Livemusik

Beatles haben ihn gerettet: Musiker Rainer Migenda (55) erzählt seine bewegende Geschichte

Als Kind ist er George Harrison, später Paul McCartney. Dann macht der Dorstener Rainer Migenda Karriere ohne Musik - bis er abstürzt. Die Beatles retten ihn: ein Glück für die Region.

Selm/Dorsten/Ascheberg

, 21.08.2018 / Lesedauer: 5 min

Rainer Migenda tritt bei verschiedenen Veranstaltungen in der Region auf. Am Montag, 25. November beim Selmer Glitzerwald. Wir veröffentlichen diesen Text aus unserem Archiv, der zur Feier von Cappenberg live“ im August 2018 entstanden ist, erneut:

Der Mann mit Hut verneigt sich. Dieses Mal spielt er auf dem Platz vor der Cappenberger Feuerwehr. Beim Selmer Stadtfest trat er auf der Kreisstraße auf, Anfang August bei „Ascheberg trifft sich“. Davor beim Feierabendbier in Bork. Und im Dezember im Selmer Glitzerwald. Wer in Selm und Umgebung lebt und Musik mag, kennt den 55-Jährigen mit der samtenen Stimme und dem unerschöpflichen Repertoire. Von seiner bewegenden Lebensgeschichte ahnen die meisten aber nichts.

Rainer Migenda, der seinen Nachnamen immer klein schreibt – „mein Markenzeichen, genauso wie der Hut“ – ist da zuhause, wo er auftritt. Meistens parkt sein Campingbus nur wenige Schritte von der Bühne entfernt, dieses Mal hinter dem Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr Cappenberg. „Geboren bin ich in Gladbeck“, erzählt er gegen 22.30 Uhr, als die Feierabend-Veranstaltung „Cappenberg live“ beendet ist. Gemeldet ist er in Dorsten. Wer ihn dort sucht, hat aber meistens Pech. Migenda ist da, wo sie ihn buchen: „Oft hier zwischen Ruhrgebiet und Münsterland“ – ein Künstlerleben. Dabei hat Migenda etwas ganz Bodenständiges gelernt.

Mit vier Jahren fängt alles an

Wie er zur Musik kam? Unter dem sternenklaren Nachthimmel erzählt Migenda seine Geschichte, die Stoff für eine ganze Liedersammlung bieten würde: diese Art Songs mit schmeichelnden Melodien, die den tragischen, selbstironischen Text vergessen machen; Ohrwürmer, die nachklingen, obwohl der letzte Akkord längst verklungen ist. Während die Organisatoren des Cappenberger Fests aufräumen, sitzt Migenda auf der Bierbank, seine Gitarre neben sich, und spricht: nicht über ein Leben für die Musik, sondern durch die Musik. Den Beatles kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Dieser Inhalt kann hier nicht dargestellt werden. Bitte besuchen Sie unsere Website um den vollständigen Artikel zu lesen.

„Ich war vier Jahre alt und wir wohnten in einem Mehrfamilienhaus.“ Ein Stockwerk höher: der Schulfreund seines großen Bruders. „Den habe ich fast jeden Tag besucht.“ Wegen des Plattenspielers und den schwarzen Scheiben, die sich darauf drehten: die Alben der Beatles. Vielleicht war auch das 1967 gerade erschienene Konzeptalbum „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ dabei mit „With a Little Help from My Friends“ und „Lucy in the Sky with Diamonds“. Migenda weiß das nicht. „Ich konnte ja noch gar kein Englisch.“ Das hinderte ihn und seinen älteren Kumpel aber nicht daran, in die Rollen der großen Vorbilder aus England zu schlüpfen und Konzerte nachzuspielen. „Ich wurde George Harrison, der stille Beatle.“ Da fiel die fehlende Textkenntnis nicht weiter auf.

Der Umzug bedeutet die Trennung von den Beatles

Mini-Migendas Mini-Beatlesmania hält nicht lange an. „Wir sind bald umgezogen.“ Weit und breit niemand mehr, der einen Vorschul-Harrison sucht. Die Beatles lösen sich 1970 auf, und der Grundschüler bekommt nichts davon mit. Das ändert sich, als er aufs Gymnasium wechselt. „Der Vater eines Freundes hörte die Beatles“ - ein Wiederhören, das ihn bis ins Mark trifft, wie er sagt, und bei dem ihm klar ist: „Diese Musik will ich nie wieder verlieren.“ Der Zwölfjährige beginnt sein Kinderzimmer mit Postern von John, Paul, Ringo und George zu bekleben, die bei seinen Freunden überhaupt nicht angesagt sind – egal. Paul McCartney ist sein Idol: wegen der tollen Stimme und den Songs, die er – dafür reichen die ersten Englischkenntnisse – längst auswendig kann: ob „Let it be“ oder „Hey Jude“. So viel Begeisterung bleibt nicht spurenlos. Zwei Freunde bekehrt der Zwölfjährige zu seiner Musik. Einer von ihnen hat eine bahnbrechende Idee.

