig könnten aber Biotopwertpunkte auf dem Ökokonto der Stadt im Wert von 150.000 Euro verbuchen werden können. Zumindest eine knappe Mehrheit im Umweltausschuss überzeugte das im September 2014. Das war drei Jahre vor Bekanntwerden der sogenannten Krefelder Studie, Sie rüttelte 2017 mit der Erkenntnis auf, dass die Masse der Insekten binnen 30 Jahren um 75 Prozent geschrumpft ist - auch in Folge des Wegfalls wichtiger Lebensräume.

„Sonderfläche mit Aha-Effekt“

Christian Neugebauer, der seit rund einem Jahr das Grünflächenamt bei der Stadt Werne leitet, war damals bei der Rettung der Brache noch nicht dabei. Er kennt nur das Ergebnis der damaligen Beratungen. „Das war ein echter Aha-Effekt“, sagt er: „eine Sonderfläche“. Inmitten einer üppigen Vegetation sei die Magerfläche ein wichtiger Rückzugsort für Tiere und Pflanzen, die genau diese Lebensbedingungen brauchten. Die Pflegemaßnahmen seine wichtig. Denn sonst würden sich nicht nur Brombeere und Birke breit machen, sondern vor allem auch die eingewanderte goldgelbe Goldrute, die im Spätsommer blüht.

Jetzt im Frühjahr sorgt allein der Zitronenfalter für leuchtende Farbtupfer auf der Brache. Zumindest das Männchen. Denn genauso wie die Hauhechel-Bläulinge, die zu dieser Zeit noch grüne, hungrige Raupen sind, unterscheiden sich auch die Zitronenfalter je nach Geschlecht: Während Herr Schmetterling zu Recht den Namen seiner Art trägt, kommt Frau Zitronenfalter schlicht weißgrün daher. Später wird Herr Bläuling den Blaumann mit weißem Saum tragen, während seine Frau variabel gefärbt ist: in der Regel braun mit einem Band oranger Flecken am Flügelrand.

Klaus Nowack hat nicht nur die leuchtenden Schmetterlinge fotografiert, sondern auch die Insekten, die selbst geübten Naturbeobachtern nur mit Mühe auffallen: die Blauflügelige Ödlandschrecke etwa. Sein Makroobjektiv hat der Werner aber auch schon auf den laut Bundesartenschutzverordnung ebenfalls besonders geschützten Feld-Sandlaufkäfer gerichtet. Den grünbraun-gefärbten Jäger mit den kräftigen Kauwerkzeugen auf dem hellen Schotter zu entdecken, ist schon schwierig genug. Ihn abzulichten, umso mehr. Denn das Tierchen ist wendig und schnell und fliegt auf, wenn es sich verfolgt fühlt. Erst ab April lohnt es sich, nach ihm Ausschau zu halten. Denn noch ist es dem nach mehr als einjähriger Larvenzeit im Herbst geschlüpften Käfer zu kalt.

Der Kuckuck unter den Insekten

Die männlichen Sandbienen sind dagegen bereits auf dem Sprung. Ende März werden sie schlüpfen - einige Tage vor den Weibchen. Sie werden kann wieder in Gruppen knapp über dem Boden fliegen, um nicht den passenden Moment zu verpassen, in dem sich die Partnerin aus der Erde hervor arbeitet. Klaus Nowack hat im richtigen Moment auf den Auslöser gedrückt. Er hat nicht nur die Wildbiene auf der Schacht-Brache porträtiert, sondern auch unfreiwillige Ziehkinder. bunt schimmernde Goldwespen, eine Art Kuckuckskinder unter den Insekten. Die Goldwespen-Mutter legt ihre Eier in fremde Nester - zum Beispiel in die der Wildbienen. Kaum geschlüpft, tötet die Larve der Goldwespe die Larven der Wildbiene, die eigentlich in dem Nest groß werden sollte. Gewissenlos bedient sie sich auch an dem von Mutter Biene angelegten Pollen- und Nektarvorräten. Dass das Bundesnaturschutzgesetz es verbietet, die Brutstätten der Gemeinen Sandbiene zu beschädigen und einzelne Tiere zu töten, hat sich unter den Goldwespen noch nicht herumgesprochen.

Dass es verboten ist Hunde ohne Leine auf der Schacht-Schotterfläche laufen zu lassen, allerdings auch nicht, wie Klaus Nowack sagt. Zwar weist eine Hinweistafel der Stadt Werne ausdrücklich darauf hin, dennoch ignorierten Spaziergängerinnen und Spaziergänger, die etwa auf dem Rundwanderweg W8 unterwegs sind, das oft. Weil angeblich kaum Wildtiere auf der Fläche zu sehen sind, die der Vierbeiner stören könnte. „Dabei ist hier alles voller wildem Leben“ - man muss es nur sehen wollen.