Es heißt zwar, über den Wolken muss die Freiheit grenzenlos sein, aber knapp unterhalb fühlt es sich auch schon danach an: Das kann ich nach meinem ersten Segelflug sagen.
Eigentlich wollte ich am Segelflugverein LSV Ruhr-Lenne am Flugplatz Rheinermark zwischen Schwerte und Iserlohn den von Alexander Konschak und Lars Rothholz gebauten Flugsimulator anschauen - letztlich saß ich auch im echten Flieger, ganz spontan. Das Angebot von Fluglehrer Benjamin Krug kam mehr als überraschend.

„Warum eigentlich nicht?“
Ich weiß zunächst gar nicht, was ich sagen soll. Aber wann ergibt sich schon solch eine Gelegenheit ein zweites Mal? Also sage ich mir: „Warum eigentlich nicht?“ Zehn Minuten später bringt mir Benjamin im Schnelldurchlauf die wichtigsten Dinge bei, die ich vor dem Start wissen muss.
„Heute ist wirklich extrem gutes Wetter“, lautet Benjamins professionelle Einschätzung. Seit 2018 ist er Fluglehrer, seinen Segelflugschein hat er neun Jahre zuvor gemacht. „Ich war 15, als ich den gemacht habe. Und das ist auch immer ein absoluter Bestandteil meines Lebens gewesen.“
Benjamin geht in der Rolle des Fluglehrers richtig auf. Während er mir die ersten Grundlagen des Segelfliegens erklärt, merke ich selbst schon, wie seine Begeisterung für das Fliegen auf mich abfärbt. Die Vorfreude steigt.

Segelfliegen: ein Crashkurs
Von außen wirken Segelflieger immer wie die Ruhe selbst, wenn in über hundert Meter Höhe durch die Luft gleiten. Aber der Crashkurs mit Benjamin macht deutlich, wie viel es für den Piloten im Segelflieger zu beachten gilt: „Das wichtigste ist der Fallschirm“, erklärt er. „Es ist zwar noch nie vorgekommen, dass wir den wirklich gebraucht haben, aber in einem Notfall wird es ohne Fallschirm nicht gut ausgehen.“
Der Fallschirmrucksack in fest mit einer roten Reißleine am Sitz des Fliegers befestigt. Bis zu drei Meter kann man sich theoretisch davon entfernen, dann wird die Leine gezogen und der Fallschirm faltet sich aus. Es hat etwas gedauert, den Fallschirm anzuziehen und sich richtig in den Segelflieger zu setzen.

Danach setzen wir uns in den Segelflieger. Unser Modell war erst ein paar Minuten zuvor in der Luft, ich konnte beobachten, wie sanft er wieder auf dem Boden landete. Benjamin erklärt noch kurz die verschiedenen Anzeigen auf dem Armaturenbrett, das unter anderem einen Kompass, einen Höhen- und einen Geschwindigkeitsmesser umfasst. Ziemlich viel für den ersten Spontanflug, aber ich muss mich ja nicht darum kümmern. Das macht Benjamin für mich, der den Sitz hinter mir einnimmt.
Übrigens: Auch wenn Benjamin Krug auf dem hinteren Pilotensitz sitzt, behält er durchgehend die Kontrolle über den Flieger. Um ein Gefühl für die Steuerung zu bekommen, sind die Steuerelemente mit dem Vorder- und Rücksitz verbunden. Heißt: Wenn Benjamin den Steuerknüppel und die Lenkpedale an seinem Sitz bewegt, merke ich die Bewegung an meiner Steuerung.