Statt der Gitarre gibt es eine Mundharmonika

„Wir könnten uns doch von unseren Eltern zu Weihnachten jeweils eine Gitarre wünschen“, schlägt der Kumpel vor. Dann wären sie schon mal zwei Gitarristen: die Basis für eine eigene Band. Migendas Vater, ein selbstständiger Drogerist, bremst die Aufbruchsstimmung. Zu Weihnachten gibt es eine Mundharmonika. „Wenn du damit lernst, vernünftig zu spielen, gibt es zum Geburtstag dann die Gitarre.“ Der pädagogische Kniff zeigt Erfolg. Migenda greift noch heute bei seinen Auftritten gelegentlich zur Mundharmonika. Und die Freude über die Gitarre zum 13. Geburtstag ist riesig. Erst einmal. Dann kommt die Erkenntnis, dass das Spiele gar nicht so einfach ist. Sein Freund hat schon wieder die Lust verloren, als ihnen ein Jugendgruppenleiter aus der Kirchengemeinde die wichtigsten Griffe beibringt.

Schon als Teenager stand Rainer Migenda auf der Bühne. © Rainer Migenda

Gerade schießen mal wieder Gerüchte ins Kraut, dass sich die Beatles doch wieder vereinigen könnten, als Migenda seine erste eigene Band gründet: Jessica. Die Teenager – neben dem Sänger und Gitarristen Migenda noch ein Schlagzeuger und ein Junge am Keyboard – spielen in der Pfarrgemeinde und in der Schule, auf Partys und Geburtstagsfeiern. Jessica macht sich einen Namen. John Lennon wird erschossen.

Dieser Inhalt kann hier nicht dargestellt werden. Bitte besuchen Sie unsere Website um den vollständigen Artikel zu lesen.

Kurz vorm Abitur dann das verlockende Angebot: „Jemand bietet uns 600 Mark an, wenn wir jeden Abend in der Grugahalle spielen würden.“ Der „Ball der einsamen Herzen“ boome da gerade. Migenda zögert, „doch die anderen beiden haben mir das ausgeredet“. Ob das Angebot wirklich ernst gemeint war? Er wird es nie erfahren. Rainer Migenda macht stattdessen das Abitur und will Biologie studieren. „Musik kam nie in Frage. Ich wusste, dass ich dafür nicht gut genug war. Und außerdem kann ich bis heute keine Noten.“

„Mit Anfang 20 hatte ich eigentlich schon alles erreicht“

Aus Biologie wird auch nichts. Denn Migenda bleibt beim Gartenbau hängen – mit großem Erfolg. Eigentlich wollte er nur etwas jobben, dann macht er eine Ausbildung, kurz danach besucht er die Meisterschule und macht sich wenig später selbstständig. „Mit Anfang 20 hatte ich meinen eigenen Galabau-Betrieb, war verheiratet und auch schon junger Vater“, erzählt er, als der Bierwagen vom Platz rollt. Zehn Jahre später leitet er einen 15-köpfigen Betrieb und wohnt im eigenen Haus. Ein Leben auf der Überholspur. „Und dann habe ich mich selbst überholt.“

Dann ging alles den Bach herunter

Rainer Migenda wird etwas einsilbiger. „Alles ist in einem Rutsch den Bach herunter gegangen.“ Scheidung, Insolvenz, Absturz. Er lässt keinen Zweifel daran, wer für all das verantwortlich ist: „Ich selbst.“ Er sei zwar immer ein sehr guter Gärtner, aber nur ein mäßiger Kaufmann gewesen. Entscheidend waren aber nicht die Geschäftszahlen, sondern sein Privatleben. Von einer außerehelichen Beziehung, die ihm nicht gut tat, ist die Rede. Von dem Versuch, eine neue Existenz aufzubauen: eine eigene Kneipe, deren bester Kunde er selbst wird. Von einer 30-Quadratmeter-Wohnung ohne Strom. Der Tiefpunkt.

So kennen Selmer und Ascheberger Musikfans Rainer Migenda. © Sylvia vom Hofe

Um ein paar Schulden abzuzahlen, jobbt er für einen Freund in dessen Gartenbauunternehmen in Magdeburg. Dabei: seine über die Jahre fast in Vergessenheit geratene Gitarre, die letzte Gefährtin, die ihm aus dem alten Leben geblieben ist. Nach Feierabend spielt er für die Kollegen. „Mein Freund hört das auch und ist begeistert.“ Er weiß, dass die Stadt Gladbeck jemanden sucht, der einmal pro Woche Musik macht in der Galerie. Er knüpft den Kontakt. „With a little help from my friends ...“

Dieser Inhalt kann hier nicht dargestellt werden. Bitte besuchen Sie unsere Website um den vollständigen Artikel zu lesen.

Von da an sei es wieder bergauf gegangen, sagt Migenda, als auf dem Platz der Feuerwehr das letzte Licht gelöscht wird. Die Helfer wollen nach Hause. Migenda steht auf, hängt die Gitarre um und bringt die letzte Bierbank auf den großen Stapel. Ob Neil Young, Bob Dylon und Ed Sheeron oder auch Reinhard Mey, Stephan Sulke und Hannes Wader – er spielt, was ihm gefällt. Zunehmend auch eigene Songs. Wenn er mal einen Durchhänger hat und sich motivieren muss, weiß er sofort, was hilft: weder Alkohol noch andere Eskapaden, sondern die Beatles. „Die Musik hat mich gerettet.“

Vielen Dank für Ihr Interesse an einem Artikel unseres Premium-Angebots. Bitte registrieren Sie sich kurz kostenfrei, um ihn vollständig lesen zu können.

Jetzt kostenfrei registrieren

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung durch Klick auf den Link in der E-Mail, um weiterlesen zu können.
Prüfen Sie ggf. auch Ihren Spam-Ordner.

E-Mail erneut senden

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Sie sind bereits RN+ Abonnent?
Jetzt einloggen