
© Archiv/Udo Hennes
AfD im Kreis Unna: Eine Partei zerlegt sich selbst
Kommunalwahl 2020
Die AfD im Kreis Unna hat ihre Galionsfigur verloren. Doch mit Michael Schild fehlt ihr kurz vor der Kommunalwahl weit mehr als nur das bekannteste Gesicht. Eine Analyse.
Was ein Alexander Gauland, eine Alice Weidel oder ein Björn Höcke für die AfD in Deutschland sind, das war Michael Schild für die AfD im Kreis Unna: das bekannteste Gesicht und Aushängeschild seiner Partei.
Über viele Jahre war der 58-jährige Politologe aus Fröndenberg quasi der Motor des Kreisverbandes. Ein Motor, der einige Aufsehen erregende Veranstaltungen organisierte, etwa eine Demonstration mit Rechtsextremisten in Unna (2016) und einen Diskussionsabend mit Vertreterinnen der AfD-Landtagsfraktion auf Haus Opherdicke (2019). Und ein Motor, der vor allem digital auf vollen Touren lief. Die von Schild administrierte Facebook-Seite des AfD-Kreisverbandes Unna zählt aktuell über 5800 Abonnenten.
Seit dem 26. Juni ist auf dieser Seite, auf der jahrelang mit meist mehreren Beiträgen pro Tag vor allem Stimmung gegen den politischen Gegner, Migranten und Muslime sowie die „Systempresse“ gemacht wurde, kein Post mehr erschienen. Mit dem überraschenden Rücktritt Michael Schilds vom Amt des Kreissprechers am Montag vor einer Woche ist die Parteiarbeit im Internet zum Erliegen gekommen.
Es ist eines von vielen Problemen, das die Rechtspopulisten aus ihrer Sicht zur Unzeit trifft. In gut zwei Monaten ist Kommunalwahl. Seit Langem war es das erklärte Ziel der AfD, am 13. September 2020 auch im Kreis Unna in zahlreiche Kommunalparlamente einzuziehen, vor allem der verhassten SPD in ihren Hochburgen etliche Mandate abzujagen.
Nachdem die Partei in den vergangenen Jahren bei Landtags-, Bundestags- und Europawahl in einigen Städten wie Bergkamen und Lünen immerhin zweistellige Zustimmungswerte erreicht hatte, waren Pläne und Zuversicht groß. In der ehemaligen Bergbau-Hauptstadt Bergkamen war sogar eine Kandidatur für das Bürgermeisteramt geplant. Michael Schild selbst wollte antreten, doch auch das hat sich nun zerschlagen.
Michael Schild fällt bei Aufstellungsversammlung zum Kreistag durch
Ausschlaggebend für den doppelten Rückzug Schilds war der Verlauf der Aufstellungsversammlung für den Kreistag am Montag, 29. Juni. Der Kreissprecher, der bei der Wahl zum Kreistag für die AfD auf Listenplatz 2 hatte kandidieren wollen, fiel bei der Versammlungsmehrheit durch. Michael Schild schaffte im Zuge einer Blockwahl unter elf Kandidaten nicht den Sprung unter die ersten Sechs und zog die Konsequenz: Rücktritt als Kreissprecher, Rückzug als Bürgermeisterkandidat. Mit ihm trat auch Schriftführer Gerd Sauer zurück.
„Ich habe mich nicht in den Vordergrund gedrängt, wollte auf Platz 2 für den Kreistag kandidieren“, sagte Schild gegenüber unserer Redaktion. Es sei ihm nur darum gegangen, der Partei zu dienen. Doch das Ergebnis sei eindeutig gewesen. Er wolle sich nun nicht weiter aufdrängen und wünsche seinen Kollegen alles Gute.

