Der Skandal um ein zehn Jahre lang ungeöffnetes Mail-Postfach im Jugendamt der Stadt Selm erfordert einige Aufarbeitungen. Ungefähr 80 Nachrichten waren in dem Eingang gelandet, den auch die Polizei hauptsächlich im Zeitraum zwischen 2021 und 2023 für Mitteilungen an das Jugendamt nutzte. Der Inhalt von rund drei Vierteln der Mails erreichte die Mitarbeiter des Jugendamts auf anderen Kommunikationswegen, rund 20 Meldungen erreichten die Organisation aber bis zur Entdeckung des Postfachs in diesem Jahr überhaupt nicht.
Auf erneute Anfrage dieser Redaktion zu den 20 versandeten Mailnachrichten antwortet Stadtsprecher Malte Woesmann: „Es handelt sich ausschließlich um Meldungen der Polizei.“ Konkretere Inhalte zu den Hintergründen gibt die Stadt dazu aber weiterhin nicht bekannt. Bereits Mitte März erklärte die Verwaltung zu den Untersuchungen: „Die Vorgänge sind inzwischen, das heißt in den vergangenen Wochen, allesamt fachlich bekannt und geprüft worden. Dies gilt insbesondere für die etwa 20 zuvor nicht bekannten Sachverhalte.“
Aufklärung schreitet voran
Notwendige Beratungsangebote und Hilfen seien den Eltern in Fällen, bei denen es aus Sicht des Jugendamts angebracht war, angeboten worden, allerdings aufgrund der unbekannten Mails natürlich erst zeitversetzt. Kinder seien aber glücklicherweise trotz des Versäumnisses nicht zu Schaden gekommen, betonte die Stadt mehrfach. Das habe die nachträgliche Prüfung der bislang unbekannten Fälle gezeigt.
Auf die Frage, ob nun mehr Klarheit über die Hintergründe des Versäumnisses besteht, antwortet Malte Woesmann: „Ja, dies ist klarer geworden, auch wenn der Sachverhalt aufgrund des großen zeitlichen Abstandes nicht vollumfänglich geklärt werden kann.“ Auf die Rückfrage, welche Klarheit erlangt wurde und ob es in deren Folge auch personelle Konsequenzen für die Verantwortlichen gibt, antwortet der Sprecher: „Die Prüfung von Konsequenzen dauert an. Selbstverständlich haben seit Einrichtung des Postfaches vor ungefähr zehn Jahren auch personelle Wechsel beim Jugendamt stattgefunden.“ Ob die Mitarbeiter, die damals für die Einrichtung des Maileingangs verantwortlich waren, noch für die Stadt arbeiten, bleibt also vorerst offen.

Weiterleitung aktiviert
Wie geht es nun im Jugendamt im Anschluss an den Skandal weiter? Hierzu erklärt der Sprecher der Stadt Selm: „Seitens der Stadtverwaltung sind nach Bekanntwerden sofort Maßnahmen eingeleitet worden, welche zukünftig verhindern, dass es im Bereich des Kinderschutzes zu einem erneuten Problem im Bereich der E-Mailkommunikation kommen kann. Eine entsprechende E-Mail-Adresse wurde eingerichtet und eine automatische Weiterleitung an alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) und der zuständigen Leitungskräfte aktiviert.“ So sollen künftig alle zu diesem Kreis zählenden Mitarbeiter die Mails erhalten, eine Konsequenz aus der Existenz des jahrelang unbekannten Posteingangs. Dies war bei der entsprechenden mysteriösen Adresse eben nicht der Fall.
Warum die im Jugendamt unbekannte Mailadresse hauptsächlich von 2021 bis 2023 für die Kommunikation mit der Polizei genutzt wurde, bleibt auch weiter eher ungewiss. Bernd Pentrop, Sprecher der Kreispolizei Unna, teilte auf Anfrage mit, dass die entsprechende Adresse ihm bislang nicht bekannt sei. Auch Malte Woesmann hat keine genaue Erklärung dafür. Er meint: „Eine Vermutung könnte sein, dass dies aufgrund der veränderten Erreichbarkeiten aufgrund von Personalwechseln und der Corona-Pandemie erfolgte.“ Eine Aufklärung der genauen Umstände ist aber offenbar kompliziert.