Wie einen Drachen ziehen
„Rheinermark Radio. Delta 3930, wie ist die Verständigung?“, lautet der Funkspruch, den Benjamin an die Bodentruppe sendet. Der Funkcheck soll bestätigen, dass ein guter Austausch zwischen Flieger und Bodentruppe möglich ist. „3930, Fünf“, kommt schnell als Antwort zurück. Benjamin erklärt mir, dass „5“ die bestmögliche Funkstufe ist. „Hier auch Fünf, danke.“ Dann beginnen auch schon die letzten Vorbereitungen. Langsam werde ich doch etwas aufgeregt.
Der Segelflieger wird an einer Winde befestigt, die aufgerollt wird und den Flieger in die Luft zieht. „Das ist ein ‚Windenstart‘“, sagt Benjamin. „Am anderen Ende der Startbahn steht unser Lkw, die sogenannte ‚Winde‘. Der hat einen Motor, der das Seil aufrollt und uns wie bei einem Drachenstart in die Luft zieht.“
Damit der Flieger gut starten kann, müssen Helfer das Flugzeug in gerader Lage halten und mit einem Armzeichen das Signal zum Aufrollen geben. „Bei gutem Wetter kriegen wir wahrscheinlich etwa 200 bis 300 Meter über dem Grund hin.“
200 Meter Höhe
Dann geht es auch schon los. Der Arm senkt sich, das Seil wird stramm. Mit hoher Geschwindigkeit zieht die Winde den Flieger, der in die Luft steigt. Und mit hoher Geschwindigkeit meine ich: sehr schnell!
Stellen Sie sich vor, ein Kind rennt mit einem Drachen eine Wiese entlang. Sie selbst sind nur zehn Zentimeter groß und an dem Drachen befestigt, der in die Luft steigt. Ungefähr so war für mich das Gefühl, als der Segelflieger abhob. Mit jedem Meter, den wir steigen, enthüllt sich mehr von der Landschaft unter uns. Die Aussicht ist atemberaubend. Wie weit wir wohl in 200 Meter Höhe sehen können? Wohl bis zu 55 Kilometer, bevor die Erdkrümmung zu stark wird. Unter uns wirkt die Welt wie das Hamburger Miniatur-Wunderland.

Gutes Wetter zum Segelfliegen
„Diese sogenannten Schäfchenwolken bedeuten, es ist gute Thermik da“, erklärt Benjamin währenddessen weiter. Segelflieger sind nämlich auf Thermik angewiesen, einen eigenen Antrieb haben sie nicht.
„Das ist so ziemlich das Element der Segelfliegerei an sich“, sagt Benjamin. „Wir machen es wie Vögel. Wenn wir einen Vogel sehen, dann fliegen wir auch direkt dorthin, weil wir wissen: Der kann es sogar noch besser als wir.“ Das sei auch die Faszination für Benjamin Krug: „Von der Natur lernen und dass wir mit diesen Wolken hunderte Kilometer weit und stundenlang fliegen könnten. Hier gibt es Leute, die sind schon bis zu acht Stunden am Stück und 600 Kilometer geflogen, alles nur mit der Kraft von aufsteigender Luft.“
„Wir machen uns die Thermik von warmer Luft zunutze“, sagt Benjamin weiter. „Wenn wir in der Luft sind, sinken wir langsam wieder zu Boden.“ Wie ein Papierflieger könnte man sagen. Also machen wir uns auf die Suche nach warmer, aufsteigender Luft. Lange brauchen wir nicht, schon nach wenigen Sekunden fühle ich, wie wir an Höhe gewinnen. Ich werde sogar ein wenige in meinen Sitz gedrückt.
Eine unvergleichliche Erfahrung
Deshalb sind für Segelflieger warme Luftströme essenziell. Warme Luft steigt bekanntermaßen nach oben, weshalb Segelflieger im Kreis fliegen und mit ihr aufsteigen. „So können nach wenigen Drehungen schon hundert Meter Höhe gewinnen“, sagt Benjamin Krug. „Die Piloten suchen nach der Thermik und wenn sie was gefunden haben, geht es manchmal schon mit zwei bis drei Metern pro Sekunde in die Höhe.“ Wenn ein Flug im Kreis also etwa 30 Sekunden dauert, ist man schon 90 Meter gestiegen. Und das merkt man auch, wie ich am eigenen Leib erfahren habe.
Nach etwas über zehn Minuten Flug wird es langsam Zeit zu landen. Wir drehen noch ein paar Kurven, um an Höhe zu verlieren, was gar nicht so leicht ist. Wie Benjamin bereits sagte, es ist einfach zu gutes Wetter. Da kann ein Segelflieger ewig in der Luft bleiben. Aber irgendwann schaffen wir es dann zurück auf den Boden. Es ruckelt ganz schön im Inneren, als der Flieger aufkommt.
Das war also mein allererster Segelflug überhaupt. Eine unvergleichliche Erfahrung. Noch ganz berauscht vom Höhenflug mache ich mich auf den Rückweg, ein wenig erleichtert, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.