Der Vorstand des AfD-Kreisverbandes Unna im Jahr 2016 (v.l.): Holger W. Sitter (stellvertretender Sprecher), Michael Schild (Sprecher), Ulrich Lehmann (stellvertretender Sprecher) und Stephan Gorski (Schatzmeister). Am 29. Juni 2020 ist Michael Schild als Kreissprecher zurückgetreten. Zugleich verkündete er seinen Rückzug als möglicher Bürgermeisterkandidat der AfD in Bergkamen. © Archiv/Kevin Kohues
Für weitere Auskünfte verwies Schild an seine bisherigen Stellvertreter im Vorstand des Kreisverbandes, Holger Sitter und Ulrich Lehmann. Während Sitter die Anfrage unserer Redaktion unbeantwortet ließ, gab Ulrich Lehmann telefonisch Auskunft. Bezogen auf die Vorgänge um Schild hielt er sich jedoch mit Bewertungen zurück.
Er räumte zwar ein, dass die Reihenfolge der Listenkandidaten im Vorstand anders besprochen gewesen sei, aber die Versammlung sei eben autonom.
Der Rückzug Schilds „war für uns alle ein Paukenschlag“, so Lehmann. Doch die Begründung könne er nachvollziehen. Ein schlechtes Wort in irgendeine Richtung verliert auch er nicht.
Richtungsstreit in der AfD macht vor dem Kreis Unna nicht Halt
So respektabel die Kommentare Schilds und Lehmanns auch anmuten, treten die Hintergründe doch an anderer Stelle offen zutage. Der bundesweite Richtungsstreit innerhalb der AfD macht vor dem Kreis Unna nicht Halt. Da war und ist mit Schilds langjährigem Stellvertreter Hans-Otto Dinse aus Schwerte jemand, der auf seiner Facebook-Seite Arm in Arm mit Andreas Kalbitz posiert.
Kalbitz ist neben Björn Höcke einer der umstrittensten AfD-Politiker überhaupt, der Verfassungsschutz bezeichnet ihn als „erwiesenen Rechtsextremisten“. 2016 nahm er als Redner an der AfD-Demo in Unna teil und unterhielt sich angeregt mit dem Unnaer Kreisvorsitzenden der rechtsextremen NPD, Hans-Jochen Voß.

Angeregtes Gespräch unter Rechtsextremisten am Rande der AfD-Kundgebung in Unna 2016: der AfD-Politiker Andreas Kalbitz und der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Unna, Hans-Jochen Voß. © Archiv/Dominik Pieper
Weil Kalbitz unter anderem Mitglied der inzwischen verbotenen neonazistischen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) war und dies bei seinem Parteieintritt verschwiegen haben soll, schwelt seit Mai ein juristischer Streit um seine Mitgliedschaft in der AfD.
Teile des Bundesvorstands um den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen wollen Kalbitz aus der Partei werfen, weil er dem Ansehen der AfD schade. Mit einem etwas gemäßigteren, weniger extremen Kurs schielen Meuthen und Mitstreiter wie Beatrix von Storch auf ein größeres Wählerpotenzial in der bürgerlichen Mitte.

Screenshot eines Youtube-Videos, das Michael Schild (l.) während der AfD-Demo in Unna am 22. April 2016 auf der Bühne mit Andreas Kalbitz zeigt. Das Motto der Demo und von Kalbitz' Rede lautete: "Merkel muss weg". © Youtube/Screenshot: Kohues
Auch Michael Schild, der 2016 in Unna noch zusammen mit Kalbitz auf der Bühne stand, ist inzwischen diesem Lager zuzuordnen, teilte im Namen des AfD-Kreisverbandes viele Beiträge Meuthens auf Facebook.
Hans-Otto Dinse und seine Frau Brigitte Dinse hängen indes weiterhin dem völkischen, rechtsradikalen Flügel um Höcke und Kalbitz an. Nach der Nicht-Wahl Schilds und dessen Rücktritt schrieb Brigitte Dinse auf Facebook: „der TOTALE Untergang eines Drehtür -Kreissprechers! Man sieht sich immer 2x im Leben!“
Sie selbst wurde auf Platz 3 der Kreistagsliste gewählt, hinter Peter Knepper und Ulrich Lehmann. Auch die Kommentare ihres Mannes Hans-Otto Dinse, der von einem „persönlichen Wahldesaster“ Schilds schreibt, lassen keinen Zweifel an einem Zerwürfnis innerhalb des Kreisverbandes.
Dieser steht nun, gut zwei Monate vor der Kommunalwahl, vor der Herausforderung, noch genügend Kandidaten zu mobilisieren, um im September zumindest einige wenige politische Ziele erreichen zu können.
AfD-Kandidaturen für Bürgermeisteramt und Stadträte ungewiss
Mit der Bürgermeisterkandidatur in Bergkamen werde es schwierig, räumte Ulrich Lehmann gegenüber unserer Redaktion ein, die Wahrscheinlichkeit eines eigenen Kandidaten sei aktuell „nicht so hoch“.
Lehmann führt selbst den Stadtverband in Kamen an. In der Sesekestadt will die AfD in den Stadtrat einziehen, hat aber noch keine Aufstellungsversammlung durchgeführt. Das gilt auch für alle anderen Kommunen im Kreis Unna, wobei der Stadtrat neben Kamen inzwischen nur noch in Lünen und Schwerte erklärtes Ziel ist. „Wir würden gerne in weiteren Städten kandidieren, haben aber nicht die Leute, die sagen würden, ,ich mach das‘“, so Lehmann. Dass die AfD in Unna, Fröndenberg, Holzwickede, Bergkamen, Werne, Selm und Bönen auf dem Wahlzettel auftaucht, ist damit so gut wie ausgeschlossen.